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Somalia: Islamisten weiter auf dem Vormarsch

Der somalische Präsident Abdullahi Jusuf hat am Sonnabend vor Abgeordneten bekannt, dass sich der größte Teil des Landes in der Hand islamischer Fundamentalisten befindet und der Regierung kaum mehr geblieben ist als die Hauptstadt Mogadischu und die nahe der äthiopischen Grenze gelegene Provinzstadt Baidoa, wo das Parlament seinen Sitz hat. Schuld sei, so Jusuf, sein Rivale, Premierminister Nur Hassan Hussein. Dessen Regierung sei „zusammengebrochen“. „Heute gibt in diesem Land keine Regierung.“

Alle Beteiligten – der Präsident, der Regierungschef und das Parlament – tragen den Zusatz „Interim“, „übergangsweise“. Freie Wahlen hat es in Somalia noch nie gegeben, seit das Land 1960 aus Kolonien Italiens und Großbritanniens zusammengeschoben wurde. Die jetzige „Übergangsregierung“ (TFG) wurde im Jahr 2004 nach monatelangem Gerangel in Nairobi (Kenia) gebildet. Angeblich sollte sie alle wesentlichen Kräfte Somalias ausgewogen repräsentieren, was jedoch niemals der Fall war. Dennoch werden die „Übergangsautoritäten“ ohne Mandat von der UNO bis heute als legitime Vertreter Somalias behandelt. Im August 2009 endet jedoch ihre vereinbarte Amtszeit. Damit wird die Frage nach der Zusammensetzung der nächsten „Übergangsregierung“ akut.

Die TFG stand schon Anfang Dezember 2006 vor dem Ende. Damals regierten die Fundamentalisten der Union der Islamischen Gerichte (UIC) in Mogadischu, und Baidoa als letzte Zuflucht der „Übergangsregierung“ war eingekreist. Interventionstruppen aus dem Nachbarland Äthiopien retteten damals die TFG und halten sie bis heute in der Hauptstadt an der Macht. Als die Äthiopier einmarschierten, zogen sich die bewaffneten Islamisten nahezu kampflos aus allen Städten zurück und vermieden auf diese Weise ernste Verluste. Denn die äthiopische Armee gilt, nach der ägyptischen, als die stärkste des afrikanischen Kontinents. Sie besitzt Panzer, schwere Artillerie und Kampfflugzeuge, über die weder die TFG noch die Islamisten verfügen.

Im Frühjahr 2008 gingen die Islamisten dazu über, stundenweise oder für ein-zwei Tage nacheinander die meisten Städte des Landes zu besetzen. Diese Aktionen dienten der politischen Propaganda, der Zerstörung von Verwaltungsgebäuden und Kasernen, der Öffnung der Gefängnisse und der Beschlagnahme von Waffen. Im August besetzten die Islamisten mit dem südsomalischen Hafen Kismajo erstmals dauerhaft eine Stadt. Seither haben sie ihre Herrschaft weiter ausgedehnt und stabilisiert. Sie kontrollieren jetzt mindestens sechs Regionen und zahlreiche Städte. Am Mittwoch voriger Woche eroberten sie auch die Hafenstadt Merka, 90 Kilometer südlich von Mogadischu, über die ein erheblicher Teil der UN-Hilfslieferungen abgewickelt wird. Am Donnerstag tauchten islamistische Kämpfer in mehreren Flüchtlingslagern am Rand von Mogadischu auf.

Unterdessen hat sich die bewaffnete Opposition aber gespalten. Ein Flügel der alten UIC, der seine Zentrale nach Dschibuti verlegt hat, paktiert mit der TFG, während der in der eritreischen Hauptstadt Asmara residierende Teil alle Abkommen als nichtig ablehnt. Noch radikaler ist al-Schabab (Die Jugend), der die meisten bewaffneten Kämpfer angehören. Einige Städte, über die die Regierung die Kontrolle verloren hat, so Jowhar und Belethuen, werden offenbar nicht von al-Schabab, sondern von dem einen oder anderen UIC-Flügel beherrscht. Es gibt erste Anzeichen für bewaffnete Zusammenstöße zwischen rivalisierenden Islamisten.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 17. November 2008