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"Tiefe Enttäuschung" über Obama

Scharfe pakistanische Kritik an Drohnenangriff der USA. Taliban brechen Verhandlungen über Waffenstillstand ab.

Pakistans neuer Regierungschef Nawaz Sharif hat den jüngsten US-amerikanischen Drohnenangriff scharf verurteilt. Ein unbemannter Flugkörper hatte am Mittwochmorgen zwei Raketen auf ein Haus im Bezirk Nordwasiristan abgeschossen. Dabei starben nach Angaben der bedeutendsten pakistanischen Talibanorganisation, der TTP, deren „Nummer Zwei“, Wali ur-Rehman, und sechs weitere Männer.

Am Freitag übergab ein Mitarbeiter Sharifs dem geschäftsführenden amerikanischen Botschafter Richard Hoagland eine Stellungnahme, in der jener „seine ernste Besorgnis und tiefe Enttäuschung“ über die Attacke ausdrückte. Diese sei „höchst bedauerlich“, besonders weil die Rede von Präsident Barack Obama eine Woche zuvor in Pakistan Hoffnungen auf eine Änderung der bisherigen Praxis ausgelöst habe. „Der Drohnenangriff war nicht nur eine Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität unseres Landes, sondern auch eine Handlung, die eine Verletzung internationalen Rechts und der Charta der Vereinten Nationen darstellt.“ 

Sharifs Partei, die konservative PML-N, war aus den Parlamentswahlen am 11. Mai als klare Siegerin hervorgegangen und verfügt jetzt in der Nationalversammlung, deren Mitglieder am Sonnabend vereidigt wurden, auch ohne Koalitionspartner über eine absolute Mehrheit. Die förmliche Wahl des neuen Premierministers durch die Abgeordneten soll am Mittwoch stattfinden. Der 63jährige Politiker, der schon in den 1990er Jahren zwei Mal die Regierung führte, hat die Drohnenangriffe immer wieder kritisiert und eine schärfere Konfrontation mit den USA zu diesem Thema angekündigt.

Die Obama-Administration hatte auf den jetzt offenbar ums Leben gekommenen Rehman ein Kopfgeld von fünf Millionen Dollar ausgesetzt. Sie warf ihm vor, Aktionen gegen die Besatzungstruppen der USA und anderer NATO-Staaten in Afghanistan organisiert zu haben. Pakistanische Medien vermuten jedoch, dass für die gezielte Tötung des 42Jährigen ein anderer Grund ausschlaggebend war: Rehman stand angeblich Verhandlungen mit der pakistanischen Regierung über einen Waffenstillstand aufgeschlossener gegenüber als TTP-Chef Hakimullah Mehsud. Ein entsprechendes Angebot hatten die Taliban im Dezember vorigen Jahres gemacht. Sharif hat sich dafür ausgesprochen, die Chancen einer politischen Konfliktlösung und einer „nationalen Versöhnung“ praktisch zu erproben. Dagegen steht die Führung der pakistanischen Streitkräfte solchen Versuchen offen ablehnend gegenüber, sofern die Taliban sich nicht zuvor den bekannten drei Forderungen der US-Regierung unterwerfen: „der Gewalt abzuschwören“, ihre Waffen abzuliefern sowie Verfassung und Gesetze des Landes anzuerkennen.

Nach der Ermordung Rehmans hat die TTP den Abbruch der Kontakte bekannt gegeben. Das wird damit begründet, dass die pakistanische Regierung die Drohnenangriffe nicht nur billige, sondern sie durch die Lieferung von Informationen sogar unterstütze.  

Knut Mellenthin

Junge Welt, 3. Juni 2013