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Spielverderber und Autokraten
Vertreter von UN-Generalsekretär Ban Ki-mun droht somalischen Oppositionellen mit dem Kriegsverbrechergericht in Den Haag.
Eine verblüffende Nachricht kam am Donnerstag aus Mogadischu: „Die somalische Übergangsregierung trifft Vorbereitungen, um die Macht im August an eine gewählte Regierung zu übergeben“, heißt es in einer Pressemitteilung von Abdirahman Omar Osman, der als Chefberater von Premierminister Abdiweli Mohamed Ali Gaas zeichnet.
Man muss freilich nicht alles glauben, was in solchen Veröffentlichungen steht: Wahlen sind in Somalia, das spätestens seit 1991 keine funktionierende Zentralmacht mehr hat, sich in permanentem Bürgerkrieg befindet und zur Zeit Interventionstruppen aus fünf afrikanischen Ländern beherbergt, nicht geplant. Nicht in diesem Jahr und sicher auch nicht im nächsten. Aber trotzdem soll mit dem Segen der „internationalen Gemeinschaft“ aus den seit seit acht Jahren unlegitimiert herrschenden „Übergangsstrukturen“ jetzt eine richtige Regierung werden – zumindest dem Anschein nach. Im August dieses Jahres endet die Übergangsperiode, das steht fest. Denn die „internationale Gemeinschaft“ hat es so beschlossen.
Die „Übergangsstrukturen“, bestehend aus einem Parlament, einer Regierung und einem Präsidenten, wurden 2004 in einer monatelangen Konferenz ausgehandelt, die in Kenia unter dem Patronat der UNO, der Afrikanischen Union und der nordostafrikanischen Regionalorganisation IGAD stattfand. Fünf Jahre danach sollten landesweit freie Wahlen stattfinden, die später auf 2011 verschoben und inzwischen bis auf weiteres völlig abgeblasen wurden. Stattdessen sieht die im September vorigen Jahres vereinbarte Roadmap – wörtlich Straßenkarte, sinngemäß eher Fahrplan – die Verabschiedung einer neuen Verfassung durch eine völlig untransparent und undemokratisch zusammengesetzte „Nationalversammlung“ von 825 „Delegierten“ vor. Auf ebenso autokratische Weise soll das bisherigen Abgeordnetenhaus, dem 475 Politiker angehören, durch ein neues Parlament mit nur noch 255 Mitgliedern ersetzt werden. Dieses bis zum Juni zu ernennende Gremium soll dann im August die vermutlich nicht wirklich neue Regierung wählen.
Am 20. April, exakt nach dem Zeitplan der Roadplan, legte die Übergangsregierung – englisch abgekürzt TFG – ihren Verfassungsentwurf vor. Am 15. Mai soll die „Nationalversammlung“ - deren Mitglieder derzeit gerade erst „ausgewählt“ werden - zusammentreten, etwa zwei Wochen beraten und dann über das 69 Seiten umfassende Papier abstimmen. Indessen ist die Kritik aus allen Teilen des Landes an dem Entwurf schon jetzt laut und deutlich. Widerspruch richtet sich hauptsächlich gegen die angeblich unzureichende Verankerung des islamischen Charakters Somalias. Clans und andere traditionelle regionale Strukturen sehen ihre Autonomiewünsche nicht berücksichtigt. Das schon seit Monaten nicht mehr einberufene Parlament kritisiert, dass es an der Verfassungsdiskussion nicht beteiligt wird.
Allen, die Einwände gegen das praktizierte autokratische Verfahren zur „Beendigung der Übergangsperiode“ haben, droht jetzt nicht nur die TFG, sondern auch die „internationale Gemeinschaft“ mit Sanktionen. So steht es in einer „unzweideutigen Warnung“, die am Dienstag im Namen der Vereinten Nationen, der Afrikanischen Union und der IGAD veröffentlicht wurde. Zur Diffamierung jeder Art von Opposition in Somalia ist die englische Bezeichnung „spoiler“ - Spielverderber oder Störer – üblich geworden. Ihnen drohte der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs für Somalia, der Tansanier Augustine P. Mahiga, vor einigen Tagen sogar mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 4. Mai 2012