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Gnadenfrist für Ehud Olmert?

Israels Ministerpräsident Ehud Olmert scheint den Kampf um seinen Posten vorerst gewonnen zu haben. Obwohl die Forderung nach seinem Rücktritt auch von maßgeblichen Politikern seiner Kadima-Partei erhoben wird, sprach ihm die 29köpfige Parlamentsfraktion am Mittwoch mit großer Mehrheit das Vertrauen aus. Nach der Sitzung sagte der stellvertretende Ministerpräsident Schimon Peres, die Partei biete Olmert "beispiellose Unterstützung". Es sei "ein großer Tag" für die Kadima gewesen, die aus der Krise "geeinigt und im Bewusstsein ihrer Stärke" hervorgegangen sei.

Kadima entstand im Herbst 2005 unter Führung von Ariel Scharon als Zusammenschluss früherer Politiker des rechten Likud und der sozialdemokratischen Arbeitspartei. Sie definiert sich selbst als Partei der Mitte. Hauptkoalitionspartner der Kadima ist die Arbeitspartei.

Die jetzige Regierungskrise wurde durch den Zwischenbericht der Winograd-Kommission zum Libanonkrieg vom Sommer 2006 ausgelöst, der am Montag vorgelegt wurde. Premierminister Olmert wird darin als Hauptverantwortlicher für die voreilige, verfehlte Entscheidung, diesen Krieg zu beginnen, bezeichnet. Die Forderung nach dem Rücktritt des äußerst unpopulären Olmert erhielt durch den Bericht kräftig Auftrieb. Sie wird von der Außenministerin Tzipi Livni (Kadima) unterstützt, die seine Nachfolgerin als Regierungschefin werden könnte. Livni ist in der Bevölkerung beliebt und gilt als integer - vor dem Hintergrund einer Unzahl von Korruptionsskandalen derzeit ein rares Qualitätsmerkmal. Auch der Kadima-Fraktionsvorsitzende Avigdor Jitzhaki hat Olmert zum Rücktritt aufgefordert.

Schon am Dienstag hatte der der Minister ohne Geschäftsbereich Eitan Cabel (Arbeitspartei) seinen Rücktritt erklärt. Er forderte Olmert auf, seinem Schritt zu folgen, und kündigte anderenfalls an, er wolle in seiner Partei für das Verlassen der Koalition werben. Eine Entscheidung darüber wird voraussichtlich spätestens bei der Leitungswahl am 28. Mai fallen. Allgemein wird von der Abwahl des jetzigen Parteichefs Amir Peretz ausgegangen. Er gehört der Regierung als Verteidigungsminister an und wird im Winograd-Report einer vernichtenden Kritik unterzogen.

Die Hauptkräfte der Regierungskoalition, Kadima und Arbeitspartei, wollen auf jeden Fall Neuwahlen vermeiden. Denn allen Prognosen zufolge wäre der Ultrarechte Binjamin Netanjahu als Kandidat des Likud dann der große Gewinner. So geht es nur noch um die Frage, ob ein Wechsel des Premierministers zum jetzigen Zeitpunkt taktisch ein geschickter Zug wäre oder dem Regierungsbündnis eher schaden würde. Als Bewerber für die Nachfolge Olmerts wird neben der 48jährigen Livni auch der 84jährige Schimon Peres - früher Chef der Arbeitspartei, jetzt Mitglied der Kadima - gehandelt.

Ein wichtiger Faktor für den weiteren Gang der Dinge ist die von einem breiten politischen und sozialen Spektrum getragene Demonstration in Tel Aviv, die am Donnerstag um 19 Uhr Ortszeit begann. Erreicht sie eine Teilnehmerzahl von mehreren hunderttausend Menschen, wird die Rücktrittsforderung wahrscheinlich in den kommenden Wochen immer stärker und breiter werden.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 4. Mai 2007