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Israels "ewige" Hauptstadt

Am 4. Januar 1950 erklärte Premierminister David Ben Gurion Jerusalem offiziell zur Hauptstadt Israels. Der arabische Ostteil war zu dieser Zeit von der jordanischen Armee besetzt und wurde erst im Juni-Krieg 1967 von den Israelis erobert. Die Staatengemeinschaft hat Jerusalem bis heute nicht als israelische Hauptstadt anerkannt. Das gilt selbst für die USA, trotz eines anderslautenden Kongressbeschlusses, der am 24. Oktober 1995 von Senat und Abgeordnetenhaus mit über 90prozentigen Mehrheiten verabschiedet wurde.

Im Teilungsplan, den die Vollversammlung der Vereinten Nationen am 29. November 1947 als Empfehlung verabschiedet hatte, war vorgesehen gewesen, Stadtgebiet und Umgebung Jerusalems für eine zehnjährige Übergangszeit unter Verwaltung eines von der UNO eingesetzten Treuhänderrates zu stellen. Wie der gesamte Teilungsplan war auch dieses Vorhaben unrealistisch und lud zur militärischen Konfliktlösung ein. Für diesen voraussehbaren Fall hatte sich die UNO in der Teilungsresolution mit eindeutigen Bestimmungen zu einem direkten Eingreifen verpflichtet. Darüber wurde aber später nicht einmal ernsthaft diskutiert, weil weder die USA noch die Sowjetunion daran interessiert waren.

Nach der überaus erfolgreichen zionistischen Gründungslegende begann der „Unabhängigkeitskrieg“ damit, dass am 14. Mai 1948 eine riesige Übermacht arabischer Staaten über Israel herfiel. Tatsächlich jedoch wurden die Kampfhandlungen durch die Teilungsresolution ausgelöst und setzten sofort nach deren Verabschiedung ein. Dem Vorschlag der UNO zufolge sollten 350.000 Araber unter die Herrschaft des zu bildenden jüdischen Staates kommen. Das konnte, da sie dies mit großer Mehrheit ablehnten, nur mit militärischer Gewalt durchgesetzt werden. Außerdem hätte ein arabischer Bevölkerungsanteil von rund 40 Prozent, wie er sich aus dem Teilungsplan ergeben hätte, über kurz oder lang das Aus für das zionistische Konzept vom „Judenstaat“ bedeutet. Die zionistische Führung um Ben Gurion ebenso wie die ultranationalistische Opposition um Menachem Begin setzten deshalb von Anfang an darauf, die UN-Teilungsresolution durch Krieg und Massenvertreibung zu korrigieren.

Das galt auch für Jerusalem. Im eigentlichen Stadtgebiet gab es aufgrund der starken Einwanderung in den vorausgegangenen Jahrzehnten bereits eine jüdische Bevölkerungsmehrheit. Alle Zugangswege nach Jerusalem führten aber durch ausschließlich arabisch besiedelte Gebiete. Die offizielle zionistische Militärorganisation, die Haganah, und die rechtsextremen Milizen begannen deshalb schon im Dezember 1947 mit Militäroperationen und Terrorakten, um die Verbindung nach Jerusalem freizukämpfen und diese durch Vertreibung der arabischen Bevölkerung zunächst aus den umliegenden Dörfern, dann auch aus mehreren Vororten und Stadtteilen des westlichen Jerusalems dauerhaft zu sichern.

Die Offensive führte zu schnellen Erfolgen. Bereits am 7. Februar 1948 – ein gutes Vierteljahr vor der Staatsgründung und der darauf folgenden Kriegserklärung mehrerer arabischer Staaten – konnte Ben Gurion vor der Führung seiner sozialdemokratischen Mapai-Partei zufrieden bilanzieren: „Seit der Zerstörung Jerusalems in der Römerzeit war die Stadt niemals so jüdisch wie jetzt. In vielen arabischen Bezirken im Westen sieht man keine Araber mehr. Ich nehme nicht an, dass sich das ändern wird. (…) Was in Jerusalem geschehen ist, kann sehr wohl auch in großen Teilen des Landes passieren. (…) Mit Sicherheit wird es große Veränderungen in der Zusammensetzung der Bevölkerung des Landes geben.“

Tatsächlich lebten Ende 1948 nur noch 3500 von vormals mehr als 50000 Arabern im israelisch besetzten Teil Jerusalems. Die Eröffnung des Parlaments am 14. Februar 1949 fand in Jerusalem statt, und nur wegen des Fehlens eines repräsentativen Gebäudes tagte die Knesset zunächst mehrmals auch in Tel Aviv. Unterdessen wurden schon Teile des Regierungs- und Verwaltungsapparats von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt.

Die Zielstrebigkeit und das Tempo, mit denen die israelische Führung die Kriegsergebnisse stabilisierte und „vollendete Tatsachen“ produzierte, veranlassten die UNO, den im Teilungsplan vorgesehenen internationalen Status von Jerusalem zu bekräftigen. Aber während die Vollversammlung noch über den Wortlaut der Resolution debattierte, erklärte Ben Gurion am 5. Dezember 1949 vor der Knesset, Israel sei an den UN-Teilungsbeschluss vom 29. November 1947 „nicht länger moralisch gebunden“, da die Weltorganisation nicht bereit gewesen sei, ihn durchzusetzen. Die damalige Entscheidung hinsichtlich des internationalen Status von Jerusalem sei „unserer Ansicht nach null und nichtig“. Jerusalem sei „das Herz des Staates Israel“ und seine „geheiligte Hauptstadt“.

Eine spezielle Ironie der Argumentation Ben Gurions lag darin, dass die Zionisten gerade aufgrund der völligen Untätigkeit der UNO in der Lage gewesen waren, Jerusalem in Besitz zu nehmen und den Teilungsplan insgesamt durch militärische Gewalt massiv zu ihren Gunsten zu verändern.

In Israel gilt vielfach nicht Ben Gurions offizielle Erklärung vom 4. Januar 1950, sondern bereits seine Knesset-Rede vom 5. Dezember 1949 als Deklaration Jerusalems zur Hauptstadt. In der sich anschließenden Debatte stimmten alle Parteien, einschließlich der pro-sowjetischen KP, der Stellungnahme des Regierungschefs zu. Begin als Sprecher der rechtsextremen Opposition äußerte seine Zufriedenheit über die Klarstellung Ben Gurions, dass die Teilungsresolution der UNO - die die Rechten 1947 offen abgelehnt hatten - nicht mehr gültig sei. Er fuhr fort: „Ausländische Mächte werden die Grenzen unseres Staates nicht bestimmen. Die Nation, die in Zion wohnt, wird entscheiden, welche Ausdehnung Israels Souveränität haben wird.“

Vier Tage später, am 9. Dezember 1949, bekräftigte die UN-Vollversammlung mit einer Resolution ihre alte Position, dass Jerusalem als „corpus separatum“ (eigene politische Einheit) unter Verwaltung der Vereinten Nationen gestellt werden solle. Daraufhin trat die Knesset am 13. Dezember 1949 erneut zusammen und Ben Gurion äußerte sich diesmal noch schärfer und eindeutiger: „Unter den Anstrengungen des Krieges, als Jerusalem sich im Belagerungszustand befand, waren wir gezwungen, den Regierungssitz in Tel Aviv zu errichten. Aber für den Staat Israel hat es immer nur eine einzige Hauptstadt gegeben und wird es immer geben: Jerusalem, die Ewige. So war es vor 3000 Jahren – und so wird es, glauben wir, bis ans Ende der Zeiten bleiben.“

Propagandistisch bezogen die Zionisten ihren Anspruch schon damals auf das gesamte, „ungeteilte“ Jerusalem, also auch auf den damals immer noch arabischen Ostteil der Staat. Offiziell und explizit wurde diese Position nach dem 1967er Krieg durch das „Basic Law“, das von der Knesset am 30. Juli 1980 verabschiedet wurde. Sein erster Satz lautet: „Jerusalem, vollständig und vereinigt, ist die Hauptstadt Israels.“

Knut Mellenthin

Junge Welt, 2. Januar 2010