Funktionen für die Darstellung

Darstellung:
  • Standard.
  • Aktuelle Einstellung: Druckansicht.

Seitenpfad

Obamas Kriege

Der Präsident verlangt freie Hand für weltweite Militäreinsätze, ohne den Kongress um Erlaubnis fragen zu müssen.

Der Streit um die Verfassungsmäßigkeit der US-amerikanischen Beteiligung am Krieg gegen Libyen geht weiter. Nachdem Barack Obama es in der vergangenen Woche erneut abgelehnt hatte, die Zustimmung des Kongresses einzuholen, wird selbst eine Streichung der Finanzmittel durch die Parlamentarier nicht mehr ausgeschlossen. Ein entsprechendes Gesetz könnte schon in den nächsten Tagen auf den Weg gebracht werden, warnte der Fraktionsführer der republikanischen Mehrheit im Abgeordnetenhaus, Eric Cantor, am Donnerstag. Ebenso äußerte sich der Sprecher des Hauses, John Boehner, der gleichfalls Republikaner ist.

Beide Politiker erwähnten diese Möglichkeit aber nur als „Option“. In Wirklichkeit handelt es sich offenbar um nicht mehr als eine Drohung, mit deren Hilfe der Präsident zum Einlenken veranlasst werden soll. Der Kongress hat sich in der Vergangenheit immer extrem schwer damit getan, Finanzmittel für laufende Militäroperationen zu streichen, weil das den Vorwurf nach sich ziehen würde, man falle „unseren Jungs“ in den Rücken. Außerdem sind sich alle maßgeblichen Politiker einig, dass sich die USA keinesfalls aus dem gemeinsamen Krieg der NATO gegen Libyen zurückziehen sollten. Anderenfalls sei zu befürchten, so das Hauptargument, dass Washington künftig noch mehr Schwierigkeiten hätte, die westlichen Verbündeten in Afghanistan bei der Stange zu halten.

So wird es in dieser Woche vermutlich bei einer schon angekündigten Gesetzesinitiative des liberalen Demokraten Dennis J. Kucinich im Abgeordnetenhaus bleiben, die Obama die Etatmittel für die Beteiligung am Krieg in und um Libyen entziehen soll. Kucinich, ein genereller Gegner der militarisierten Außenpolitik, steht allerdings in seiner eigenen Partei auf verlorenem Posten. Sein Antrag könnte vielleicht sogar mehr republikanische als demokratische Abgeordnetenstimmen gewinnen. Insbesondere unter den Republikanern, die bei der letzten Wahl (November 2010) neu ins Parlament gekommen sind, treten etliche für eine Beschneidung der Macht zentraler Institutionen, einschließlich des Präsidenten, und für eine deutliche Kürzung der außenpolitisch motivierten Ausgaben ein.

Die amerikanische Verfassung schreibt vor, dass nur der Kongress das Recht hat, über Kriegseinsätze zu entscheiden. Dieses Prinzip wurde allerdings immer wieder von Präsidenten beider Parteien missachtet. Aufgrund der Erfahrungen des Vietnamkrieges verabschiedete der Kongress deshalb 1973 das War-Powers-Gesetz. Danach muss der Präsident spätestens 60 Tage – in Ausnahmefällen 90 Tage – nach Beginn von „Feindseligkeiten“ die Zustimmung von Abgeordnetenhaus und Senat einholen. Die 60-Tage-Frist endete schon am 20. Mai, der 90-Tage-Zeitraum am gestrigen Sonntag.

Obama stellt sich indessen auf den Standpunkt, er brauche das grüne Licht durch den Kongress nicht, da es sich in Libyen nicht um „Feindseligkeiten“ im Sinne des War Powers Acts handle. Erstens beschränke sich die Beteiligung der USA weitgehend auf Aufklärung und Nachschublieferungen. Zweitens sei wegen der Schwäche der libyschen Streitkräfte nicht mit Risiken für eigene Soldaten zu rechnen. Kritiker weisen darauf hin, dass damit Gesetz und Verfassung massiv unterlaufen würden. Dem Präsidenten scheint es aber gerade um die Schaffung eines Präzedenzfalls zu gehen, da er zweifellos die Zustimmung des Kongresses erhalten würde, wenn er darum ersuchen würde.

Ohnehin lässt Obama unerklärte Kriege in Pakistan, Jemen und Somalia führen, ohne dass sich bisher nennenswerter Widerspruch von Abgeordneten und Senatoren erhob. Grundlage für diese Militäroperationen ist die Authorization for Use of Military Force, die der Kongress ohne Gegenstimme am 18. September 2001 dem damaligen Präsidenten George W. Bush erteilte. Diese Generalvollmacht erlaubt dem Präsidenten, zeitlich und räumlich unbegrenzt Krieg gegen jedes Land, gegen jede Organisation und jede Person zu führen, denen er irgendeine Form von Beteiligung an den Angriffen vom 11. September unterstellt.

Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, erweiterte der Kongress diese Vollmacht im Mai sogar noch durch einen Passus im National Defense Authorization Act. Danach ist die Konstruktion eines Zusammenhangs zum 11. September künftig nicht mehr notwendig. Der Präsident ist jetzt berechtigt, weltweit Krieg gegen „Al-Qaeda, die Taliban und mit ihnen verbündete Kräfte“ - dazu können ausdrücklich auch Staaten gehören – zu führen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 20. Juni 2011