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Jüdische Organisationen fordern exemplarische Bestrafung eines Israel-Kritikers

Die Kampagne gegen einen langjährigen Angestellten der Bundeszentrale für Politische Bildung (Junge Welt berichtete) eskaliert. In Schreiben an Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble fordern der Zentralrat der Juden in Deutschland, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin und der Generalsekretär der jüdischen Gemeinden Österreichs die Entlassung von Ludwig Watzal. Die Bundeszentrale für Politische Bildung fällt in die Zuständigkeit Schäubles.

Watzal wird die Veröffentlichung kritischer Artikel über die israelische Besatzungspolitik gegen die Palästinenser vorgeworfen. Unter anderem soll er Israel als "wildgewordene Kolonialmacht" bezeichnet, von "ethnischen Säuberungen" gesprochen und das "legitime Widerstandsrecht" der Palästinenser unterstützt haben.

Einem Bericht der US-amerikanischen Nachrichtenagentur Jewish Telegraphic Agency (JTA) zufolge hat das Bundesinnenministerium bestätigt, dass die drei Briefe, in denen Watzals Entlassung verlangt wird, am 27. März eingegangen seien. Es handelt sich offenbar um eine abgesprochene internationale Aktion. Gleichzeitig hat sich auch die Anti-Defamation League, eine der rührigsten und einflussreichsten jüdischen Organisationen der USA, mit einem ähnlichen Schreiben an den Präsidenten der Bundeszentrale, Thomas Krüger gewandt.

Es gibt für die neuen Angriffe gegen Watzal keinen aktuellen Anlass. Alle Vorwürfe beziehen sich auf Artikel, die schon vor mehreren Monaten oder sogar Jahren veröffentlicht wurden. Das Ziel besteht erkennbar darin, die seit langem betriebene Kampagne gegen Watzal jetzt durch einen massiven konzertierten Einsatz zum erfolgreichen Abschluss zu bringen. Es scheint dabei weniger um die Person zu gehen, als um das Ziel, durch exemplarische Bestrafung eines Israel-Kritikers einen einschüchternden Effekt zu erzielen. Die Wortführer dieser Kampagne berufen sich dabei auf die in der Europäischen Union vor drei Jahren verabschiedete "Arbeitsdefinition des Antisemitismus". Dort wird erstmals der Begriff des Antisemitismus ganz offiziell auf Kritik an der israelischen Regierungspolitik ausgeweitet. In der Öffentlichkeit fand dieses Dokument bisher kaum Beachtung. Die Angriffe gegen Watzal dienen auch dazu, jetzt die praktische Umsetzung der tendenziösen Neudefinition einzufordern. Wenn das in diesem Fall gelänge, wäre ein Beispiel für künftige Kampagnen gesetzt.

Der Tagesspiegel berichtete am 4. April unter Berufung auf Mitarbeiter des Innenministeriums, dass Schäuble die Schreiben der jüdischen Organisationen "sehr ernst" nehme. Der Minister habe eine "zeitnahe" Antwort noch in diesem Monat versprochen. Ebenfalls dem Tagesspiegel zufolge erklärte Raul Gersson, Sprecher der Bundeszentrale für Politische Bildung, dass "arbeitsrechtliche Schritte bis hin zu einer Kündigung" gegen Watzal erwogen würden.

Unterdessen hat der Angegriffene auf seiner Website eine Droh-Mail veröffentlicht, die ihm zugeschickt wurde. Die anonymen Absender, die sich als "russische Juden" ausgeben, die in Tschetschenien und Afghanistan gekämpft hätten, drohen in obszöner Sprache mit der Ermordung Watzals.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 10. April 2008