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Pakistan: Terror gegen Schiiten

Mindestens 20 Schiiten wurden am Donnerstag in Nordpakistan von Unbekannten getötet. Die Opfer befanden sich im einem Konvoi von drei oder vier Kleinbussen, die von Rawalpindi nach Gilgit unterwegs waren. Die Mörder stoppten die Fahrzeuge in einer einsamen Berggegend, ließen alle Insassen aussteigen, kontrollierten ihre Personalausweise und erschossen sie dann. Einige überlebten verletzt. Nach ersten Berichten soll es sich um zehn bis zwölf, möglicherweise auch mehr als fünfzehn Angreifer gehandelt haben, die Militäruniformen trugen.

Es gab zunächst keine „Bekennererklärungen“. Spontan werden Morde an Schiiten und anderen religiösen Minderheitsgruppen Pakistans stets mit extremistischen Sunniten in Zusammenhang gebracht, die alle anderen Fraktionen und Strömungen innerhalb des Islam als „Ungläubige“ betrachten und gewaltsam bekämpfen. Pakistanische Medien wiesen darauf hin, dass der Überfall vom Donnerstag bereits die dritte derartige Tat innerhalb von sechs Monaten war. Am 28 Februar hatten Männer in Militärkleidung an der selben Busstrecke im Bezirk Kohistan 18 Schiiten erschossen, die von einer Pilgerfahrt zu heiligen Stätten im Iran zurückkehrten. Am 3. April zerrte ein Pogrom-Mob bewaffneter Sunniten in der Stadt Chilas, 100 Kilometer südlich von Gilgit, neun Schiiten aus einem Bus und ermordete sie.

Die Region Gilgit-Baltistan liegt nördlich von Kaschmir, weit entfernt von den sogenannten Stammesgebieten im Nordwesten, wo sich die Hochburgen der pakistanischen Taliban befinden. Viele der religiös und ethnisch stark differenzierten Bewohner der Region, vielleicht sogar deren Mehrheit, sind Schiiten. Schätzungen über den Anteil dieser Gruppe an der Bevölkerung Pakistans bewegen sich in einer Bandbreite zwischen 5 und 20 Prozent.

Angesichts des Erschreckens über das Massaker in Gilgit-Baltistan fand ein weiterer offenbar nationalistisch-sektiererisch motivierter Mord am selben Tag kaum internationale Beobachtung: In Quetta, der Hauptstadt der Provinz Balutschistan, erschossen Unbekannte drei Männer, die zur Bevölkerungsgruppe der Hazara gehörten. Laut Polizeiberichten handelte es sich um Arbeiter, die zu dem während des Ramadan üblichen täglichen Fastenbrechen nach Hause wollten. Sie fuhren gemeinsam mit einer Motor-Rikscha, als mehrere Attentäter das Feuer auf sie eröffneten. Eine bisher wenig oder gar nicht bekannte Organisation namens Jaisch-i-Islam behauptet, die Tat begangen zu haben. Hazara leben vor allem in Teilen Afghanistans und sind überwiegend Schiiten. Quetta hat eine starke Hazara-Community, hauptsächlich afghanische Flüchtlinge.

Extremistische Sunniten führen in Pakistan schon seit Jahren einen Terrorkrieg gegen die schiitische Bevölkerung, dem Hunderte von Menschen zum Opfer gefallen sind. Bevorzugte Mittel sind Bombenanschläge gegen Märkte schiitischer Viertel und gegen Moscheen während des Gottesdienstes.

Ebenfalls am Donnerstag griff eine aus neun Männern bestehende Kampfgruppe der Organisation Tehreek-i-Taliban Pakistan (TTP) den Luftwaffenstützpunkt Minhas bei Kamra, rund 70 Kilometer von der Hauptstadt Islamabad entfernt, an. In dem fünfstündigen Feuergefecht kamen nach offiziellen Angaben alle Angreifer und zwei pakistanische Soldaten ums Leben. TTP-Sprecher Ehsanulla Ehsan behauptete später, dass „mehr als ein Dutzend“ Angehörige der Sicherheitskräfte getötet und drei Kampfflugzeuge zerstört werden seien. Dagegen räumten Luftwaffenoffiziere nur die Beschädigung eines Flugzeugs durch den Beschuss mit Panzerfäusten ein.

Der Stützpunktkomplex bei Kamra war schon am 23. Oktober 2009 Ziel eines Angriffs durch einen Selbstmordattentäter. Diesem war es damals aber nicht gelungen, in das außerordentlich stark gesicherte Areal einzudringen. Der Angriff vom Donnerstag war der schwerste, seit Taliban am 22. Mai 2011 das Hauptquartier der Marineluftwaffe in Mehran bei Karatschi überfallen hatten.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 18. August 2012