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Am "Horn von Afrika" droht Krieg
Die Gefahr eines internationalisierten Konflikts in Nordostafrika hat zugenommen, nachdem die UIC (Union der Islamischen Gerichte) und ihre örtlichen Verbündeten am Montag das südsomalische Bur Hakaba ohne einen Schuss zurückerobert haben. Die Stadt war zuvor am Sonnabend von Truppen der in Baidoa residierenden "Übergangsregierung" (TFG) und äthiopischem Militär besetzt worden. Bur Hakaba liegt etwa 50 Kilometer von Baidoa entfernt an der einzigen Straße, die von dort zur Landeshauptstadt Mogadischu führt.
Die "Übergangsregierung" wurde 2004 auf einer internationalen Konferenz in Kenia eingesetzt. Die TFG wird zwar vom UNO-Sicherheitsrat und von der Afrikanischen Union, dem Dachverband aller Staaten des Kontinents, formal anerkannt. Sie ist aber außerhalb der Region um ihren Regierungssitz Baidoa praktisch einflusslos. Ihre wichtigste Stütze ist das mit den USA verbündete Nachbarland Äthiopien. Nach Schätzungen von Diplomaten und Journalisten befinden sich zur Zeit zwischen 6.000 und 8.000 äthiopische Soldaten in Baidoa und seiner Umgebung. Die Regierung in Addis Abeba hat die Tatsache lange Zeit bestritten und erst in der vergangenen Woche zugegeben, dass sie Militär nach Somalia geschickt hat. Es handele sich dabei jedoch nur um "höchstens ein paar hundert" Ausbilder für die Truppen der TFG.
Nach Aussagen vieler Augenzeugen aus der örtlichen Bevölkerung besteht jedoch kein Zweifel, dass mehrere hundert äthiopische Soldaten direkt an der vorübergehenden Besetzung von Bur Hakaba beteiligt waren und sich jetzt in der Umgebung der Stadt verschanzt haben.
UIC-Chef Hassan Dahir Daweys hat am Montag erklärt, dass die Zeit von Appellen an die äthiopische Regierung, ihre Interventionstruppen abzuziehen, nunmehr vorbei sei. "Jetzt beginnen wir zu kämpfen. Ich rufe alle Somalis, wo immer sie sind, dazu auf, einen Dschihad gegen die Eindringlinge und ihre Unterstützer zu beginnen."
Die Formulierung "wo immer sie sind" ist ein deutlicher Hinweis auf die überwiegend somalische Bevölkerung der äthiopischen Grenzregion Ogaden. Hier fand 1977-78 ein für beide Seiten verlustreicher Krieg zwischen den beiden Nachbarstaaten statt. Nur dank massiver Militärhilfe der Sowjetunion und Kubas behielt Äthiopien damals die Oberhand. Somalische Separatisten sind im Ogaden immer noch aktiv.
Ein anderes Führungsmitglied der UIC, Scharif Sheikh Ahmed, rief am Montag die äthiopische Bevölkerung auf, "gegen das Unterdrückerregime zu rebellieren". Offenbar setzt die UIC dabei vor allem auf die Moslems des Nachbarlandes, die fast die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, aber auf Regierungsebene kaum repräsentiert sind.
Nach dem Angriff der TFG auf Bur Hakaba mehren sich in den Reihen der UIC Stimmen, die in allernächster Zeit eine Offensive gegen Baidoa fordern. Militärische Stellungen der UIC und ihrer örtlichen Verbündeten sollen inzwischen bis auf 15 Kilometer an Baidoa herangeschoben worden sein. Für den Fall einer UIC-Offensive droht Äthiopien jedoch mit Krieg. "Wir werden die Regierung verteidigen, wenn sie von den Dschihadisten angegriffen wird", sagte am Montag in Addis Abeba der Minister ohne Geschäftsbereich Bereket Simon. Der äthiopische Ministerpräsident Meles Zenawi erklärte am Dienstag, sein Land befinde sich "technisch" schon im Krieg mit der UIC, wolle aber möglichst einen "Schießkrieg" vermeiden.
Bei einer Internationalisierung des Konflikts könnte auch das mit Äthiopien verfeindete Eritrea direkt hineingezogen werden, das jetzt schon die UIC mit Waffenlieferungen unterstützt.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 25. Oktober 2006