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Politischer Mord und Instabilität in Somalia. Schwere Krise der "Übergangsregierung"

In Somalia tagt seit zwei Wochen das "Übergangsparlament", um über ein Misstrauensvotum gegen den Chef der "Übergangsregierung", Ali Mohamed Gedi, zu beraten. Weder das Parlament noch Gedi wurden jemals gewählt. Beide verdanken ihre Einsetzung einer Konferenz, die im Jahr 2004 in Kenia stattfand, und der Unterstützung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Die Herrschaft der "Übergangsregierung" beruht auf Tausenden von äthiopischen Soldaten, die seit Dezember 2006 im Land, vor allem in der Hauptstadt Mogadischu, stationiert sind. Wahlen sollen frühestens im Jahr 2009 stattfinden.

22 Minister unterstützen jetzt den Versuch, ihren Chef durch ein Misstrauensvotum zu stürzen. Einem ähnlichen Vorstoß entging der Ministerpräsident im vorigen Jahr nur knapp. Jetzt hat auch der "Übergangspräsident" Abdullahi Jusuf offen Stellung gegen Gedi bezogen. Dieser versucht seinerseits, mit Teilen des Hawije-Clans, dem er selbst angehört, gegen den aus dem Darod-Clan stammenden Präsidenten zu paktieren. Im Frühjahr hatte die "Übergangsregierung" dem Mogadischu dominierenden Hawije-Clan wochenlange Kämpfe geliefert, bei denen große Teile der Hauptstadt zerstört und rund 400.000 Einwohner vertrieben wurden.

Bei dem Streit zwischen Gedi und Jusuf geht es unter anderem um Öl-Interessen. Abbaubare Vorkommen von Erdöl und Erdgas werden in Somaliland und Puntland, jedoch bisher nicht im eigentlichen Somalia, vermutet. Somaliland, am Golf von Aden gelegen, hat sich schon 1991 für unabhängig erklärt. Obwohl es von keiner Regierung der Welt anerkannt ist, verfügt es real über volle staatliche Souveränität. Anders ist die Situation von Puntland, das sich 1998 von Somalia trennte, aber zwischen dem Anspruch auf Eigenstaatlichkeit und Autonomie schwankt. Der somalische Präsident Abdullahi Jusuf war erster Staatschef von Puntland und hat dorthin immer noch enge Beziehungen. Seit Einsetzung der "Übergangsregierung" vor drei Jahren hat eine Wiederannäherung zwischen Puntland und Somalia stattgefunden.

Mit Unterstützung Jusufs hat die puntländische Regierung mehrere Verträge mit ausländischen Unternehmen, darunter einer großen chinesischen Firma, über Vorarbeiten zur Ausbeutung von Erdölvorkommen abgeschlossen. Ministerpräsident Gedi weigert sich aber, diese Abkommen anzuerkennen. Er will im Parlament ein nationales Energieabkommen durchbringen, durch das alle bis dahin geschlossenen Verträge ihre Gültigkeit verlieren sollen. Die Beratung desGesetzes, als dessen Zweck insbesondere das Anlocken westlicher Investitionen genannt wird, stockt aber seit Monaten.

Unterdessen gab es am Freitag voriger Woche in Mogadischu wieder einen politischen Mord, der die Instabilität in der Hauptstadt zeigt. Der amtierende Vorsitzende des wichtigsten unabhängigen somalischen Senders Radio Shabelle, Baschir Nur Gedi, wurde vor seinem Haus von Auftragskillern erschossen. Er war der achte Journalist und der dritte Leiter eines Medienunternehmens, der in diesem Jahr ermordet wurde. Der Verdacht fällt in diesem Fall eindeutig auf die Sicherheitsdienste der "Übergangsregierung", die den kritischen Sender schon vor einigen Wochen beschossen, überfallen und teilweise verwüstet hatten. Fast täglich wird die Festnahme von Journalisten und die Schließung von Sendern und Redaktionen gemeldet. In der Regel handelt es sich dabei um kurzzeitige Maßnahmen, die einschüchtern sollen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 23. Oktober 2007