Funktionen für die Darstellung
Seitenpfad
Dumm, aber erfolgreich
Israel blockiert mit einer irrationalen Forderung die Friedensgespräche mit den Palästinensern.
Der Palästinenser Nabil Schaath, Mitglied des Zentralkomitees von Al Fatah, nannte es „eine offizielle Ankündigung der einseitigen Beendigung der Verhandlungen“. Er meinte die Rede von Benjamin Netanjahu auf der Jahreskonferenz des AIPAC, der Pro-Israel-Lobby der USA. Der israelische Regierungschef hatte dort unter tosendem Beifall und stehenden Ovationen vor mehr als zehntausend Teilnehmern wieder einmal eine seiner Lieblingsthesen vorgetragen: Im Konflikt mit den Palästinensern seien weder die jüdischen Siedlungen noch die permanente israelische Militärpräsenz ein Problem. Das einzige Hindernis für eine Einigung sei die palästinensische Weigerung, Israel „als jüdischen Staat anzuerkennen“.
Netanjahu hat, soweit es diese Forderung angeht, nicht nur die Regierungen der USA, Deutschlands, Kanadas und zahlreicher anderer westlicher Länder auf seiner Seite, sondern auch den einen oder anderen Spitzenpolitiker der Linken im Bundestag. Sie alle scheinen sich nicht daran zu stören, dass kein anderer Staat der Welt von irgend jemand fordert, in einer bestimmten ethnischen, religiösen oder politischen Exklusivität anerkannt zu werden. Es ist offensichtlich, welche gefährlichen Implikationen das anderenfalls haben könnte. Israel steht es völlig frei, sich selbst nicht mehr nur wie bisher als „Staat Israel“ (Medinat Jisrael), sondern ausdrücklich als „Jüdischer Staat Israel“ zu bezeichnen, wenn man dort ernstlich Wert darauf legen würde. Aber so wichtig scheint das denn doch nicht zu sein. Es ist eine dumme Ausrede, mehr nicht.
Netanjahu ist übrigens der erste israelische Regierungschef, der mit dieser Formel die Verweigerung einer Freigabe der seit 1967 besetzten Gebiete rechtfertigen will. Israel hat früher, selbst unter den rechten Regierung von Menachem Begin, Jitzchak Schamir und Ariel Scharon, von den Palästinensern nie mehr gefordert als die Anerkennung seiner staatlichen Existenz. Diesen Schritt hat die damals noch von Jassir Arafat geführte PLO bereits am 9. September 1993 vollzogen. Wörtlich: „Die PLO erkennt das Recht des Staates Israel auf Existenz in Frieden und Sicherheit an.“
Was „jüdischer Staat“ konkret bedeuten soll, ist zudem völlig offen und vermutlich gar nicht eindeutig definierbar. Schon über die Frage, was „jüdisch“ heißt und wer von Rechts wegen Jude ist, bestehen in Israel konträre Ansichten, die zum Teil sehr heftig ausgetragen werden. Der Verdacht liegt nahe, dass mit Netanjahus Forderung zumindest der bestehende Zustand festgeschrieben werden soll, in dem es weder rechtliche noch politische noch praktische Gleichstellung zwischen arabischer Minderheit – rund ein Fünftel der Bevölkerung – und jüdischer Mehrheit gibt. Darauf, dass kein palästinensischer Politiker das anerkennen wird, kann Netanjahu sich verlassen.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 6. März 2014