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Weg frei zum nächsten Somalia-Abenteuer
Der Bundestag hat am Freitag erwartungsgemäß mit großer Mehrheit die deutsche Beteiligung an der EU-geführten Operation Atalanta rund ums Horn von Afrika abgesegnet. Die Debatte ließ seitens der Mehrheitsparteien kein Problembewusstsein über den Einsatz erkennen, dessen voraussehbare Folgen bis zur Verwicklung der Bundeswehr in den somalischen Bürgerkrieg reichen können. Schon jetzt berechtigt das Mandat das deutsche Kontingent zur Teilnahme an Militäraktionen in ganz Somalia, also keineswegs nur auf See. Es handelt sich demnach von vornherein um keine reine Marineoperation, auch wenn das bisher verschleiert wird. Die Obergrenze des Mandats liegt mit 1400 Soldatinnen und Soldaten sehr viel höher als die Besatzung der an der Operation beteiligten Fregatte, die einschließlich Landpersonal mit rund 500 zu berechnen ist.
Die Bundesregierung versucht, dem Militäreinsatz einen humanitären Anstrich zu verleihen, indem sie den Schutz von Hilfslieferungen der UNO in den Vordergrund stellt. Allerdings haben Piraten bisher nur in ganz seltenen Ausnahmefällen Schiffe angegriffen, die im Auftrag der UNO fuhren. Eindrucksvoll ist auch ein Zahlenvergleich: Die Zusatzkosten, die im Jahr 2009 durch die deutsche Beteiligung an der Operation Atalanta entstehen, werden jetzt schon mit 45 Millionen Euro veranschlagt; erfahrungsgemäß werden sie höher sein. Dagegen belaufen sich nach Angaben der Bundesregierung die voraussichtlichen Gesamtausgaben der deutschen humanitären Hilfe für Somalia im kommenden Jahr nur auf 6,6 Millionen Euro. Ingesamt liegen die jährlichen Kosten des internationalen Flottenaufmarsches im Golf von Aden und vor der somalischen Küste vermutlich näher bei einer Milliarde als bei 500 Millionen Euro, vielleicht sogar über einer Milliarde. Zum Vergleich: Die gesamte in 2008 erpresste Lösegeldsumme wird von der UNO zwischen 30 und 50 Millionen Euro geschätzt.
Die Erfahrungen des ablaufenden Jahres deuten darauf hin, dass der Einsatz einer permanent steigenden Zahl von Kriegsschiffen die Piratenakte nicht einzudämmen, geschweige denn zu unterbinden vermag. Im Gegenteil war in 2008 ein starker Anstieg – vermutlich mehr als eine Verdoppelung – solcher Übergriffe zu verzeichnen. Die Logik militärisch zentrierter Lösungsversuche spricht dafür, im kommenden Jahr gegen die Landstützpunkte der Piraten vorzugehen, die übrigens mehrheitlich gar nicht in Somalia, sondern in der de facto unabhängigen Republik Puntland am Golf von Aden liegen. Solche Aktionen werden aber, worauf sogar US-amerikanische Militärs jetzt schon hinweisen, immer wieder auch die Zivilbevölkerung treffen und entsprechende Reaktionen hervorrufen. Sie können außerdem gar nicht effektiv sein, wenn sie nicht mit einer länger dauernden Besetzung der „Piratennester“ und ihrer Umgebung verbunden sind.
Angriffe gegen das somalische Festland drohen deshalb, zum Einstieg in eine umfassende internationale Militärintervention zu werden. Man sollte sich daran erinnern, dass auch die somalischen UN-Missionen der Jahre 1992-1995, die im Debakel endeten, mit der Behauptung begannen, man müsse die Lebensmittellieferungen militärisch absichern, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Die Aktionen, mit denen die USA damals die Intervention im Alleingang, wenn auch mit UN-Mandat, starteten, liefen unter dem offenbar von einer PR-Agentur kreierten Namen „Restore Hope“, die Hoffnung wiederherstellen. Etwas ähnlich Verlogenes ist auch diesmal zu erwarten.
US-Außenministerin Condoleezza Rice warb am 16. Dezember im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für die baldige Entsendung einer UN-„Friedenstruppe“ nach Somalia. Noch vor Jahresschluss wollte sie eine entsprechende Beschlussfassung durchsetzen. Darin mochte ihr von den anderen Ratsmitgliedern diesmal noch niemand so recht zu folgen. Aber die militärische Logik, auf die sich nun auch der deutsche Bundestag eingelassen hat, lässt gar keinen anderen Weg zu.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 20. Dezember 2008