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Aufstand nach Plan
Die Führung des Nationalen Übergangsrats (NTC) der libyschen Rebellen hat am Wochenende erstmals die vollständige personelle Zusammensetzung dieses Gremiums bekanntgegeben. Der NTC wurde am 27. Februar, nur zehn Tage nach Beginn des bewaffneten Aufstands, gebildet. Er bestand zunächst aus 31 Mitgliedern, die angeblich alle Regionen und Städte Libyens – also nicht nur die von dem Rebellen kontrollierten – repräsentieren sollten. Aber nur 13 der Namen wurden damals veröffentlicht, die übrigen „aus Sicherheitsgründen“ geheimgehalten.
Den Vorsitz des offiziell von allen Strömungen der Aufständischen anerkannten Führungsgremiums übernahm der erst wenige Tage zuvor zurückgetretene frühere Justizminister Mustafa Abdul Jalil. Als Sprecher des NTC und stellvertretender Vorsitzender fungiert Abdul Hafiz Ghoga, Vorsitzender der Anwaltskammer von Bengasi, der sich als Verteidiger politischer Gefangener einen Namen gemacht hat. Mit der Zuständigkeit für „militärische Angelegenheiten“ wurde Omar al-Hariri betraut. Wegen der aufgeflogenen Planung eines Putsches gegen seinen früheren Kampfgefährten Muammar Gaddafi war er 1975 zum Tode verurteilt, später aber zu einer Haftstrafe begnadigt worden. In den letzten Jahren bis zu seinem Anschluss an die Rebellen hatte er nur noch unter Hausarrest gestanden. Hariri hat seine verantwortliche Position inzwischen aus nicht bekannt gemachten Gründen verloren.
Verantwortlicher des NTC für „auswärtige Angelegenheiten und internationale Verbindungen“ ist Mahmud Jibril. Er hatte 1980 und 1985 akademische Abschlüsse in Politischen Wissenschaften und Strategischer Wirtschaftsplanung an der Universität von Pittsburgh (USA) gemacht und anschließend jahrelang dort unterrichtet. Außerdem entwickelte er unter amerikanischer Regie Kursprogramme für leitende Manager in arabischen Ländern.
Jibril kehrte erst 2005 nach Libyen zurück und stieg auffallend schnell, kaum zwei Jahre später, zum Leiter der zentralen Arbeitsgruppen für Wirtschaftsreformen und Privatisierung auf. Er verdankte das, wie viele andere Reformer auch, der Protektion durch Gaddafis Sohn Saif al-Islam. In seinen Funktionen war Jibril ein sehr geschätzter Gesprächspartner und Informant der amerikanischen Botschaft in Tripolis. Die Entwicklung enger und allseitiger Beziehungen zwischen beiden Ländern war eines seiner zentralen Themen.
Der 1952 geborene Politiker gilt als Freund des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und stand neben ihm, als dieser am 10. März bekanntgab, dass Frankreich als erstes Land der Welt den Nationalen Übergangsrat als einzige legitime Regierung Libyens anerkannt hatte. Jibril ist auch Vorsitzende des von den Rebellen am 23. März gebildeten Exekutivrats. Das entspricht der Position des Premierministers der Übergangsregierung.
Die am Wochenende bekannt gegebene Personalliste des NTC enthält nunmehr 40 Namen. Nach Angaben des Ratsvorsitzenden Jalil soll das Gremium später auf 80 Mitglieder erweitert und dann anscheinend eine Art Übergangsparlament bis zu den versprochenen Wahlen werden, die in acht Monaten stattfinden sollen.
Spiel mit dem Moslem-Schreck
Die New York Times wies am Wochenende darauf hin, dass unter den 40 Mitgliedern des Übergangsrats nur ein einziger identifizierbarer Islamist sei, und gab seinen Namen mit Lamin Belhadsch an. In dem Artikel hieß es weiter, dass er der Verantwortliche der Rebellen in der Hauptstadt Tripoli sei. Allerdings trägt der dortige Vorsitzende des örtlichen Militärrats die Vornamen Abdel Hakim. Außerdem wird diesem eine frühere Mitgliedschaft in den militanten Islamischen Kampfgruppen (LIFG) nachgesagt. Dagegen schreibt die New York Times ihrem Lamin Behadsch eine Zugehörigkeit zum libyschen Zweig der Moslembruderschaft zu, der – so das Blatt – bei den meisten Libyern als „gemäßigt“ gelte. Es ist demnach ungewiss, ob es sich wirklich um ein und die selbe Person handelt.
In einer seltenen Koalition von Links bis Rechtsaußen wurde Abdel Hakim Belhadsch in den vergangenen Tagen als „Al-Qaida-Mann“ oder sogar als „Spitzenführer von Al-Qaida“ angegriffen. Für diese Gerüchte gibt es jedoch keine Anhaltspunkte. Obwohl sich Belhadsch nacheinander in US-amerikanischer und libyscher Haft befand, wurde er niemals vor Gericht gestellt. Aus rechtsstaatlicher Sicht gibt es also überhaupt keine erwiesenen Vorwürfe gegen ihn. Sein Name steht lediglich als Symbol für eine Kampagne, die mit dem Moslem-Schreck arbeitet, um bestimmte politische Vorstellungen und Ziele zu transportieren.
Weiter als alle anderen ging das israelische Online-Magazin DEBKAfile, das oft als Sprachrohr des Auslandsgeheimdienstes Mossad bezeichnet wird. Kennzeichnend für seine Veröffentlichungen ist, dass sie nicht nur schlecht recherchiert sind, sondern einen klaren Desinformationscharakter haben und zum Teil nicht nur übertrieben, sondern frei erfunden scheinen.
Unter dem Datum 28. August schrieb DEBKAfile, dass sich Tripoli nun in der Hand „kämpfender islamistischer Brigaden“ befinde, „die zu Al-Qaida gehören“. „Keine westliche oder libysche Militärstreitmacht kann daran denken, in absehbarer Zukunft die Islamisten aus der libyschen Hauptstadt zu vertreiben. Damit hat Libyen ein neues Modell geschaffen, das die islamistischen Extremisten nur ermutigen kann, weitere Gewinne aufgrund der arabischen Revolte anzupeilen. Sie können mit Recht zur Schlussfolgerung gelangen, dass ihnen die NATO bei einer Rebellion zum Sturz irgendeines anderen autokratischen arabischen Herrschers zur Hilfe kommen wird. (…) Zum ersten Mal haben die Armeen der westlichen NATO-Länder sich direkt an der Einnahme einer arabischen Hauptstadt und dem Sturz ihres Herrschers durch extremistische islamische Kräfte beteiligt.“
Hier wird schon der hochdramatische Ton angeschlagen, der vielleicht in den kommenden Wochen immer stärker die Stimmungsmache der Mainstream-Medien bestimmen wird – wenn es nämlich um die Stabilisierung und Neuordnung der Verhältnisse im Sinne der westlichen Helfer und Unterstützer der „libyschen Revolution“ gehen wird. Die Marginalisierung islamistischer Kräfte wird dabei eines der zentralen Ziele sein.
Bestens vorbereitet
Zugleich dient das hysterische Al-Qaida-Geschrei aber auch dazu, von der einfachen Tatsache abzulenken, dass die politische Führung des Aufstands vom ersten Moment an in den zuverlässigen Händen von alten Bekannten der westlichen Regierungen lag und liegt. In einigen Fällen kann und muss man wohl sogar von westlichen Agenten sprechen. Islamische Fundamentalisten, die es unter den Rebellen vermutlich wirklich in erheblicher Anzahl gibt, dienten nur als Kanonenfutter. Sie haben ihre Schuldigkeit schon jetzt im Wesentlichen getan.
Die libysche Revolution war offenbar von langer Hand geplant und vorbereitet worden. Die Kundgebungen gegen Gaddafi, die von Anfang an mit Gewalttätigkeiten verbunden waren, begannen Mitte Februar und setzten sich am 17. Februar als sogenannter „Tag der Wut“ landesweit fort. Innerhalb weniger Tage nahmen die Proteste vor allem im Osten des Landes, aber keineswegs nur dort, die Form eines bewaffneten Aufstands dar.
Schon in den allerersten Tagen nach dem Beginn der Revolte setzte eine Welle von Rücktritten ein, die mit angeblichen Grausamkeiten und unverhältnismäßig schweren Militäreinsätzen gegen die Protestbewegung begründet wurden. Den Anfang machte am 21. Februar Libyens Botschafter in Indien, Ali al-Essawi. Bevor er nach Indien mehr oder weniger abgeschoben worden war, gehörte al-Essawi unter anderem als Minister für Wirtschaft, Handel und Investitionen zu den führenden Reformern seines Landes. In dieser Funktion war er ein guter Bekannter US-amerikanischer und anderer westlicher Diplomaten. Wenige Tage nach seinem Rücktritt wurde er gleichberechtigt neben Jibril einer der beiden außenpolitischen Reisebotschafter der Rebellen und war unter anderem an deren Anerkennung durch Frankreich beteiligt.
Ebenfalls am 21. Februar trat Justizminister Jalil zurück, am folgenden Tag schloss sich auch Innenminister Abdul Fatah Junis, ein Armeegeneral, den Aufständischen an. Schon am 20. Februar war Einwanderungsminister Ali Errischi zu den Rebellen übergelaufen. Allerdings ist dieser Politiker wenig bekannt, so dass sein Schritt kaum in den Medien notiert wurde. Regierungssprecher Mohamed Amer Bayu distanzierte sich am 21. Februar öffentlich von Gaddafi, und Generalstaatsanwalt Abdul-Rahman al-Abbar erklärte am 25. Februar seinen Rücktritt.
Besonders zahlreich waren Protesterklärungen, teilweise verbunden mit Amtsniederlegungen, im diplomatischen Korps. In einem ganz kurzen Zeitraum zwischen 20. und 25. Februar gingen unter anderem folgende libyschen Botschafter auf Distanz zu ihrer Regierung: Abdel Rahman Schalgam (UNO), Ali Suleiman Aujali (USA), Mohamed Salaheddine Zarem (Frankreich) und Abdulmoneim al-Honi (Arabische Liga). Ferner auch die Botschafter in Australien, Österreich, Bangla Desch, Belgien, Indien, Indonesien, Jordanien, den Niederlanden, Polen, Ungarn, Schweden, und Dutzende von hochrangigen Botschaftsmitarbeitern und Konsuln.
An so viel Spontaneität innerhalb weniger Tage lässt sich nicht glauben. Offensichtlich gab es innerhalb des politischen und diplomatischen Apparats schon seit einiger Zeit ein gut funktionierendes informelles Netzwerk, das in der Lage war, nach Beginn des Aufstands sehr schnell öffentlich in Erscheinung zu treten.
Noch eindeutiger zeigte sich die Existenz dieses Netzwerks in der unglaublichen Geschwindigkeit, mit der die Rebellen eine einheitliche Führung in Form des Übergangsrats präsentieren konnten. Alle vergleichbaren Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass das normalerweise zumindest ein Prozess von mehreren Monaten ist, der selbst dann nicht widerspruchsfrei und gradlinig abläuft. Immerhin mussten in Libyen zuvor zehn bis zwanzig zum Teil grundverschieden ausgerichtete Gruppierungen unter einen Hut gebracht werden. Außerdem musste das starke Misstrauen vieler Alt- und Exil-Oppositioneller gegen die gerade erst aus dem Führungskreis um Gaddafi ausgeschiedenen Politiker zumindest für eine Übergangszeit beruhigt und neutralisiert werden. Letztlich war das vermutlich nur dadurch zu erreichen, dass einige ausländische Regierungen und Dienste schon seit Monaten ein strammes Regiment über den „Vereinigungsprozess“ geführt hatten und sich auf maßgebliche Akteure verlassen konnten.
Ein alter Bekannter
Außenminister Mussa Kussa, der sich am 30. März den britischen Behörden stellte, war ein später Nachzügler der wie verabredet laufenden großen Absetzbewegung, aber ist zugleich eine ihrer interessantesten Figuren. Er galt viele Jahre lang als engster Vertrauter Gaddafis. Zu Beginn des Aufstands hatte er die Rebellen noch ganz im Sinn der Regierungslinie als fanatische islamistische Terroristen dargestellt.
Bevor er im März 2009 ins Kabinett berufen wurde, war Kussa seit 1994, also stattliche 15 Jahre lang, Leiter des Auslandsgeheimdienstes gewesen. Schon zuvor war er jahrelang in diesem Bereich tätig, soll Attentate geplant, Morde an Exil-Oppositionellen in Auftrag gegeben und die Unterstützung von nationalen Befreiungsbewegungen organisiert haben. Praktisch alles, was Libyen und speziell Gaddafi jemals vorgeworfen wurde, vom La-Belle-Anschlag (1986) bis zur Sprengung eines US-amerikanischen Passagierflugzeugs über dem schottischen Ort Lockerbie (1988), war auch mit Kussa in Verbindung gebracht wurde.
Die US-Regierung zögerte dennoch nicht lange, schon am 4. April die gegen ihn verhängten Sanktionen aufzuheben und seine beschlagnahmten Konten freizugeben. Die EU folgte am 14. April. Noch schneller war Großbritannien gewesen, obwohl dort zugleich offiziell betont wurde, dass der Libyer keine strafrechtliche Immunität genieße, sondern - unter anderem wegen mutmaßlicher Mitwirkung an Waffenlieferungen für die IRA - vielleicht sogar mit einem Prozess rechnen müsse.
Die britischen Behörden hatten andererseits jedoch nichts dagegen, dass Kussa nach einer gründlichen Befragung durch den Geheimdienst MI6 und die schottische Polizei – wegen Lockerbie – Mitte April das Land verließ, um in Katar an einer Libyen-Konferenz der Interventionsstaaten teilzunehmen. Kussa residiert seither überwiegend in dem Kleinstaat auf der arabischen Halbinsel, der sich in den vergangenen Jahren zu einem Zentrum internationaler Agententätigkeit und suspekter politischer Umtriebe entwickelt hat. Katar ist im übrigens der einzige arabische Staat, der sich offen und direkt an der Militärintervention der NATO beteiligt hat.
Presseberichten zufolge hat Kussa aufgrund seiner intimen Kenntnisse des libyschen Führungs- und Sicherheitsapparats eine wichtige Rolle als Berater der Interventen gespielt. Insbesondere soll er auch bei der Festlegung der Bombenziele geholfen haben. Er scheint nun darauf zu warten, dass er mit Hilfe seiner westlichen Freunde auf eine leitende Position im post-revolutionären Libyen gelangen kann. Die Stimmung der Rebellen ist allerdings gegen ihn. Außerdem wären die immer noch drohenden Strafverfahren in Großbritannien und den USA – die Reihe ließe sich vermutlich erweitern – hinderlich.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der frühere Geheimdienstchef schon bei der Planung und Vorbereitung der libyschen „Revolution“ mit interessierten westlichen Kreisen zusammengewirkt hat. Die Kontakte waren jedenfalls außerordentlich eng, spätestens seit er – hauptsächlich wohl im Auftrag und mit Wissen Gaddafis - nach dem 11. September 2001 eng mit den westlichen Geheimdiensten bei der weltweiten Terrorismusbekämpfung kooperierte. Er hatte sich
darüber hinaus später als Außenminister sehr stark für eine Intensivierung der Beziehungen zum Westen, vor allem zu den USA engagiert. Sensationalistische Quellen behaupten, Kussa habe schon seit 2001 als Agent für MI6 und CIA gearbeitet. Beweisen lässt sich das jedoch nicht. Es handelt sich um reine Mutmaßungen, die als Tatsachen präsentiert werden.
Der Mann der CIA
Eindeutig ist die CIA-Connection hingegen im Falle von Khalifa Haftar, der eine – allerdings nicht genau definierte – hohe Stellung in der militärischen Hierarchie der Rebellen einnimmt. Der ehemalige Oberst der libyschen Streitkräfte traf am 14. März (oder etwas früher) aus den USA kommend in Bengasi ein und stellte sich schon wenige Tage später als neuer Militärchef des Übergangsrates vor. Der frühere Innenminister Junis, der eigentlich diese Position innehatte, sei ihm von nun an untergeordnet, behauptete Haftar in selbstherrlichem Ton. Die Entscheidung im Rat fiel jedoch schließlich zugunsten von Junis.
Haftar war ein Gaddafi-Anhänger der ersten Stunde und hatte 1969 als junger Kadett dessen Putsch gegen König Idris unterstützt. Sein Weg zum militanten „Regimegegner“ begann, als er 1987 im Tschad zusammen mit über hundert anderen libyschen Soldaten gefangen genommen wurde, die unter seinem Kommando gestanden hatten. Gaddafi hatte, ebenso wie Frankreich, jahrelang militärische Einmischung in die permanenten Bürgerkriege des Tschad betrieben. Nach seiner Gefangennahme stellte sich Haftar dem Herrscher des Tschad, Hissène Habré, und zugleich auch der CIA zur Verfügung, um eine gegen Gaddafi gerichtete Truppe, genannt Libysche Nationalarmee (LNA), aufzubauen. Diese wurde der schon 1981 unter kräftiger amerikanischer Mithilfe gegründeten Nationalen Front für die Rettung Libyens (NFSL) angegliedert, die ein scheinbar demokratisches und liberales Programm vertritt.
Die LNA kam allerdings kaum zum Einsatz, da sich nach dem Sturz Habrés im Dezember 1990 die Beziehungen zwischen Libyen und Tschad wesentlich verbesserten. Hunderte von LNA-Mitgliedern wurden mit Hilfe der CIA evakuiert und landeten nach einer Odyssee durch mehrere afrikanische Staaten schließlich in den USA, wo sie Asyl erhielten.
Haftar selbst kam in Vienna, Virginia, unter, das nur wenige Kilometer von der CIA-Zentrale Langley entfernt ist. Er lebte dort fast zwanzig Jahre, bis er sich in Bengasi meldete, um die militärische Führung zu übernehmen. Selbst wenn Haftar schließlich nur zweiter Mann hinter Junis wurde, ist der Vorgang hochauffällig: Ein Mann, der letztmals vor 23 Jahren Soldaten im Kriegseinsatz kommandiert hat, wird von den Rebellen fast augenblicklich in eine leitende Stellung gehievt. Ohne massive Protektion und Einflussnahme US-amerikanischer Dienststellen bliebe dieser rasante Aufstieg völlig unerklärlich. Berichten zufolge soll der Ex-Oberst für eine Reihe militärischer Misserfolge der Aufständischen verantwortlich gewesen sein.
Mit der Ermordung von Junis am 28. Juli unter immer noch unerklärten Umständen wurde möglicherweise der Weg für Haftar an die Spitze der Rebellenstreitkräfte freigeschossen. Das lässt einen geheimdienstlichen Hintergrund der Mordtat immerhin als denkbar und plausibel erscheinen. Es bleibt abzuwarten, wie Haftar künftig in der post-revolutionären Hierarchie plaziert werden wird.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die von den USA aus geleitete und gelenkte NFSL während des gesamten Aufstands kaum in Erscheinung trat. Erst seit wenigen Wochen taucht ihr Generalsekretär Ibrahim Abdulaziz Sahad verstärkt als Gesprächspartner westlicher Medien auf. Er war schon vor Gaddafis Staatsstreich von 1969 Offizier und nachrichtendienstlicher Instrukteur in den königlichen Streitkräften, wurde nach der Revolution als Diplomat in mehrere Länder geschickt und setzte sich ungefähr um 1980 ab, um etwas später die NFSL zu gründen. Sahad hat jetzt damit begonnen, ein eigenes politisches Profil gegenüber dem NTC zu entwickeln – und spricht bereits wie Gaddafi. So etwa, wenn er kategorisch behauptet, in Libyen gebe es keine Stammeskonflikte, „There is no tribal conflict“, und Libyen sei einig, „There is no problem of uniting Libya, because Libya is united“. (Interview mit ABC, World Today, 23. August)
Man sollte auf den Namen Sahad achten: Er könnte sich künftig zur „Stimme Amerikas“ entwickeln.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 31. August 2011