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Vor dem Angriff

Pakistan bereitet Großoffensive gegen Wasiristan vor. Neue Flüchtlingswelle droht.

Die pakistanische Luftwaffe hat am Mittwoch ihre Angriffe auf das in den sogenannten Stammesgebieten gelegene Südwasiristan fortgesetzt. Angeblich wurden mehrere „Taliban-Stützpunkte“ bombardiert und beschossen, wobei mindestens 14 Aufständische getötet wurden. In Wirklichkeit handelt es sich bei diesen Berichten stets nur um Phantasiezahlen, da die Streitkräfte keine Kontrolle über die Ergebnisse der Luftangriffe haben. Schon seit Juni hat die Regierung eine Bodenoffensive gegen Nord- und Südwasiristan als unmittelbar bevorstehend angekündigt. Wasiristan gilt als Zentrum der Aufstandstätigkeit. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass Militäroperationen dort sehr viel schwieriger und langwieriger verlaufen würden als die Offensive gegen Swat und einige andere Bezirke im Frühjahr, die annähernd zwei Monate dauerte. Etwa 28.000 Soldaten stehen bereit zum Angriff auf das Gebiet, in dem 10.000 gut bewaffnete Aufständische vermutet werden.

Mittlerweile läuft den Militärs die Zeit davon, denn in etwa sechs Wochen, Ende November, wird in Wasiristan mit dem Einsetzen des Winters gerechnet. Das würde zum einen die Operationen der Streitkräfte am Boden sehr belasten, gleichzeitig aber auch das Leid der zu erwartenden Flüchtlingsmassen vergrößern und ihre Versorgung erschweren. Nach Angaben des Verwaltungschef von Südwasiristan sind schon 90.000 Menschen von dort in Nachbarbezirke geflohen. Diese Zahl wurde allerdings am 1. August registriert; inzwischen dürfte sie erheblich höher liegen. Die Fluchtbewegung ist eine Reaktion auf die ständigen Luftangriffe, aber auch auf die Abriegelung Wasiristans durch das Militär, die zum Zusammenbruch der Lebensmittelversorgung geführt hat.

Unterdessen verhandelt ein Gericht in Peschawar, der Hauptstadt der Nordwestprovinz, über eine Klage, die von zwei Angehörigen des paschtunischen Mahsud-Stammes angestrengt wurde. Die beiden fechten eine Verfügung des Verwaltungschefs von Südwasiristan an, die dieser am 14. Juni erlassen hat. Sie weist die Behörden in ganz Pakistan an, alle außerhalb Südwasiristans lebenden Stammesmitglieder zu verhaften und ihren Besitz zu beschlagnahmen. Begründet wurde der Erlass damit, dass die Stammesältesten der Mahsud sich geweigert hätten, der Forderung nach Auslieferung von „Terroristen“ Folge zu leisten, und dass sie „unfreundlich“ gegenüber dem pakistanischen Staat seien.

 

Grundlage solcher Verfügungen ist die Frontier Crime Regulation (FCR), die auf die Zeit der britischen Kolonialherrschaft zurückgeht. Sie stellt die von Paschtunen bewohnten Stammesgebiete (FATA) unter Sonderrecht. Die FRC erlaubt unter anderem die Anwendung von Kollektivstrafen. So können Verwandte angeblicher Straftäter in Haft genommen werden, ihr Besitz darf eingezogen, ihre Häuser dürfen zerstört werden. Die regierende Volkspartei hatte unter ihrer im Dezember 2007 ermordeten Chefin Benazir Bhutto eine „Überprüfung“ der FCR versprochen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 15. Oktober 2009