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Sinkendes Schiff
Mit der Senkung des Benzinpreises auf sein altes Niveau hat sich das pakistanische Regierung nur eine Atempause verschafft
Nach der Rücknahme der Benzinpreiserhöhung am Freitag scheint die pakistanische Regierung vorerst gesichert. Bei einem Besuch von Premierminister Yusuf Raza Gilani im Hauptquartier der Muttahida-Qaumi-Bewegung in Karatschi gab die Partei ihr Einverständnis, in die Koalition zurückkehren. Die MQM, die vor allem als Vertreterin der aus Indien zugewanderten Bevölkerungsgruppe gilt, hatte am Wochenende ihre beiden Minister aus der Regierung abgezogen und sich offiziell der Opposition angeschlossen. Als wesentlichen, wenn auch keineswegs einzigen Dissenspunkt hatte sie den Benzinpreis genannt. Falls die MQM jetzt ihre Ankündigung wahr macht, hätte Gilani wieder eine parlamentarische Mehrheit.
Die Erhöhung des Benzinpreises um mehr als neun Prozent war zum 1. Januar in Kraft getreten. Sie ist Teil eines umfangreichen Pakets von einschneidenden Maßnahmen, das der Weltwährungsfond (IMF) dem Land als Voraussetzung für die Auszahlung von bereits grundsätzlich bewilligten Milliarden-Krediten aufzwingen will. Darüber hinaus fordert der IMF unter anderem die Einführung einer Mehrwertsteuer, die die gesamte Bevölkerung belasten würde, eine kräftige Erhöhung der Strompreise, eine „Steuerreform“ und eine Senkung der Staatsausgaben, die hauptsächlich zu Lasten der Infrastruktur (Straßen, Brücken, Eisenbahnen, Kraftwerke) und der Bildung gehen würde. Bis Pakistan sich dem Diktat zum „Gürtel-enger-Schnallen“ unterwirft, hält der IMF 3,5 von den 11,3 Milliarden Dollar zurück, die er 2008 zugesagt hatte. Praktisch benötigt das Land das Geld ohnehin nur, um die Zinsen und Abzahlungen für seine Schulden, mehr als drei Milliarden Dollar jährlich, bedienen zu können. Insgesamt steht Pakistan bei weiter steigender Tendenz jetzt schon mit rund 53 Milliarden in der Kreide.
Die Flutkatastrophe im vorigen Jahr hat das Land überdies ungeheuer zurückgeworfen und noch weiter von einer Sanierung seiner Wirtschaft und Finanzen entfernt. Die Schäden werden meist zwischen 8 und 10 Milliarden geschätzt, doch bezieht sich das nur auf den Zeitwert, nicht aber auf die realen Wiederbeschaffungskosten. Die wirkliche Belastung der Volkswirtschaft durch das Indus-Hochwasser, von dem mehr als 20 Millionen Menschen betroffen wurden, liegt vermutlich zwischen 30 und 40 Milliarden. Dagegen stehen nicht einmal drei Milliarden Dollar internationale Hilfsgelder, die Pakistan erhalten hat.
Erwartungsgemäß haben die US-Regierung und der IMF sofort negativ auf die Rücknahme der Benzinpreiserhöhung reagiert. Außenministerin Hillary Clinton sprach von einem „Fehler“, auf dessen Korrektur man drängen werde. Mark Toner, ein Sprecher des State Department, wiederholte die bekannte Forderung Washingtons, dass Pakistan „schwierige ökonomische Reformen“ auf sich nehmen müsse, „die ein bisschen Schmerzen verursachen“.
Indessen hat der Benzinpreis zwar in den parteipolitischen Auseinandersetzungen Pakistans einen hohen Stellenwert, steht aber letztlich nur als Symbol für viele andere soziale und wirtschaftliche Probleme. Eine entscheidende Frage wird sein, ob die Regierung in Islamabad sich wirklich auf einen umfassenden Konflikt mit den USA und dem IMF einlassen will. Anderenfalls würde trotz der jetzt anscheinend erreichten Teilbereinigung der Regierungskrise die ohnehin sehr niedrige Popularität von Gilanis Team noch weiter abnehmen. Zugleich würde das die Unlust aller Parteien steigern, sich mit dem „sinkenden Schiff“, der Volkspartei (PPP) des Premiers, in allzu enge Zusammenarbeit einzulassen.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 8. Januar 2011