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Drohende Umweltkatastrophe

Libysche Rebellen wollen erstmals selbstständig Öl exportieren. Übergangsregierung droht mit Versenkung des Tankers.

Während die Auflösung des libyschen Staatsverbands voranschreitet, spitzt sich der Streit um die Erdölvorkommen, den einzigen Reichtum des Landes, zu. Am Sonnabend haben Milizen, die einen Großteil Ostlibyens kontrollieren, in Sidra zum ersten Mal einen ausländischen Tanker beladen, um Öl auf eigene Rechnung zu exportieren. Ministerpräsident Ali Zeidan hat angedroht, er werde das Schiff beschießen und bombardieren lassen, falls es die libyschen Gewässer verlässt, ohne den Anweisungen seiner Marine zu folgen.

Über die Konsequenzen ist sich Zeidan offenbar im Klaren: Ein Angriff würde eine Umweltkatastrophe verursachen, sagte er ausdrücklich. Allerdings besteht Hoffnung, dass so schnell nicht geschossen wird: Zeidan beklagte sich zugleich, dass er den Stabschef seiner Streitkräfte bereits vergeblich aufgefordert habe, etwas zu unternehmen, aber dass dieser nichts getan habe. Die New York Times zitierte am Sonnabend einen Experten namens Geoff Porter, der Zeidans Drohung als „Unsinn“ bezeichnet habe. „Das ist nicht einmal ein Säbelrasseln“, habe Porter, der als Berater für Ölfirmen tätig ist, gesagt. „Zeidans Schwertscheide ist leer.“

Ganz leer aber doch nicht: Das jetzt in Sidra liegende Schiff, die „Morning Glory“, hatte zuvor am Dienstag schon einmal vergeblich versucht, den Hafen anzulaufen, musste aber abdrehen, weil es von einem Kriegsschiff beschossen wurde. Das Gleiche war einen Tag zuvor einem unter der Flagge Maltas fahrenden Tanker passiert. Dessen Besitzer haben offizielle Beschwerde eingelegt, weil das Schiff widerrechtlich in internationalen Gewässern angegriffen worden sei.

Die „Morning Glory“, die nun zum ersten Frachter werden könnte, der die Blockade erfolgreich durchbricht, fährt unter der Flagge der Demokratischen Volksrepublik Korea. Allerdings glaubt kaum jemand, dass es wirklich ein nordkoreanisches Schiff ist. Vielmehr wird allgemein angenommen, dass es sich nur um eine Billigbeflaggung handelt. Wem der Tanker gehört und für wen das Öl bestimmt ist, gilt bisher immer noch als unbekannt. Ein richtungsweisender Hinweis könnte sein, dass die „Morning Glory“ früher im Besitz einer saudischen Firma war.

Milizen und politische Kräfte im Ostteil Libyens haben im Oktober vorigen Jahres einen autonomen Staat mit dem Namen Barqa ausgerufen und eine eigene Regierung gebildet. An deren Spitze steht unter dem Titel eines Premierministers Abd-Rabbo al-Barassi. Die eigentliche Macht scheint jedoch beim Milizenführer Ibrahim Jathran zu liegen. Er leitete nach dem von der NATO herbeigebombten Sturz Gaddafis einen Sicherheitsdienst, der für den Schutz der Ölquellen zuständig war. Außer Sidra kontrollieren die Separatisten von Barqa auch die Häfen Ras Lanuf und Sueitina. Ihre Ausfuhrkapazität liegt, westlichen Medien zufolge, zusammengerechnet bei 600.000 Barrel pro Tag. Libyen hat „in normalen Zeiten“ etwa 1,4 Millionen Barrel pro Tag (bpd) exportiert. Zum Vergleich: Irans Ölausfuhr liegt, nach zwei Jahren schwerster Sanktionen, im Durchschnitt knapp über 1 Million bpd.

Wie viel Öl Libyen zur Zeit noch verschifft, scheint schwer zu ermitteln. Nachdem Milizen im vorigen Jahr nicht nur mehrere Häfen, sondern auch wichtige Ölvorkommen besetzten, sank die libysche Ausfuhr zeitweise bis auf unter 100.000 bpd ab. Im Oktober 2013 gab Zeidan die dadurch entstandenen Verluste mit 4,89 Milliarden Dollar an.

Wenn den Autonomisten von Barqa jetzt erstmals ein selbstständiger Ölverkauf gelänge, hätte das im Wesentlichen symbolische Bedeutung. Zumindest vorläufig erklären die Rebellen offiziell, dass sie nicht die Loslösung von Libyen anstreben, sondern lediglich eine gerechtere Verteilung der Einnahmen aus dem Ölgeschäft. Aus ihrer Sicht wurde der Ostteil des Landes, wo die meisten Ölvorkommen liegen, bisher wirtschaftlich krass vernachlässigt.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 10. März 2014