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Memogate

Ein absurder, aber aufschlussreicher Skandal erschüttert Pakistan

Pakistans Botschafter in den USA, Husain Haqqani, ist am Mittwoch auf Wunsch von Premierminister Yousuf Raza Gilani zurückgetreten. Damit hat die „Memogate“-Affäre ein erstes Opfer gefordert.

Der zwielichtige US-amerikanische Geschäftsmann Mansoor Ijaz, in Florida geborener Sohn eines pakistanischen Atomphysikers, hatte am 10. Oktober in der Financial Times einen Kommentar veröffentlicht, der den Skandal auslöste. Der Autor griff darin heftig den pakistanischen Geheimdienst ISI als „dschihadistische Spione“ an. Ganz speziell forderte er das State Department auf, die S-Abteilung des Dienstes, die angeblich für die Beziehungen zu den afghanischen Taliban zuständig ist, zu einer Förderorganisation des Terrorismus zu erklären.

Ijaz leitete seinen Artikel mit einigen brisanten Sätzen ein: „Frühmorgens am 9. Mai, eine Woche, nachdem US-amerikanische Spezialkräfte das Versteck von Bin Laden gestürmt und ihn getötet hatten, rief ein bedeutender pakistanischer Diplomat mich mit einer dringenden Bitte an. Asif Ali Zardari habe eine Botschaft an die Verantwortlichen des Weißen Hauses für die Nationale Sicherheit zu übermitteln.“ Der pakistanische Präsident fürchte nach der demütigenden US-amerikanischen Aktion eine Machtübernahme durch das Militär und brauche „eine amerikanische Faust auf dem Schreibtisch seines Armeechefs“.

Der Verdacht, er könne der erwähnte Diplomat gewesen sein, fiel schnell auf Haqqani, dem immer wieder vorgeworfen wurde, dass er seinem Gastland gegenüber loyaler sei als es eigentlich mit seiner Stellung zu vereinbaren war. Unter anderem hatte der Botschafter maßgeblich dazu beigetragen, dass Hunderte von US-Amerikanern, darunter viele CIA-Mitarbeiter, ungeprüft und im Schnellverfahren mit Visa ausgestattet worden waren. Nicht umsonst bezeichnete der Neocon-Sender Fox News Haqqani am 17. November als „Top Advocate“ der USA.

Der Skandal kochte aber erst in der vorigen Woche über, als der frühere Stabschef der US-Streitkräfte, Admiral Mike Mullen – den Ijaz inzwischen als Adressaten der angeblich von Präsident Zardari stammenden Botschaft genannt hatte – nach anfänglichem Leugnen zugab, dass er das Memorandum tatsächlich bekommen hatte. Er habe es aber nicht für glaubwürdig gehalten und keine Notiz davon genommen.

Zur gleichen Zeit leitete Ijaz das Papier mehreren Zeitungen zu. Es trägt weder ein Datum noch eine Unterschrift. Die unbekannten Verfasser appellierten darin an Mullen, der pakistanischen Regierung bei der Ausschaltung der derzeitigen Führungen von Militär und ISI behilflich zu sein. An ihre Stelle sollte ein „neues nationales Sicherheitsteam“ treten, bestehend aus Personen mit langjährigen vertrauensvollen Beziehungen zu den USA.

Für ihre Hilfe bei diesem Staatsstreich wurde der US-Regierung unter anderem grünes Licht für Militäroperationen auf pakistanischem Boden und ein „verifizierbareres, transparenteres Regime“ über die pakistanischen Atomwaffen versprochen.

Haqqani bestreitet nach wie vor, der Verfasser oder Überbringer des Papiers gewesen zu sein. Dagegen hat Ijaz ausdrücklich bestätigt, dass der Botschafter der Anrufer gewesen sei, und hält an dieser Version fest. Möglicherweise handelte es sich um eine Provokation des Geschäftsmannes, der der schon mehrfach mit dubiosen Aktionen und Angeboten in Erscheinung getreten ist Die im Dezember 2007 ermordete frühere Regierungschefin Benazir Bhutto hatte vor Ijaz gewarnt, da er vermutlich ein Doppelagent sei: für Israel – wohin er in der Tat intensive und ausgezeichnete Beziehungen pflegt -, aber auch für den ISI.

Die Affäre soll nun gründlich untersucht werden. Zunächst wird sich am Freitag der Parlamentsausschuss für Nationale Sicherheit mit der Angelegenheit befassen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 24. November 2011