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Hunderttausende auf der Flucht

Regierungsoffensive in Nordwest-Pakistan wird fortgesetzt.

Bis zu einer Million Menschen sind auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in Nordwest-Pakistan. Fast 600.000 Flüchtlinge sind in dieser Region beim Welternährungsprogramm der UNO registriert. Hinzu kommt, dass viele Vertriebene nicht erfasst sind, weil sie bei Angehörigen ihrer Großfamilie oder Freunden Unterkunft gefunden haben. Deshalb halten die pakistanischen Behörden eine Gesamtzahl von einer Million für realistisch.

Bei diesen Berechnungen handelt es sich jedoch immer nur um Momentaufnahmen. Viele Flüchtlinge kehren in ihre Wohnorte zurück, sobald sich dort die Lage zu beruhigen scheint. Zehntausende, vielleicht sogar Hunderttausende wurden auf diese Weise schon mehrmals vertrieben, seit die Regierung in Islamabad vor etwa sechs Jahren unter massivem US-amerikanischen Druck mit dem Krieg gegen die sogenannten Stammesgebiete begann. Insgesamt leben dort etwa 18 Millionen Menschen.

Allein im Bezirk Bajaur – dem bisher einzigen, der von den pakistanischen Sicherheitskräften nahezu vollständig von bewaffneten Taliban „gesäubert“ wurde – war im Sommer und Herbst vorigen Jahres fast die Hälfte der 700.000 Einwohner auf der Flucht. Die meisten sind inzwischen in ihre Wohnorte zurückgekehrt.

Viele Flüchtlinge sind Opfer systematischer Vertreibung durch das Militär. Von Hubschraubern aus werden Flugblätter abgeworfen, in denen die Bevölkerung aufgefordert wird, sofort bestimmte Gebiete zu räumen, da diese in wenigen Stunden bombardiert würden. Die Blätter enthalten genau Verhaltensanweisungen, bei deren Nichtbeachtung das Risiko tödlicher Angriffe der „Sicherheitskräfte“ droht. Die Behörden treffen in der Regel keine Vorsorge-Maßnahmen zur Unterbringung und Versorgung der Flüchtlingsmassen.

Unterdessen haben die Streitkräfte ihre am Dienstag begonnene Offensive im Bezirk Buner fortgesetzt und den Hauptort Dagar eingenommen. Bei Gegenaktionen stürmten die Taliban am Mittwoch drei Polizeistationen und nahmen 43 Angehörige der Grenztruppen und 17 Polizisten gefangen. Auch aus dem Bezirk Dir, der nach einer am vorigen Sonnabend begonnenen Offensive angeblich vollständig von den Sicherheitskräften kontrolliert wird, wurden neue Kämpfe gemeldet.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 30. April 2009