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Adieu, mein edler Ritter
"Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb"... Das Ende vom Lied kennen Sie - "sie konnten zusammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief."
Es gibt viele ergreifende, wahre und erdachte, Schicksale von Liebenden, denen es verwehrt war, miteinander glücklich zu werden. Romeo und Julia, Dante und Beatrice und auch die einsame kleine Seejungfrau. Die (Ab)Gründe sind so vielfältig wie unüberwindbar - traurige Geschichten, und täglich schreibt das Leben neue.
Ich liebe diese großen, bewegenden Gefühle, zumal wenn ich sie vorm Fernseher, im Theater oder aus dem bequemen Kinosessel heraus, nur häppchenweise miterlebe und daher gefahrlos schluchzend genießen kann. Und vor allem danach wieder, unbeschadet an Leib und Seele, meiner Wege gehen kann.
Im normalen Alltag heißen diese unglücklichen Paare vielleicht Barbara und Heinz oder Roland und Sabine - allerdings gibt es auch interdisziplinäre, quasi "gemischtrassige", Tragödien zwischen Tier und Mensch. Manchmal unvermeidbar, Schicksal eben. Wenn das Neugeborene mit heftigem Asthma auf die gute alte Mieze reagiert, wird man sicher, wenn auch schweren Herzens, eher die Katze als das Baby in ein Heim geben. Oder wenn ein Mensch, durch Krankheit oder Alter unfähig sich selbst zu versorgen, sich entschließt, Bello in andere Hände zu geben, dann ist das ein Akt der Fürsorge - traurig, aber letztendlich besser für alle Beteiligten.
Was bleibt ist die Trauer, denn die Liebe zu einem Tier ist nicht unwichtiger, nicht zwangsläufig geringer, als das Gefühl für einen anderen Menschen. Auch auf "der anderen Seite" bleiben Narben. Der Hund, der am Grab des Herrchens ausharrt, ist durchaus keine Sagengestalt.
"All you need is love", "Nur die Liebe läßt uns leben", "Dein ist mein ganzes Herz" - die gesamte Schlager- und Pop-Kultur wird dominiert von dem offenbar übermächtigen Bedürfnis des Menschen nach der großen Liebe. Erfüllt wird sie eher selten; Neid, Mißgunst, Egoismus - der Weg zum Glück hat viele Stolpersteine. Zuneigung zu einem Tier scheint vielen Zeitgenossen lächerlich; sie wird bespöttelt, abgetan oder ganz einfach verhindert. Alte Menschen werden ins Heim "abgeschoben", deren vierbeiniger Liebling ebenfalls - nur leider nicht ins gleiche. Oma ins "Haus Abendfriede", der Piepmatz in die Süderstraße...
Auch der junge Mann, der nach langer Arbeitslosigkeit dem europäischen Gedanken und der allerorts geforderten Flexibilität nachkommt, wird Lohn, Brot und Hoffnung wohl nicht mit seinem Hund teilen können. Denn leider wartet der neue Job in England, die von diesem Land geforderte sechsmonatige Zwangsquarantäne ist für ein Tier kaum zumutbar.
Um derartige Trennungstragödien zu verhindern, sind Zyniker wahrscheinlich auf die rettende Idee gekommen, Partnerschaften zwischen Mensch und Tier lieber gleich ganz zu unterbinden. Ganze Wohnungsbaugesellschaften untersagen generell jede Tierhaltung - kein zaghaftes Miauen soll die dröhnende Musik aus der Nachbarwohnung übertönen, kein Hundeködel den schönen Anblick überquellender Ascheimer stören. Selbst wer genügend Glück und Geld für eine Eigentumswohnung in guter Lage besitzt, kann nur beten, auf tierliebe Nachbarn zu stoßen.
Als ich letzte Woche in die Süderstraße kam, zur abschließenden Redaktionsplanung für die "ich & du", machte ich anschließend wieder meinen fast schon ritualisierten Rundgang durchs Tierheim. Die vielen Hunde in ihren Einzel- und Gemeinschaftszwingern sind am besten sichtbar, unüberhörbar sind sie sowieso. Fast alle sind aufgeregt, wenn man vorbeischlendert, manche bellen freudig, versuchen gar ein wenig durchs Gitter hindurch zu spielen. Andere sind eher still und resigniert, der nächste wiederum zeigt mit dicht an den Kopf gelegten Ohren und knurrendem Zähnefletschen, während er ängstlich zurückweicht, wie übel ihm unsere Artgenossen in der Vergangenheit mitgespielt haben müssen.
Und dann sah ich ihn: Dunkel, glutäugig, groß und schlank. Genau mein Typ. Und dazu dieser treue Hundeblick. Kunststück, war ja schließlich kein Latin Lover sondern ein Dobermann. Perfekterweise mit dem schönen und beziehungsreichen Namen "Aramis". Der zweite der drei Musketiere, kühner Streiter von blauem Geblüt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Er begrüßte mich wie eine gute Freundin und ungerührt vom Bellen, Knurren und Jaulen um ihn herum lauschte er mir ganz ruhig, als ich ihm erzählte, daß ich ihn nicht mitnehmen könne, weil auch in unserem Haus Tierhaltung laut Mietvertrag verboten ist. Als ich ging, begann er zu weinen.
Dort wo die Liebe hinfällt, versucht sie zu blühen. Doch die Nachfrage beim Vermieter vernichtete jede Hoffnung. Der Hinweis auf bereits "geduldete"Hunde im Haus erwirkte zwar ein gewisses Zugeständnis - "aber wirklich nur einen kleinen Hund"!
Nun, klein ist Aramis nun wirklich nicht, zudem etwas wild, voll ungezügelter Lebensfreude. Selbst wenn es rechtlich durchaus möglich wäre, würde ich weder mir noch ihm einen Gefallen tun, wollte ich ihn mit Tricks und Kniffen hier durchsetzen. Und während ich mein Geld zähle und Eigenheim-Angebote studiere, kann ich Aramis nur wünschen, daß er bald ein Häuschen im Grünen findet, mit freundlichen Menschen, denen er weder zu groß noch zu eigenwillig ist.
Ich bin mit Katzen aufgewachsen und habe diese sanft-eigensinnigen Tiere sehr ins Herz geschlossen. Doch meine Sehnsucht war immer ein Hund. Ein starker, treuer Beschützer - ein großer Bruder auf vier Beinen. So einer wie Aramis, mein edler Ritter. Aber Tierhaltung ist laut Gesetz kein Menschenrecht. Und das Verbot, meinen Freund bei mir aufnehmen zu dürfen, scheint den meisten Menschen keine wirkliche Tragödie. Denn schließlich fließen hier nur Tränen und kein Tropfen Blut. Doch, frei nach Dostojewski "das ist so, wenn man mitten ins Herz trifft".
Eileen Heerdegen
"ich & du", Nr. 2/98