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Echte und vorgetäuschte Verwirrung
Ungewissheit über geplante neue Militärmission Italiens in Libyen. Widersprüche zwischen EU-Hauptmächten über Methoden der Flüchtlingsbekämpfung.
Die beiden Häuser des italienischen Parlaments sollen am heutigen Dienstag über eine neue Libyen-Mission beraten und beschließen. Die Regierung in Rom rechnet mit einer großen Zustimmung zu dem geplanten Militäreinsatz, dessen Einzelheiten bisher noch nicht einmal bekannt sind. Unklar ist darüber hinaus, unter welchen Voraussetzungen die zwar international anerkannte, aber außerhalb der Hauptstadt Tripoli kaum über Einfluss verfügende libysche Regierung der Mission zugestimmt hat.
Der Chef der Tripoli-Regierung, Fajes Serradsch, und der italienische Premierminister Paolo Gentiloni waren am Mittwoch in Rom gemeinsam vor die Presse getreten. Der Italiener hatte bei dieser Gelegenheit von einem Hilfsersuchen seines libyschen Kollegen gesprochen, das zur Zeit vom italienischen Verteidigungsministerium geprüft werde. Inhaltliche Angaben machte er zu dieser Mitteilung nicht. Daraufhin gab es am Donnerstag vor allem in italienischen Medien Gerüchte, dass Italien zur Unterstützung der libyschen Küstenwache beim Abfangen von Flüchtlingen mehrere Kriegsschiffe, Flugzeuge und Hunderte von Soldaten entsenden wolle. Der heißeste Punkt der Spekulationen war, dass es der neuen italienischen Mission auch erlaubt sein werde, in den Territorialgewässern des nordafrikanischen Staates zu operieren. Das strebt die EU für ihre Flottenoperation EUNAVFOR Med zwar schon seit 2015 an, konnte sich damit aber gegenüber den libyschen Stellen bisher nicht durchsetzen.
Ebenfalls am Donnerstag verbreitete das Pressebüro der Tripoli-Regierung eine amtliche Erklärung, dass die Gerüchte über eine Öffnung der libyschen Küstengewässer für ausländische Kriegsschiffe falsch seien. Serradsch habe Italien lediglich um Ausbildungshilfe und Unterstützung für die Küstenwache gebeten. Aber Libyens Souveränität sei eine nicht zu überschreitende „rote Linie“. Am Freitag billigte das Kabinett in Rom die geplante Mission, ohne Stellung zu den widersprüchlichen Informationen zu nehmen. Am Sonnabend schien der Außenminister der Tripoli-Regierung, Mohamed Siala, seinen Chef korrigieren zu wollen, oder er wurde zumindest von westlichen Medien so interpretiert. Er sprach von „logistischer, technischer und operativer Unterstützung“, die es erforderlich mache, „einige Elemente der italienischen Marine“ im Hafen von Tripoli zu stationieren, „aber nur zu diesem Zweck und nur, wenn es erforderlich ist“.
Was genau geplant ist, wird man wohl frühestens im Verlauf des heutigen Tages erfahren. Schon am 2. Februar war Rom gegenüber dem Rest der EU mit einem italienisch-libyschen „Memorandum of Understanding“ vorangeprescht. Es sah in der Hauptsache die Finanzierung von Flüchtlingslagern („Aufnahmezentren“) auf libyschem Boden durch Italien und italienische Mitwirkung bei der Überwachung und Abriegelung der Südgrenze des Landes vor. Das Abkommen wurde jedoch am 22. März von einem Gericht in Tripoli als illegal außer Kraft gesetzt. Dabei spielte neben anderen Aspekten auch die Frage eine Rolle, ob Serradsch überhaupt als Repräsentant Libyens handeln darf.
Ein voreiliger Alleingang war anscheinend auch die Ankündigung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Donnerstag, noch in diesem Sommer mit der Einrichtung von „Hotspots“ zur Internierung und Überprüfung von Flüchtlingen auf libyschem Boden zu beginnen. Einen Tag später hieß es aus Paris, dass dies wegen „Sicherheitsbedenken“ nicht möglich sei. Stattdessen werde die Machbarkeit solcher Lager im Grenzdreieck zwischen Südlibyen, Niger und Tschad geprüft. Verwirrung, echte und vorgetäuschte, widerspiegelt nicht zuletzt auch kontroverse Meinungen und Interessen der EU-Hauptmächte. Macron hat zum Thema Flüchtlingsbekämpfung ein Gipfeltreffen von Vertretern Frankreichs, Deutschlands, Italiens und Spaniens vorgeschlagen, das Ende August stattfinden soll.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 1. August 2017