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Die im Dunkeln sieht man nicht
Die Not von Millionen Menschen in Nordostafrika ist für den Westen kein Grund für eine humanitäre Intervention
Mehr als 10 Millionen Bewohner Nordostafrikas sind von einer langwährenden Dürre-Periode betroffen. Aufgrund der langfristigen Wetterprognosen wird damit gerechnet, dass die Krise sich weiter verschärft und dass die Zahl der Hilfsbedürftigen noch sprunghaft zunehmen wird. In einigen Gebieten der Region ist es jetzt schon die schlimmste Trockenheit seit 60 Jahren. Die Folgen sind Unterernährung, Ausbreitung von Krankheiten, inflationärer Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel und Massenflucht. Besonders hart sind die Auswirkungen für die in der Region sehr zahlreichen Bevölkerungsgruppen, die hauptsächlich von der Viehhaltung – Schafe und Ziegen, Rinder, aber auch Kamele – leben. Der Mangel an Wasser, das Schrumpfen der Weideflächen und die Ausbreitung von Krankheiten unter den geschwächten Tieren führen zu einem massenhaften Viehsterben. Zugleich sinkt die Produktion von Milch, einem wesentlichen Nahrungsmittel vor allem für die Kinder, drastisch.
Auf die Notlage machte das UN-Büro für die Koordinierung Humanitärer Angelegenheiten (OCHA) am Dienstag mit einer aktuellen Presseerklärung aufmerksam. Die Vereinten Nationen und internationale Hilfsorganisationen hatten schon vor Monaten immer wieder auf die sich zuspitzende Situation hinwiesen. Seit mindestens fünf Jahren sind Teile Nordostafrikas von zu geringen oder ausbleibenden Niederschlägen betroffen. Die Regenzeit im Oktober-Dezember 2010 war eine der trockensten, die jemals registriert wurden. Die Frühlingsregenzeit im laufenden Jahr, normalerweise zwischen März und Mai, begann zu spät und blieb um ein Drittel unter dem Langzeit-Durchschnitt der letzten fünfzehn Jahre.
Nach Angaben der OCA sind zur Zeit 3,5 Millionen Menschen in Kenia, 3,2 Millionen in Äthiopien, 2,5 Millionen in Somalia, 600.000 in Uganda und 120.000 in Djibouti von den Auswirkungen der Dürre betroffen. Nicht berücksichtigt ist in dieser Aufstellung der Sudan, wo es gleichfalls ausgedehnte Krisengebiete aufgrund der Trockenheit gibt. Die UNO unterscheidet zwischen Krisen- und Notstandsgebieten. Zu letzteren gehört der gesamte – großenteils von Somalis bewohnte – Osten Äthiopiens, Nordostkenia und Teile von Zentral- und Südsomalia. Die oberste Stufe der UN-Skala, „Katastrophe/Hunger“, gilt bisher noch nirgendwo als erreicht.
Eine spezielle Notlage besteht in Somalia, weil dort in weiten Teilen des Landes die Auslieferung von Hilfsgütern wegen des Bürgerkriegs stark erschwert oder unmöglich ist. Viele Somalis flüchten deshalb über die Grenzen nach Äthiopien und Kenia, obwohl dort ebenfalls krisenhafte Zustände herrschen. In Äthiopien kommen derzeit mit 30.000 Menschen pro Monat sechs Mal so viele somalische Flüchtlinge an wie zu Jahresbeginn. 1300 Somalis, darunter mindestens 800 Kinder, überschreiten im Tagesdurchschnitt die Grenze nach Kenia. Dort leben im größten Flüchtlingslager der Welt, Dadaab, das einmal für 90.000 Bewohner eingerichtet wurde, inzwischen über 350.000 Menschen.
Wie immer in solchen Situation steht den Organisationen der Vereinten Nationen und ihren Partnern viel zu wenig Geld zur Verfügung. Von den 529 Millionen Dollar, die die UNO in diesem Jahr für Hilfsaktionen in Somalia beantragt hatte, ist bisher nur etwa die Hälfte eingezahlt worden. Für Kenia forderte die UNO 525 Millionen Dollar, bekam aber nur etwa 54 Prozent davon. Die Hilfe ist regelmäßig viel zu gering und ein großer Teil kommt später, als er benötigt würde. Dabei machen die veranschlagten Beträge nur einen Bruchteil der Gelder aus, die die NATO für Militäreinsätze ausgibt. Aber so lange im Westen auch Gutmenschen bei „humanitärer Intervention“ fast ausschließlich an das Abwerfen von Bomben und das Abschießen von Raketen, also ans Töten, Verstümmeln und Zerstören denken, wird sich kaum Grundsätzliches ändern. #
Knut Mellenthin
Junge Welt, 30. Juni 2011