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Vom Übergang zum Untergang
Der somalischen Regierung laufen ihre Truppen davon. Die EU bildet Rekruten für Islamisten und Piraten aus.
Die somalische „Übergangsregierung“ sucht weiter nach einem Ausweg aus der Krise, in der sie sich seit Mitte Mai befindet. Damals hatte Präsident Scheikh Scharif Ahmed den Premierminister Omar Abdiraschid Scharmarke für abgesetzt erklärt. Erst als dieser sich widersetzte, ließ sich der Präsident von seinen juristischen Beratern erklären, dass er verfassungswidrig gehandelt hatte, und machte einen Rückzieher. Nur das Parlament könnte dem Regierungschef das Vertrauen entziehen. Aber das bestätigte Scharmake ausdrücklich im Amt. Allerdings fehlten wie üblich zahlreiche Abgeordnete, die in Kenia, Dschibuti, Dubai oder sonstwo ihren Hauptwohnsitz haben, aber jedenfalls nicht in Somalia. Schon gar nicht in der Hauptstadt Mogadischu, wo die „Übergangsregierung“ nur noch über einige Häuserblocks und Straßen rund um den Präsidentenpalast herrscht.
Gäbe es da nicht 5300 Soldaten der afrikanischen Interventionstruppe AMISOM, die im Gegensatz zu allen somalischen Bürgerkriegsparteien über Panzer und schwere Artillerie verfügen, wäre es mit der „Übergangsregierung“ schon ganz vorbei. Am 19. Juni mussten die Helfer aus Uganda und Burundi den Präsidenten sogar vor seinen eigenen Truppen schützen: Unzufrieden damit, dass ihnen seit Monaten kein Sold mehr bezahlt worden war, hatten somalische Soldaten Ahmeds Residenz, die Villa Somalia, abgesperrt und ließen niemanden mehr heraus und herein. Erst eine Zusage des Präsidenten, die ausstehenden Gelder bald zu bezahlen, verbunden mit einigen AMISOM-Warnschüssen, veranlassten die Meuterer zum Abzug.
Während die EU unter Beteiligung der deutschen Bundeswehr in Kenia 2000 Rekruten für den somalischen Bürgerkrieg ausbildet, hat die „Übergangsregierung“ die Kontrolle über ihre Truppen offensichtlich verloren. Dass ganze Einheiten mit ihren vom Westen bezahlten Waffen desertieren, um sich den Islamisten oder irgendeiner Piratengruppe anzuschließen, ist an der Tagesordnung. Lästiger für die einheimische Bevölkerung sind Truppenteile, die sich auf Straßenraub an improvisierten „Kontrollpunkten“ spezialisiert haben. Häufig kommt es zu Schießereien zwischen Regierungstruppen oder auch zwischen Soldaten und Polizei. Ob dabei einige im Interesse von Ordnung und Sicherheit zu agieren versuchen, oder ob nur um die „Reviere“ gekämpft wird, ist in der Regel nicht klar zu unterscheiden.
Unterdessen konnten sich Ahmed und Scharmake bisher nicht über die grundsätzlich von beiden angestrebte Regierungsumbildung einigen. Der Präsident lehnte mehrere vom Premierminister vorgelegte Personallisten ab. Dabei geht es unter anderem darum, die längst vereinbarte Integration der Ahlu Sunna endlich auch praktisch zu vollziehen. Das ist nicht ganz unwichtig, da deren Miliz derzeit neben der AMISOM die einzige Kraft ist, auf die sich die „Übergangsregierung“ noch halbwegs verlässlich stützen kann. Schon am 15. März hatten sich die Regierung und Ahlu Sunna in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba auf ein Abkommen geeinigt, das dieser einen Anteil an der verbliebenen Macht, einschließlich fünf Ministerposten, einräumt. Die Einigung war innerhalb von Ahlu Sunna, die mit der Regierung eigentlich nur ihre Ablehnung der Islamisten gemeinsam hat, von Anfang an umstritten und soll sogar zu Spaltungen geführt haben. Inzwischen werfen maßgebliche Vertreter von Ahlu Sunna der Regierung Vertragsbruch vor und drohen mit schweren Konsequenzen.
Von ihren Wurzeln her ist Ahlu Sunna eine Bewegung des Sufismus, einer vergleichsweise liberalen Strömung des Islam. Ihre Opposition gegen die Islamisten machte sich zunächst daran fest, dass diese sufistische Friedhöfe und Gedenkstätten für als heilig geltende Personen zerstört hatten. Mittlerweile ist der Name „Ahlu Sunna“ aber ein Mantel für ein breites Interessenbündnis regionaler Clans und Warlords in Zentralsomalia. Geld und Waffen bekommen sie hauptsächlich aus Äthiopien.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 28. Juni 2010