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Doppelagent als Kronzeuge
Der Mumbai-Prozess in den USA bietet Stoff für neue Verdächtigungen gegen Pakistan.
Spekulationen über eine Zusammenarbeit der pakistanischen Behörden mit Terrorgruppen erhalten durch einen in Chicago stattfindenden Prozess Auftrieb. Gleich zu Beginn der Verhandlungen am Montag wurde der Kronzeuge der Anklage, David Headley, aufgerufen und erhob schwere Vorwürfe gegen den pakistanischen Geheimdienst. Der ISI habe eine zentrale Rolle bei den Aktionen eines Terrorkommandos in der indischen Hafenstadt Mumbai im November 2008 gespielt, behauptete Headley. Damals wurden 166 Menschen getötet, darunter sechs US-Amerikaner.
Der einzige beim Prozess anwesende Angeklagte ist der aus Pakistan stammende kanadische Geschäftsmann Tahawwur Rana. Weitere sechs Personen, alles Pakistaner, sind in Abwesenheit angeklagt. Die Staatsanwaltschaft verweigerte am Montag jede Antwort auf die naheliegende Frage, ob Auslieferungsanträge gestellt seien. Mindestens einer dieser Angeklagten soll ein Offizier des ISI sein. Mehrere andere sollen der Führung der militant islamistischen Organisation Lashkar-e-Taiba (LeT) angehören, die für das Massaker in Mumbai verantwortlich gemacht wird.
Seinem eigenen Geständnis zufolge hat Headley, in Washington geborener Sohn einer US-Bürgerin und eines pakistanischen Diplomaten, seit 2006 bei mehreren Reisen nach Mumbai die Angriffsziele ausgekundschaftet und gefilmt. Durch den Kronzeugen-Deal mit dem Justizministerium ist Headley sicher vor der Todesstrafe oder einer Auslieferung an Indien. Der gesamte jetzt angelaufene Prozess stützt sich ausschließlich auf die Erzählungen und Vermutungen dieses einen Zeugen.
Der in Chicago vor Gericht stehende Rana ist ein langjähriger Freund von Headley. Die beiden kennen sich seit ihrer gemeinsamen Schülerzeit in einem von den pakistanischen Streitkräften betriebenen Elite-Internat. Die Anklage wirft dem Geschäftsmann vor, Headley bei der Vorbereitung der Terrorangriffe unterstützt zu haben. Konkret soll Ranas Mitwirkung jedoch lediglich darin bestanden haben, dass er Headley gestattete, sich als Vertreter seines Unternehmens auszugeben und in seinem Namen ein Büro in Mumbai zu eröffnen, um seine häufigen Reisen dorthin zu tarnen.
Die Jury müsste sich also im Wesentlichen mit der Frage beschäftigen, ob Rana in Headleys Pläne und Aktivitäten eingeweiht war oder nicht. Der Kronzeuge behauptet das, der Kanadier bestreitet es. Nach Ranas Darstellung habe Headley ihm lediglich erzählt, er arbeite für den ISI, und das habe er aus Loyalität zu seinem Heimatland unterstützen wollen.
Schon am ersten Verhandlungstag argumentierten Ranas Verteidiger, dass Headley ein notorischer Lügner und Betrüger sei, der „mehrere Leben gelebt“ habe. Seinen alten Freund habe er ebenso „manipuliert“ wie die drei Frauen, mit denen er illegal gleichzeitig verheiratet war, und die US-Behörden. Besonders dieser Aspekt könnte das Gericht noch beschäftigen. Schon Ende der 1990er Jahre war Headley mehrfach als Drogendealer erwischt worden, was ihm eine Kronzeugenrolle in mehreren Prozessen gegen seine Freunde und schließlich eine internationale Agententätigkeit für die US-amerikanische Drogenbehörde DEA eintrug. Oft arbeiten deren im Ausland eingesetzte Informanten gleichzeitig auch für die CIA und andere Dienststellen. Noch während seines Einsatzes für die DEA in Pakistan soll Headley Kontakt zur LeT aufgenommen haben. Mindestens fünf Hinweise an das FBI auf Headleys terroristische Verbindungen wurden ignoriert.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 25. Mai 2011