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Kämpfe in Wasiristan
Der lange erwartete Großangriff der pakistanischen Armee hat begonnen.
Die Offensive der pakistanischen Streitkräfte gegen die Stammesmilizen in Südwasiristan stößt auf heftigen Widerstand. Zwei Divisionen der Armee, insgesamt rund 28.000 Mann, begannen am frühen Samstagmorgen aus drei Richtungen mit dem Einmarsch in das Gebiet, das als Stützpunkt der Dachorganisation Tehrik-i-Taliban (TTP) gilt. Schätzungen über die Stärke der gut bewaffneten Rebellen, die überwiegend zum Stamm der Mehsud gehören, liegen zwischen 5000 und 10.000. Hinzu kommen sollen angeblich 1000 bis 1500 ausländische Kämpfer, vor allem Usbeken.
Die politische und militärische Führung hatte schon seit Anfang Juni immer wieder einen Großangriff gegen Südwasiristan als kurz bevorstehend angekündigt. Die Armee hatte sich aber zunächst darauf beschränkt, alle in das Gebiet führenden Straßen abzuriegeln und mutmaßliche Stellungen der Taliban zu bombardieren oder mit schwerer Artillerie zu beschießen. Die totale Blockade Südwasiristans hatte einen Zusammenbruch der Versorgung mit Lebensmitteln, Heizöl und Benzin zur Folge. Das trieb, zusammen mit den täglichen Luftangriffen, zehntausende Bewohner zur Flucht. Die pakistanischen Behörden sind, anders als während des Feldzugs gegen Swat im Mai, diesmal mit der Veröffentlichung von Zahlen sehr zurückhaltend. Hilfsorganisationen rechnen mit derzeit schon über 150.000 Flüchtlingen.
Südwasiristan ist rund 6500 Quadratkilometer groß. Normalerweise leben dort ungefähr eine halbe Million Menschen. Große Teile der Region sind hochgebirgig, dünn besiedelt und schwer zugänglich. Nach Aussagen von Armeesprecher Generalmajor Athar Abbas soll die Offensive sich auf ein sichelförmiges Gebiet im Norden konzentrieren, das ungefähr die Hälfte der Fläche Südwasiristans ausmacht. Eine solche Begrenzung wird aber angesichts der Mobilität der Stammeskrieger und ihrer Verbundenheit untereinander kaum aufrecht zu erhalten sein.
Daher rechnen pakistanische Beobachter damit, dass die Bodenkämpfe sich auf Nordwasiristan und andere Teile der sogenannten Stammesgebiete ausweiten werden. Diese umfassen insgesamt über 27.200 Quadratkilometer mit etwa 5,6 Millionen Einwohnern. Sie bilden unter dem Namen Bundestaatlich Verwaltete Stammesgebiete (FATA) eine besondere politische Einheit außerhalb der vier Provinzen, in die Pakistan eingeteilt ist. In den FATA gilt nicht die Landesverfassung, sondern ein von den früheren britischen Kolonialherren übernommenes diskriminierendes Sonderrecht. Dieses erlaubt unter anderem die Anwendung von Kollektivstrafen. So können die Bewohner nicht nur für die Taten von Familienangehörigen, sondern auch von Mitgliedern ihres Clans oder Stammes zur Rechenschaft gezogen werden. Das kann durch Inhaftierung, aber auch durch Beschlagnahme ihres Eigentums und Zerstörung ihrer Häuser geschehen.
Die jetzt begonnene Offensive der Armee, die durch halbmilitärische regionale Polizeikräfte unterstützt wird, steht unter einem enormen Zeitdruck. Gegen Ende November, also in etwa sechs Wochen, wird mit dem Beginn der Winterschneefälle gerechnet. Dann werden viele Straßen und Wege in den Stammesgebieten für Militärfahrzeuge unpassierbar sein. Andererseits kalkuliert die Armeeführung darauf, dass die Winterkälte die Taliban aus ihren Höhlenverstecken in den Bergen treiben wird.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 18. Oktober 2009