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Somalia: Die Islamisten dehnen ihren Einfluss kampflos aus (28.9.2006)
Somalia: Die Islamisten dehnen ihren Einfluss kampflos aus
Der Ministerpräsident der sogenannten somalischen Übergangsregierung, Ali Mohamed Ghedi, wirbt um internationale Unterstützung gegen "das al-Kaida-Netzwerk" und "die Terroristen", die angeblich ihre Macht auf immer größere Teile Somalias ausdehnen.
Die Übergangsregierung ist ein nie als gewähltes Gremium, das im Jahr 2004 in Kenia gebildet wurde. Sie residiert in der Provinzstadt Baidoa und kontrolliert nur deren engere Umgebung. Dennoch wird sie vom UNO-Sicherheitsrat und von der Afrikanischen Union, dem Zusammenschluss aller Staaten des Kontinents, als legitime Regierung Somalias anerkannt.
Mit den "Terroristen" meint Baidoa-Regierungschef Ghedi die UIC, die Union der Islamischen Gerichte, einen Zusammenschluss von mehr als einem Dutzend örtlicher und regionaler fundamentalistischer Gruppen. Die UIC hat Anfang Juni ein Bündnis von Warlords aus der Hauptstadt Mogadischu vertrieben und hat seither ihren Einflussbereich weiter ausgedehnt, ohne dass es zu größeren Kämpfen kam.
Dem Hilferuf Ghedis war am Sonntag der Einzug von UIC-Milizionären in die südsomalische Hafenstadt Kismajo, die drittgrößte Stadt des Landes, vorausgegangen. Der Machtwechsel erfolgte, ohne dass ein einziger Schuss abgegeben wurde. Kismajo war bis dahin von der Miliz des Warlords Barre Hiraale beherrscht worden, der zugleich Verteidigungsminister in der Übergangsregierung ist. Vor dem Einzug der UIC war Hiraale aus der Stadt geflüchtet, und seine Truppe hatte sich aufgelöst.
Am Montag und Dienstag kam es in Kismajo zu Demonstrationen für und gegen die UIC. In einem Fall schossen UIC-Milizionäre auf Steine werfende Gegendemonstrationen; drei Menschen sollen bei diesem Zwischenfall getötet worden sein. Auf der einen Seite findet die UIC in der Bevölkerung viel Unterstützung, weil sie nach 15 Jahren Bürgerkrieg, Rechtsunsicherheit und Desorganisation wieder stabile Verhältnisse zu schaffen begonnen hat. Auf der anderen Seite stößt die Absicht der UIC, das islamische Recht (Scharia) und einen rigiden Verhaltenskodex durchzusetzen, aber auch auf viel Widerspruch.
Die UIC begründet die Machtübernahme in Kismajo damit, dass der Hafen als Landeplatz für die geplanten "internationalen Friedenstruppen" vorgesehen gewesen sei, die in Kürze ihren Einsatz in Somalia beginnen sollen. Die Soldaten der Interventionsstreitmacht sollen zunächst aus den Nachbarländern Somalias kommen. Die Baidoa-Regierung hat sich seit langem für eine ausländische Militärintervention stark gemacht, die UIC lehnt sie schärfstens ab.
Baidoa-Regierungschef Ghedi hat unter Hinweis auf den Machtwechsel in Kismajo die Fortsetzung der Gespräche mit der UIC in Frage gestellt. Diese waren vor einigen Monaten in der sudanesischen Hauptstadt Khartum unter Vermittlung der Arabischen Liga ausgenommen worden und sollten planmäßig im Oktober fortgesetzt werden.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 28. September 2006