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"Todesschwadronen" in Pakistan

Schon mindestens 200 anonyme Leichen am Straßenrand. Taliban bestätigen Tod ihres Anführers bei US-Angriff.

Nach dem Abschluss der Großoffensive der pakistanischen Streitkräfte gegen die Taliban in drei Bezirken der Nordwest-Grenzprovinz (NWFP) folgt nun die „Hinrichtung“ von Gefangenen und Verdächtigen. Seit Mitte Juli werden an zwei zentralen Verbindungsstraßen der Provinz fast täglich mehrere Leichen gefunden. Pakistanische Medien schätzen die Gesamtzahl auf rund 200, doch dürfte sie noch höher liegen, weil nicht alle Fälle bekannt werden. Bei den Toten handelt es sich überwiegend um junge Männer. Den meisten wurden die Arme auf dem Rücken gefesselt und die Augen verbunden, bevor sie mit mehreren Schüssen getötet wurden. Die Leichen liegen in Gebieten, in denen vor einigen Wochen Kämpfe stattgefunden hatten. Viele Tote werden im Swat-Tal gefunden, das bis zu den Operationen der Streitkräfte als Taliban-Hochburg galt.

Einheimische beschuldigen Angehörige der Sicherheitskräfte, in „außergerichtlicher Selbstjustiz“ gefangene Aufständische, aber auch festgenommene Verdächtige zu erschießen. Ein Sprecher der unabhängigen Menschenrechtskommission Pakistans erklärte gegenüber der britischen Nachrichtenagentur Reuters diesen Verdacht für plausibel. Seine Organisation fordert eine gründliche Untersuchung, wer die Toten sind und wer sie erschossen haben könnte. Bisher sei jedoch von Seiten der Behörden nichts geschehen, klagte der Sprecher. Die meisten Toten werden nicht einmal identifiziert.

Der Pressesprecher der Streitkräfte, Generalmajor Athar Abbas, wies am Dienstag den Verdacht gegen Militärangehörige kategorisch zurück. Bei den Hinrichtungen könne es sich um “Racheakte der örtlichen Bevölkerung” handeln. Gemeint sind damit in erster Linie die Laschkars: traditionelle Stammesmilizen, die nur vorübergehend, zu einem bestimmten Anlass und Zweck gebildet werden, wobei jede Familie, Großfamilie oder Dorfgemeinschaft verpflichtet ist, eine festgelegte Zahl von Kämpfern zu stellen. Die Aufstellung von Laschkars zur Bekämpfung der Taliban wird von den Behörden und vom Militär stark gefördert. Gelegentlich wird sie sogar durch die Androhung kollektiver Strafmaßnahmen erzwungen. Dieses System ist durch Gesetze gesichert, die einst die britischen Kolonialherren in den sogenannten Stammesgebieten einführten und die im Wesentlichen immer noch in Kraft sind. Der militärische Wert dieser Trupps im Kampf gegen die Taliban ist fragwürdig, zumal die Laschkars oft mehr an der Begleichung alter Rechnungen mit einzelnen Familien, Nachbargemeinden oder Konkurrenten im Schmuggelgeschäft interessiert sind.

Dass Laschkar-Angehörige an den Hinrichtungen beteiligt sind, ist ein naheliegender Verdacht. Einen ersten Fall von gezielten Tötungen hatte es Mitte Juli gegeben. Damals waren an verschiedenen Stellen des Bezirks Malakand drei Männer ermordet aufgefunden worden. Die Leichen waren über Nacht gut sichtbar an zentralen Orten – einem Marktplatz, einem Basar und einer Hauptstraße – an Leitungsmasten aufgehängt worden. Unten an den Masten waren Zettel angebracht worden, die die Toten als Kämpfer oder Unterstützer der Taliban bezeichneten. Bei den in den letzten Wochen an Hauptverkehrsstraßen abgelegten Leichen gab es solche klaren Hinweise nicht.

Unterdessen hat die bedeutendste Taliban-Organisation der „Stammesgebiete“, die TTP, am Mittwoch den Tod ihres Führers, Baitullah Mehsud, bestätigt. Er sei am Wochenende an den Verletzungen gestorben, die er am 5. August beim Angriff einer US-amerikanischen Drohne auf das Haus seines Schwiegervaters erlitten hatte, ohne noch einmal das Bewusstsein wiederzuerlangen. Die pakistanische Regierung und US-amerikanische Militärs hatten schon kurz nach dem Angriff behauptet, dass Baitullah getötet worden sei, doch hatte die TTP diesen Berichten bisher widersprochen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 26. August 2009