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Machtwechsel am Dnjestr

Die international nicht anerkannte osteuropäische Republik Pridnestrowje, hierzulande meist als Transnistrien bezeichnet, bekommt einen neuen Präsidenten. Bei der Stichwahl am Sonntag setzte sich der frühere Parlamentssprecher Jewgeni Schewtschuk sehr viel deutlicher als erwartet gegen seinen Nachfolger Anatoli Kaminski durch. Auf Schewtschuk entfielen 73,8 Prozent der Stimmen, auf Kaminski nur 18,9 Prozent. Er schnitt damit sogar schlechter ab als im ersten Wahlgang, der zwei Wochen vorher stattgefunden hatte. Damals lag er bei 26,4 Prozent, während sein Konkurrent auf 38,5 Prozent gekommen war. Der Amtsinhaber Igor Smirnow, der schon seit 1990 Staatsoberhaupt der zwischen Moldawien und der Ukraine gelegenen kleinen Republik ist, schaffte es mit nur 24,8 Prozent nicht einmal in die zweite Runde. Die vorausgegangene Wahl vor fünf Jahren hatte er noch mit 82,4 Prozent souverän gewonnen.

Eine große Mehrheit der etwa 500.000 Bürger von Pridnestrowje wünscht offenbar grundlegende Veränderungen in der Wirtschafts- und Innenpolitik, nachdem die lange Amtszeit Smirnows mit Korruption, Begünstigung und Erstarrung verbunden wird. Hingegen wird sich außenpolitisch an der engen Verbindung mit Russland – zu dem es keine gemeinsame Grenze gibt – und der Ablehnung eines Anschlusses an Moldawien voraussichtlich nichts ändern. Beim einem Referendum sprachen sich vor fünf Jahren 97,2 Prozent für den Erhalt der Unabhängigkeit mit der Option eines Beitritts zur Russischen Föderation aus. Von Schewtschuk wird allerdings größere Flexibilität bei den Verhandlungen über das künftige Verhältnis zu Moldawien erwartet.

Moskau hatte schon seit einiger Zeit auf ein Ende der Ära Smirnow gesetzt und versucht, den Langzeitpräsidenten von einer nochmaligen Kandidatur abzuhalten. Mit der Begünstigung Kaminskis hatte die russische Regierung allerdings auf das falsche Pferd gesetzt. Doch wird das vermutlich nicht viel ausmachen, da Russland auch in Schewtschuk einen zum Dialog und zur Kooperation bereiten Partner haben wird.

Smirnow hatte nach der ersten Runde vergeblich versucht, das Ergebnis wegen angeblicher Verstöße und Unregelmäßigkeiten anzufechten und die Wahl für null und nichtig erklären zu lassen. Seine in der Volksunion zusammengeschlossenen Anhänger hatten den Amtsinhaber daraufhin aufgefordert, die Zentrale Wahlkommission aufzulösen und den Ausnahmezustand auszurufen. Ein außerordentlicher Kongresses der Volksunion, der am 16. Dezember stattfand, sprach sich für eine „Säuberung“ des Staatsapparats und für energische Zwangsmaßnahmen zur Unterdrückung eines „drohenden Staatsstreichs“ aus. Smirnow verzichtete jedoch auf den Versuch eines gewaltsamen Machterhalts. Vielleicht aus eigener Einsicht, möglicherweise aber auch, weil ihm die Sicherheitskräfte, auf die er sich zwei Jahrzehnte lang stützen konnte, nicht mehr gefolgt wären.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 29. Dezember 2011