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Strategische Interessen

Ein US-Bürger wird Regierungschef von Somalia. Aber erst nach starkem Druck der "internationalen Geldgeber".

UN-Generalsekretär Ban Ki-mun hat am Montag den neuen Premierminister Somalias aufgerufen, „ohne weitere Verzögerung“ sein Kabinett zusammenzustellen. Mohamed Abdullahi Mohamed war am Sonntag vom Parlament in seinem Amt bestätigt worden, für das ihn Präsident Scharif Scheikh Ahmed am 14. Oktober nominiert hatte. Vorausgegangen war ein zweiwöchiger Machtkampf zwischen dem Präsidenten und Parlamentssprecher Scharif Hassan Scheikh Aden. Scheinbar ging es dabei nur um die formale Frage, ob die Abgeordneten geheim oder durch Handheben über Ahmeds Kandidaten entscheiden sollten.

Der Präsident setzte schließlich eine offene Abstimmung durch. Dazu kam es aber erst, nachdem am Mittwoch der Oberste Gerichtshof Somalias, der schon seit Jahren nicht mehr aktiv geworden war, entsprechend geurteilt hatte. Die Einigung zwischen Ahmed und Aden erfolgte schließlich am Donnerstag in Anwesenheit des eigens zu diesem Zweck nach Mogadischu geflogenen UN-Sonderbeauftragten Augustine Mahiga, der von Vertretern der Afrikanischen Union und der Regionalorganisation IGAD begleitet wurde. Mahiga betonte dabei unmissverständlich das dringende Interesse der „internationalen Geldgeber“ an einer schnellen Bestätigung des neuen Regierungschefs. Das Treffen fand, wie schon seit längerer Zeit üblich, aus Sicherheitsgründen auf dem Flughafengelände statt, wo sich ein Stützpunkt der afrikanischen „Friedenstruppe“ AMISOM befindet.

Dass der Streit zwischen dem Präsidenten einerseits, dem Parlamentssprecher und einem Teil der Abgeordneten andererseits nun beendet ist, wird in Somalia nicht erwartet. Zwar erfolgte Mohameds Bestätigung scheinbar deutlich mit 297 gegen 92 Stimmen bei zwei Enthaltungen. Insgesamt nahmen 391 Abgeordnete an der Abstimmung teil. Dem Parlament gehören jedoch 550 Abgeordnete an. Viele Politiker leben mit ihren Familien im Ausland und kommen nur selten zu den Sitzungen.

Somalische Kommentatoren gehen davon aus, dass der formale Streit um den Abstimmungsmodus zwischen Ahmed und Aden, die einmal als befreundet galten, lediglich ein Vorwand für tiefergehende Meinungsverschiedenheiten war. Mohamed gehört wie sein Vorgänger dem Clan der Darod an, aber nicht dem selben Unterclan. Außerdem kommt seine Familie aus dem Süden des Landes. Er wird deshalb vor allem von einer Gruppe Abgeordneter abgelehnt, die aus der nordöstlichen Region Puntland stammen: Es ist das erste Mal seit der Bildung der „Übergangsregierung“ im Jahre 2004, dass weder der Präsident noch der Premier aus Puntland ist.

Berichten zufolge hat Parlamentssprecher Aden die Unterstützung des Nachbarlandes Äthiopien, während sich Uganda in dem Streit auf die Seite des Präsidenten und des neuen Regierungschefs gestellt hat. Ugandische Truppen bilden die Mehrheit der rund 7000 Mann starken AMISOM, in der sonst nur noch Soldaten aus Burundi vertreten sind. Die „Friedenstruppe“ bildet den einzigen militärischen Rückhalt der somalischen Regierung im Kampf gegen islamische Fundamentalisten.

Premier Mohamed ist 48 Jahre alt. Nur wenige davon hat er in Somalia gelebt. Neben der somalischen Staatsbürgerschaft besitzt er auch die seines eigentlichen Heimatlandes, der USA. Er hat dort 1993 einen Universitätsabschluss in Geschichte und 2009 einen weiteren in Politischer Wissenschaft gemacht. Der Titel seiner Dissertation lautet: „Strategische Interessen der USA in Somalia: Vom Kalten Krieg zum Krieg gegen den Terror“.

Es gibt in Somalia keine vom Volk gewählten Institutionen. Die international anerkannte „Übergangsregierung“ (TFG) ging 2004 aus einem zwei Jahre langen Kongress im Nachbarland Kenia hervor. Das Parlament wurde damals in Absprachen zwischen Clans und Warlords formiert. Die Zahl seiner Abgeordneten wurde im Januar durch Kooptierung „gemäßigter Islamisten“ und „gesellschaftlicher Gruppen“ verdoppelt. Das Parlament wählt den Präsidenten und hat das Bestätigungsrecht für den von diesem nominierten Premier sowie für dessen Kabinett. Allgemeine Wahlen hätten nach einer bei der Bildung der „Übergangsregierung“ getroffenen Vereinbarung schon 2009 stattfinden sollen, wurden aber auf August 2011 verschoben. Technisch werden sie unmöglich durchzuführen sein, da die TFG nur einen kleinen Teil der Hauptstadt kontrolliert.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 2. November 2010