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"Israel droht Iran" - Verwirrung um Focus-Meldung

Unter der Überschrift "Israel droht Iran mit Angriff auf Atomanlagen" brachte die Online-Ausgabe des Nachrichtenmagazins Focus am Sonnabend eine Meldung über ein Interview mit dem israelischen Regierungschef. Angeblich hatte Ehud Olmert auf die Frage nach einer Militäraktion gegen Iran gesagt: "Vielleicht ist es nicht möglich, das gesamte Nuklearprogramm zu zerstören, aber es ist möglich, es so zu beschädigen, dass es um Jahre  zurückgeworfen wird. Das ist technisch machbar. Es würde zehn Tage dauern und den Einsatz von tausend Tomahawk-Marschflugkörpern erfordern."

Kurz darauf schwächte Focus Online die Überschrift der Meldung erheblich ab. Jetzt hieß sie nur noch "Israel verschärft Ton gegenüber Iran". Den Anstoß dazu hatte offenbar ein Hinweis des in Israel lebenden deutschen Journalisten Ulrich Sahm gegeben. Der entscheidende Punkt: Dass Olmert mit einem israelischen Angriff gedroht habe, und nicht etwa über eine amerikanische Militäraktion spekulierte, geht aus den vom Focus publizierten Sätzen nicht hervor. Die Erwähnung der 1000 Tomahawk-Marschflugkörper spricht gegen eine solche Deutung. Es handelt sich um ein sehr teures US-amerikanisches Waffensystem, über das Israel den verfügbaren Quellen zufolge gar nicht verfügt. Israel arbeitet zwar an der Entwicklung von eigenen Marschflugkörpern, unter anderem für seine in Deutschland gebauten U-Boote, aber deren Zahl und Reichweite ist vermutlich zur Zeit noch klein.

Am Sonnabendnachmittag folgte ein Dementi von Olmerts Pressesprecherin Miri Eisin. In einem Telefongespräch mit Ulrich Sahm sagte sie: Erstens habe es sich nicht um ein Interview, sondern um ein ausdrücklich nicht zur Veröffentlichung bestimmtes Hintergrundgespräch gehandelt. Zweitens seien die dem Ministerpräsidenten zugeschriebenen Sätze nicht gefallen. Der für den Focus arbeitende Journalist, Amir Taheri, habe das Gespräch nicht mitgeschnitten und sich nicht einmal Notizen gemacht. Man erwäge sogar, ihn wegen Betrugs zu verklagen, sagte Eisin.

Am Sonntagmorgen war die Meldung über das angebliche Interview von der Focus-Webseite spurlos und kommentarlos verschwunden. Sie sei auf seine Bitte hin gelöscht worden, erklärte Taheri, weil das umstrittene Zitat aus dem Zusammenhang des Interviews gerissen und "sensationalistisch" dargestellt worden sei. Im übrigen behauptete Taheri, er habe sich sehr wohl Notizen gemacht, während des Gesprächs und nach diesem. Das Treffen mit Olmert sei schon vor Monaten vereinbart worden, und es sei nie davon die Rede gewesen, den Inhalt vertraulich zu behandeln.

Die israelische Tageszeitung Haaretz zitierte am Sonntagvormittag den Focus-Redakteur Ulrich Schmidla mit der Aussage: "Der Grund, warum wir den Artikel von der Webseite genommen haben, ist, dass er sich in unfairer Weise auf die militärische Option konzentrierte, obwohl Olmert die Wichtigkeit von Verhandlungen hervorgehoben hatte."

Am Sonntagmittag um 13.24 äußerte sich Focus Online erstmals offiziell zu dem Vorgang. Von Selbstkritik war in der kurzen Stellungnahme keine Spur, die Schuld an dem "Missverständnis" wurde ausschließlich israelischen Medien zugeschrieben, die über die Focus-Meldung falsch berichtet hätten. Die Tatsache, dass die Online-Redaktion den Text vom Vortag gelöscht hatte, wurde in der Stellungnahme nicht einmal erwähnt.

Gleichzeitig stellte Focus Online den vollständigen Text des angeblichen Interviews auf seine Webseite, der am Montag auch in der Druckausgabe zu lesen war. Dass ein Journalist das gewagte Kunststück vollbringt, ein zwei Seiten langes wörtliches Interview nur auf der Grundlage von "Notizen" zu rekonstruieren, ist zum Glück selten. Dazu gehört wohl auch eine vertrauensselige Redaktion.

Viel riskiert hat der Focus dabei freilich nicht: Der israelische Ministerpräsident oder sein Büro zogen es vor, den Streit nicht weiter fortzusetzen, sondern die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Dazu dürfte erheblich beigetragen haben, dass Ehud Olmert inzwischen ein weit größeres Problem hat: Am Montag wurde der Zwischenbericht der Winograd-Kommission über die im Libanonkrieg des vorigen Jahres begangenen "Fehler" veröffentlicht. Olmert steht als Hauptverantwortlicher da. Der Ruf nach seinem Rücktritt wird immer stärker. Zur Unterstützung dieser Forderung wird am Donnerstag eine Großdemonstration in Tel Aviv stattfinden, die von einem breiten politischen Spektrum getragen wird.

Dass in Olmerts Gespräch mit Taheri die ihm zugeschriebenen Sätze dem Sinn nach wirklich gefallen sind, wenn auch nicht als Drohung mit einem militärischen Alleingang Israels, ist nicht unwahrscheinlich. Dass der Regierungschef, der offensichtlich den Akzent auf "diplomatische Möglichkeiten" legen wollte, von seinem Gesprächspartner durch Insistieren auf der Frage nach der "militärischen Option" schließlich bewusst aufs Glatteis gelockt wurde, ist ebenfalls plausibel. So wird der Vorgangs aus regierungsnahen israelischen Quellen dargestellt. Beides schließt sich nicht notwendig aus.

Taheri war von 1972 bis zum Sturz des Schah 1979 Chefredakteur der größten iranischen Tageszeitung Kayhan. Heute ist er der prominenteste "Vorzeigeperser" der amerikanischen Neokonservativen und arbeitet regelmäßig für den Focus. Sein ohnehin nicht erstklassiger journalistischer Ruf hat gelitten, als er im vergangenen Jahr die Ente in die Welt setzte, Iran plane eine Kennzeichnungspflicht für Juden. Das Tier flatterte nur wenige Stunden.

Aus israelischen Regierungskreisen heißt es, dass Taheri sich vor einigen Monaten an den früheren israelischen Botschafter in Teheran, Uri Lubrani gewandt habe, der jetzt Berater im Verteidigungsministerium ist. Lubrani habe Taheri als "Experten" bezeichnet und Olmert empfohlen, sich mit ihm zu unterhalten. Der Ministerpräsident sei an einem Treffen mit Taheri besonders wegen seiner Kontakte zu iranischen Exilkreisen interessiert gewesen.

Offenbar tut man in Olmerts Umgebung jetzt so, als habe man Taheri für einen verhältnismäßig wenig bekannten Journalisten gehalten, in dessen Fänge man eher zufällig geraten ist. Jedoch: Keine fünf Minuten sind erforderlich, um sich in der englischsprachigen Version des Internet-Lexikons Wikipedia hinreichend über den Mann, seine Vergangenheit und seine Connections zu informieren. Der Ente vom vorigen Jahr ist dort ein eigener Abschnitt gewidmet.

Knut Mellenthin

Erweiterte Fassung eines in der Jungen Welt vom 30. April 2007 erschienenen Artikels

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