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Kontraproduktive Intervention
Ob aus Dummheit oder Absicht: Obamas Kriegführung in Syrien stärkt die Islamisten.
Seit vorigem Dienstag greifen die USA mit Kampfflugzeugen, Drohnen und Cruise Missiles Ziele in Syrien an. Die fundamentalistischen Monarchien der arabischen Halbinsel assistieren ihnen, während Frankreich und Großbritannien ihre Beteiligung an Militärschlägen vorerst auf den Irak beschränken.
Erste Ergebnisse des US-amerikanischen Eingreifens in den seit Frühjahr 2011 geführten syrischen Bürgerkrieg zeichnen sich bereits ab. Zwar haben sie den Vormarsch des „Islamischen Staats“ (IS) auf die überwiegend von Kurden bewohnte Stadt Kobane nicht gestoppt oder verlangsamt. Aber die Luftangriffe haben den IS propagandistisch gestärkt und ihm Hunderte von neuen Kämpfern und Anhängern aus anderen islamistischen Gruppierungen zugetrieben. Die US-Regierung erweist sich, wie früher schon in Afghanistan, im Irak, in Pakistan, in Somalia, im Jemen, in Libyen und anderswo wieder einmal als Meisterin der kontraproduktiven Kriegführung. Die Grenzen zwischen bösen Absichten und schierer Dummheit sind, wie üblich, auch in diesem Fall fließend und nicht sicher auszumachen.
Berichten westlicher Medien zufolge haben nach dem Freitagsgebet in mehr als 40 syrischen Städten und Dörfern, die im Herrschaftsbereich der Islamisten liegen, Protestkundgebungen gegen die Luftangriffe stattgefunden. Die Parolen richteten sich gegen die USA, gegen die mit ihnen verbündeten arabischen Regimes, gegen die Regierung von Präsident Baschar al-Assad und gegen die prowestlichen „gemäßigten Rebellen“, die als Verräter bezeichnet wurden. Bei den Demonstrierenden scheint es sich hauptsächlich um Anhänger der mit dem IS einerseits rivalisierenden, andererseits aber auch kooperierenden islamistischen Nusra-Front gehandelt zu haben.
Die USA hatten am ersten Tag ihres Luftkriegs gegen Syrien auch acht Ziele angegriffen, die dieser Organisation zugeordnet wurden. Dabei waren mindestens zwölf Zivilpersonen, darunter auch mehrere Kinder, getötet worden. Laut westlichen Medien wächst seither der interne Druck auf die Nusra-Führung, den Kampf gegen den IS einzustellen und eng mit diesem zusammenzuarbeiten. Angesichts des realen Kräfteverhältnisses läuft das auf eine Unterordnung unter die Führungsrolle des IS hinaus. Hunderte von Nusra-Kämpfern sollen in den vergangenen Tagen zum IS übergelaufen sein.
In ihrer Selbstgefälligkeit und Überheblichkeit beansprucht die US-Regierung, für die Völker des Nahen Ostens zu sprechen. Sie ignoriert im Falle Syriens, dass sowohl die Regierung in Damaskus als auch die Islamisten jeweils einen erheblichen Teil der Bevölkerung hinter sich haben, während die USA außer einer Handvoll berechnender Opportunisten kaum Verbündete in Syrien haben. Präsident Barack Obama mit seinem von keiner Nachdenklichkeit zeugenden „Hoppla, jetzt komm ich!“ ist auch in diesem Fall eine totale Fehlbesetzung.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 29.9.2011