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Nicht neutral
Kenianische Truppen haben in Südsomalia einen Pufferstaat errichtet. Mogadischu verlangt ihre Ersetzung durch Soldaten aus Sierra Leone.
Nach heftigen Kämpfen in Kismajo fordert die somalische Regierung den Abzug der kenianischen Truppen aus der im äußersten Süden des Landes gelegenen Hafenstadt. Somalia wirft den Soldaten aus dem Nachbarland vor, einseitig in innenpolitische Kämpfe einzugreifen und die Bevölkerung zu misshandeln. Sogar von einem kenianischen Luftangriff auf einen Militärstützpunkt in Somalia ist die Rede. Die Regierung in Nairobi bestreitet alle Anschuldigungen.
Kenias Streitkräfte waren im Oktober 2011 mit mehreren tausend Mann nach Südsomalia einmarschiert. Einige Monate später wurden die kenianischen Einheiten formal in die seit 2007 in Somalia tätige afrikanische „Friedenstruppe“ AMISOM eingegliedert. Tatsächlich behielten sie aber ihre eigene Kommandostruktur. AMISOM ist zur Zeit rund 18.000 Mann stark. Neben den Kenianern sind Soldaten aus Uganda, Burundi, Dschibuti und dem westafrikanischen Staate Sierra Leone beteiligt.
Nachdem die kenianischen Truppen monatelang nur geringe Fortschritte im Kampf gegen die islamistische Organisation Al-Schabab gemacht hatten, gelang ihnen schließlich im September vorigen Jahres die Eroberung von Kismajo, das nach der Hauptstadt Mogadischu über den zweitgrößten Hafen Somalias verfügt. Der Ort ist durch die Einnahmen von Hafengebühren, Zöllen und Schutzgeldern sowie durch den von der UNO verbotenen Export von Holzkohle in die Staaten der arabischen Halbinsel ein sehr lukratives Objekt und daher schon seit Jahren immer wieder umkämpft.
Bei der Besetzung Kismajos und seiner Umgebung arbeitet Kenia eng mit der örtlichen Miliz Ras Kamboni zusammen, die selbst aus dem Netzwerk islamistischer Organisationen kommt. Bald nach der Eroberung der Stadt begann die Regierung in Nairobi mit der Umsetzung ihres alten Projekts, der Schaffung eines abhängigen Pufferstaates in Südsomalia. Das von Ras Kamboni verwaltete Gebilde nennt sich Jubaland und beansprucht das Territorium der drei Verwaltungseinheiten Gedo, Unter-Juba und Mittel-Juba, ohne dieses jedoch trotz militärischer Unterstützung der kenianischen Truppen wirklich vollständig zu kontrollieren.
Im Mai ließ sich der Chef von Ras Kamboni, Ahmed Madobe, von einer „Ältestenversammlung“ mit fragwürdiger Legitimation zum Präsidenten von Jubaland küren. Wenige Stunden später hatten sich bereits vier weitere Warlords gemeldet, die – gestützt auf Clan-Verbindungen und eigene Milizen – ebenfalls Anspruch auf diesen Titel erheben. Der anscheinend bedeutendste unter ihnen ist Barre Hirale, der von der Regierung in Mogadischu unterstützt wird. Inzwischen ist es den Kenianern und Ras Kamboni weitgehend gelungen, sowohl die konkurrierenden Milizen als auch die Truppen der Zentralregierung aus Kismajo zu vertreiben. Mehrere hochrangige Politiker aus Mogadischu, die zu Verhandlungen angereist waren, wurden gleich auf dem Flughafen abgefangen und zurückgeschickt.
Die jüngsten schweren Kämpfe Ende Juni waren ausgebrochen, nachdem die Kenianer den Gebietskommandeur und weitere Offiziere der somalischen Regierungstruppen festgenommen hatten. Angeblich wurden die Gefangenen inzwischen nach Kenia gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, an einem Anschlag auf kenianische Truppen in der Hafenstadt beteiligt gewesen zu sein. Bei den jüngsten Kämpfen wurden nach Angaben von UN-Funktionären 71 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt.
Die somalische Regierung fordert, die kenianischen Soldaten in Kismajo und Umgebung durch „neutrale“ Einheiten, vorzugsweise aus Sierra Leone, zu ersetzen. Darüber verhandelt Mogadischu derzeit mit dem AMISOM-Kommando.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 5. Juli 2013