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Die Kuscher und der Untergang des christlichen Abendlandes (19.10.2006)

Hurra, wir kapitulieren!

Die Kuscher und der Untergang des christlichen Abendlandes

"Mozart aus Angst vor Islamisten abgesetzt", lautete die deutsche Schreckensbotschaft des Monats September. Ein vielstimmiger Chor, aus dem aber stets überlaut und schrill die Stimme des SPIEGEL-Journalisten Henryk M. Broder herausklingt, verlieh dem Entsetzen über die Kapitulation des Westens vor dem militanten Islam hochdramatischen Ausdruck. "Ich halte das für ein geradezu beklemmendes Zeichen für die Angst vor islamistisch motivierter Gewalt", brachte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse mit letzter Kraft auf der schon von militanten Moslems sturmreif geschossenen schwarz-rot-goldenen Barrikade hervor.

Aber was heißt hier überhaupt noch "militant"? Was soll so eine spitzfindige, eierköpfige, im Grunde selbst bereits vor dem Terrorismus einknickende Differenzierung heute noch angesichts des Sturmangriffs der Horden des Propheten auf die letzten Bastionen des christlichen Abendlandes? In der BILD-Zeitung, und das ist das einzige deutsche Mainstream-Medium, das wirklich zählt, ließ die Redaktion das kleinmütige, unnötig einschränkende Adjektiv "militant" mutig beiseite und prangerte ganz allgemein die westliche "Kapitulation vor dem Islam" an. Und die gleich daneben abgedruckten Leserbriefe zeigten, dass BILD wie so oft auch hier exakt die Stimmung der kleinen und weniger kleinen Leute traf: "Sauerei, wie lange wollen wir uns das noch gefallen lassen? Deutsche, wehrt euch endlich!"

Eine Neuenfels-Inszenierung der Mozart-Oper Idomeneo wurde abgesetzt, in der der abgeschlagene Kopf Mohammeds, neben den Häuptern von Jesus und Buddha, zu sehen sein sollte. Davon steht zwar nichts im Libretto und es widerspricht auch total dem Inhalt und Sinn der Oper. Aber darauf kann es hier nicht ankommen. Regisseure haben selbstverständlich das Recht, Komponisten und Autoren zu vergewaltigen. Zumal, wenn diese schon lange tot sind und die Aufführung nicht mehr kommentieren können.

Warum wurde Idomeneo abgesetzt? Weil die Intendantin der Deutschen Oper in Berlin eine telefonisch übermittelte "Gefahrenanalyse" des Innensenators falsch verstanden hatte? Oder, ganz böse gedacht, weil sie auf den mit der Absetzung verbundenen Werbe-Effekt spekuliert hatte? Denn als ziemlich gesichert erscheint, dass die Oper demnächst doch noch aufgeführt wird. Natürlich, selbstverständlich und berechtigterweise: Die vielberufene Freiheit der Kunst darf und soll sich religiösen Zwängen nicht beugen.

Diese Frage stand allerdings auch gar nicht konkret an. Es gab keine Drohungen gegen die Aufführung. Es gab nicht einmal Kritik an der Inszenierung, die schon vor mehreren Jahren gezeigt worden war. Mehr noch: Man mag sich weltweit umblicken und wird höchstwahrscheinlich keine einzige Theater- oder Opernaufführung in Europa oder Nordamerika finden können, die aufgrund tatsächlicher Einwirkungen von islamischer Seite abgesetzt wurde. Das "Einknicken vor gewalttätigen Islamisten", die "Furcht vor dem Mullah im eigenen Kopf" sind selbstgewollte, wehleidige und zugleich unterschwellig aggressive Inszenierungen. In der Realität gibt es hierzulande keine Einschüchterung durch fanatische Moslems, und vor allem schon gar nicht eine, der man bei realistischer Abwägung aller Umstände unbedingt nachgeben müsste, um unabsehbare Schäden abzuwenden.

Zurück bleibt aber auf Massenebene die dumpfe, gewaltsschwangere Meinung, das grenzenlos gutmütige deutsche Volk lasse sich von Andersgläubigen und Ausländern schon seit langem viel zu viel gefallen. Obwohl die Tatsachen eher auf das Gegenteil hindeuten. Dass eine Intendantin, also vermutlich keine von den ganz Dummen im Lande, diese unter den hiesigen Verhältnissen zwangsläufige Folgewirkung bei ihrer Entscheidung nicht vorausgesehen hat, ist erstaunlich - und letztlich wenig glaubwürdig.

Der Opern-Absage war kurz zuvor das Theater um eine Äußerung des deutschen Papstes Joseph Ratzinger alias Benedikt XVI. vorausgegangen . Ratzinger hatte mit einem Vortrag in der Universität Regensburg am 12. September Widerspruch und Proteste in der islamischen Welt hervorgerufen. Als Reaktion hatten einige hundert Menschen hier und dort Autoreifen oder, wie im besetzten Palästina, auch schon mal eine christliche Kirche angesteckt. Einige stramm pro-westliche Diktatoren, denen im eigenen Land die sozialen und politischen Widersprüche bis zum Hals stehen, wie Ägyptens Mubarak und Pakistans Muscharraf, spielten die Hüter der beleidigten Ehre der Umma, der Gemeinschaft aller Gläubigen.

Daraufhin beklagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, dass Europas Politiker den Papst aus übertriebener politischer Korrektheit und falsch verstandener Toleranz im Stich gelassen hätten. Die Meinungsfreiheit des Papstes müsse unbedingt verteidigt werden. Das Problem seien nicht Ratzingers Äußerungen, "sondern die Reaktionen der Extremisten", stellte Barroso klar.

Auch Roland Koch (CDU) griff zum Schutz Ratzingers zu den geistigen Waffen: Wenn die Moslems klare Worte und Kritik nicht vertragen könnten, stelle sich die Frage nach ihrem Werteverständnis. Und wenn beispielsweise ein großer Teil der türkischen Bevölkerung die Werte des Papstes nicht akzeptieren könne, müsse der Vatikan über Benedikts geplante Reise in die Türkei "neu nachdenken". Dem deutschen Christdemokraten war vermutlich in diesem Moment nicht bewusst, dass er weder Politkommissar noch Reisemanager des Papstes, sondern lediglich ein ganz kleiner hessischer Ministerpräsident ist. Der Vatikan jedenfalls hält an den Reiseplänen fest.

Und Papst Ratzinger? Mindestens fünf Mal unternahm er den ausdrücklichen Versuch, den durch seine Regensburger Ansprache angerichteten Schaden zu begrenzen. Nach einer Stellungnahme des Vatikan-Pressesprechers am 14. und einer langen, sorgfältig formulierten Erklärung des Vatikan-Staatssekretärs am 16. September äußerte der Papst sich selbst am 17. und am 20. September während öffentlicher Auftritte in seiner Sommerresidenz Castel Gandolfo: Er sei missverstanden worden, habe niemand beleidigen wollen, respektiere die Moslems und ihren Glauben, setze sich für den Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften ein. Am 25. September schließlich empfing Benedikt XVI. in Castel Gandolfo die beim Vatikan akkreditierten Botschafter von 21 moslemischen Staaten, um ihnen nochmals die selbe Botschaft vorzutragen.

In Kenntnis des eher starrsinnigen, dogmatischen Charakters von Papst Ratzinger ist eigentlich nur eine einzige Interpretation möglich: Hier hat ein Mann, anders als viele deutsche Politiker und Journalisten, begriffen, dass er einen Fehler begangen hat, und er ist um geistige Wiedergutmachung bemüht. Das immerhin ehrt ihn und unterscheidet ihn von den Krakeelern und Aufhetzern, die um jeden Preis den Clash of Civilizations herbeizuzetern versuchen.

In seinem Regensburger Vortrag hatte Ratzinger den byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaiologos (1350-1425) mit dem Satz zitiert: "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten." - Der Satz findet sich in einer um 1400 erschienenen Sammlung fiktiver Streitgespräche des Kaisers mit einem persischen Gelehrten. Faktisch handelt es sich um eine Propagandaschrift, die die geistige und moralische Überlegenheit des Christentums über den Islam dokumentieren sollte.

Er habe sich die Aussage des Kaisers nicht zueigen machen wollen, versichert Ratzinger seither immer wieder. Mehr kann man von ihm wohl nicht erwarten. Noch nie hat ein Papst einen persönlichen Irrtum eingestanden, was auch schwer wäre, da Päpste nach einem 1870 von Pius IX. verkündeten Dogma unfehlbar sind. Tatsächlich zeigt die Lektüre seines Vortrags - auf der Internetseite des Vatikan zu finden -, dass der Papst den Byzantiner durchaus zustimmend zitiert hat, um nämlich seinen eigenen Diskurs über das Verhältnis zwischen Religion und Gewalt - die Ratzinger durch das Wort "Dschihad" eindeutig mit dem Islam identifizierte - einzuleiten. Dass Benedikt nicht wirklich guten Willens war, wird auch daran deutlich, dass er in seinem Vortrag zunächst die bekannte zweite Sure des Koran beiseite wischte, in der Mohammed eindeutig sagt, dass in Glaubensdingen kein Zwang geübt werden dürfe. Das sei, so Ratzinger, eine ganz frühe Sure, aus einer Zeit, "in der Mohammed selbst noch machtlos und bedroht war". Islamkenner widersprechen: Es handele sich um eine Sure aus späterer Zeit, als Mohammed durchaus schon über Machtmittel verfügte.

Hätte Papst Benedikt in Regensburg ernsthaft, ohne Vorurteile zu schüren, über das Verhältnis von Religion und Gewalt dozieren wollen, hätte er in der Geschichte des Christentums und der Päpste ausreichend Stoff gefunden. Davon stand in seinem Vortrag jedoch kein Wort. Der von Ratzinger zitierte Kaiser Manuel II Palaiologos herrschte nur noch über einen untergehenden Rumpfstaat und war ein machtloser Vasall des Türkenreichs . Aber zur gleichen Zeit war in Spanien die christliche "Reconquista" weiter auf dem Vormarsch, die hundert Jahre später mit der gewaltsamen Vertreibung der Juden und Moslems von der Halbinsel endete. Der letzte der rund 300 Jahre währenden christlichen "Kreuzzüge" zur Eroberung des Nahen Ostens lag kaum drei Jahrzehnte zurück, als der Byzantiner sein Klagelied über den Dschihad anstimmte. Den heiligen Krieg muss kein Papst auf arabisch ansprechen. Kirchenvater Augustinus hat ihn schon im fünften Jahrhundert gerechtfertigt. In lateinischer Sprache, zweihundert Jahre vor Mohammed.

Ratzinger hätte auch keinen byzantinischen Kaiser bemühen müssen, um in Regensburg zu erläutern, "warum Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig ist". Er hat bis zu seiner Wahl als Papst die Kongregation für die Glaubenslehre geleitet, die die direkte Nachfolgerin der 1235 von Gregor IX. eingesetzten Inquisition ist. Deren Archive sind, was die Anwendung von Gewalt "zur höheren Ehre Gottes" angeht, eine wahre Fundgrube. Und wenn Ratzinger schon von der grundsätzlichen Vereinbarkeit zwischen Gauben und Vernunft sprach: Warum erwähnte er nicht, beispielsweise, Giordano Bruno? Der Philosoph ging von der Unendlichkeit des Weltraums und der Ewigkeit des Universums aus, zweifelte damit zentrale Lehren der katholischen Kirche an. Nicht etwa im finsteren Mittelalter, sondern im Jahre 1600 wurde er deshalb im Zentrum Roms verbrannt, auf dem Campo dei Fiori. Die Stadt hat ihm dort Ende des 19. Jahrhunderts ein Denkmal errichtet, sehr zum Unwillen des damaligen Papstes Leo XIII. Inzwischen hat der Vatikan das Urteil gegen Bruno für ungerecht erklärt - im Jahre 2000. Brunos Schriften standen bis 1966 auf dem Index Librorum Prohibitorum, der Liste der Schriften, deren Lektüre für Katholiken verboten ist. Warum gerade bis 1966? Weil in jenem Jahr der Index offiziell abgeschafft wurde.

Im Lukas-Evangelium, 6.41, heißt es: "Wieso siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, bemerkst aber nicht den Balken in deinem eigenen Auge?". Das leuchtet ein, ohne dass man Christ sein müsste. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt, dem Geschrei über die Absage der Idomeneo-Aufführung, wären. Keine Partei hat in Deutschland in den letzten 50 Jahren mehr dafür getan, Kulturschaffende einzuschüchtern, einzuengen, mit Repressalien zu bedrohen als die CDU/CSU. Und keine Partei hat jetzt andererseits mit solcher Inbrunst die Freiheit der Kultur gegen die im konkreten Fall gar nicht vorhandene Bedrohung durch intolerante Moslemfanatiker verteidigt wie die Union. Christentum und Heuchelei, das geht immer noch bestens zusammen.

Knut Mellenthin

Analyse & Kritik, 19. Oktober 2006