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Anmerkungen zur Geschichte des Staates Israel - Teil 2
Mit der Balfour Declaration von 1917 sicherte Großbritannien den Zionisten eine "nationale Heimstätte" für das jüdische Volk in Palästina zu. (siehe AK 330) Dabei blieb erstens unklar, welchen staatlichen Status die Juden in Palästina haben würden. Unklar waren zweitens die Grenzen der versprochenen Heimstätte.
1919 legte die Zionistische Weltorganisation der Pariser Friedenskonferenz eine Karte vor, die nicht nur das ganze heutige Israel, einschließlich Westbank und Gasa-Streifen, als Teil des jüdischen Staates sah, sondern auch den Süden Libanons, einen Streifen Syriens, sowie das westliche Jordanien bis heran an die Bahnlinie Damaskus-Amman. Gemessen an manchen Wunschvorstellungen war das eher noch ein Minimalprogramm.
Die Friedenskonferenz und der Völkerbund trugen den zionistischen Territorial-Forderungen bekanntlich nur unzureichend Rechnung. Die Herauslösung Transjordaniens (das heutige Jordanien) aus dem britischen Palästina-Mandat 1922 bedeutete, daß dieses Gebiet für die angestrebte "Heimstätte" nicht mehr in Frage kam und dort auch keine jüdischen Siedlungen errichtet werden durften.
Zwischen 1922 und 1936 wuchs der jüdische Bevölkerungsteil in Palästina von 86.000 (11 %) auf 400.000 (30 %), verfünffachte sich also nahezu. Entgegen einer verbreiteten Annahme war diese Zunahme nur zum kleineren Teil auf die Flucht von Juden aus dem nazistischen Deutschland zurückzuführen: aus Deutschland kamen zwischen 1933 und 1939 "nur" etwa 60.000 Juden nach Palästina.
Ein Dutzend Danzigs und Memels
Der zunehmende Widerstand der arabischen Bevölkerung gegen die jüdische Einwanderung veranlaßte die britische Mandatsregierung, 1937 einen Plan für die Teilung Palästinas vorzulegen (Peel Commission). Dieser Vorschlag hätte dem jüdischen Staat 17% des Landes gegeben. In diesem Staat hätten 313.000 Juden und 300.000 Araber gelebt. Jerusalem und ein großes umgebendes Gebiet sollten britisches Mandat bleiben.
Der erste britische Hochkommissar für das Mandatsgebiet Palästina (1920- 25), Viscount Samuel - selbst Jude, dem Zionismus freundlich gegenüberstehend und einer der "Architekten" der Balfour Declaration - gab im britischen House of Lords eine Charakterisierung des Teilungsplans, die den Sachverhalt mit europäischen Analogien exakt beschrieb: Die Teilung würde ein Saargebiet schaffen, einen polnischen Korridor und ein halbes Dutzend Danzigs und Memels, das alles in einem Land mit der Größe von Wales. - Klarer ließ sich die Unmöglichkeit oder Fatalität einer Teilung Palästinas nicht begründen.
In der Zionistischen Weltorganisation war der Peel-Plan heftig umstritten. Es dominierten schließlich die Argumente Ben Gurions: Es bestehe die Gefahr, daß die Zeit gegen die Zionisten arbeiten würde. Der Peel-Plan sei eine gute strategische Ausgangsbasis. Selbstverständlich dürfe Palästina nicht geteilt werden - nicht nur vom historischen Standpunkt aus, sondern auch aus natürlichen und wirtschaftlichen Gründen. Darum gehe es aber überhaupt nicht. Mit dem Aufbau eines entwickelten militärischen Potentials werde sich der jüdische Rumpfstaat die Option zur Expansion verschaffen.
Dennoch stimmte der 20. Zionistische Weltkongreß (Juli 1937) dem Peel-Plan nicht etwa zu, wie gelegentlich falsch kolportiert wird, sondern ermächtigte lediglich die Jewish Agency, mit Großbritannien über die Errichtung eines jüdischen Staats - mit günstigeren Grenzen als im Peel-Plan vorgesehen - zu verhandeln. Dabei sollte betont werden, daß nach zionistischem Verständnis das Versprechen der Balfour Declaration sich auf das ganze ursprüngliche Mandatsgebiet, einschließlich Transjordaniens, bezogen habe. - Die arabische Seite war sich in der Ablehnung des Peel-Plans einig. Unter arabischem Druck ging die britische Regierung zu einer für die Zionisten sehr viel ungünstigeren Politik über. (Britisches "Weißbuch" von 1939)
Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte sich vor dem Hintergrund des Holocaust und angesichts von Hunderttausenden jüdischer Flüchtlinge in Europa die Errichtung eines jüdischen Staats mit neuer Dringlichkeit. Am 29. November 1947 nahm die Vollversammlung der UNO den Plan an, Palästina zu teilen in einen arabischen und einen jüdischen Staat. Die Stadt Jerusalem mit Umgebung sollte als besondere Einheit von der UNO verwaltet werden und zwar zunächst für eine Übergangszeit von zehn Jahren. Danach sollte der Status der Stadt "im Lichte der gemachten Erfahrungen" überprüft werden und Gegenstand eines Referendums der Bewohner sein. Die beiden zu schaffenden Staaten und die Stadt Jerusalem sollten durch eine Wirtschafts-, Währungs- und Zollunion eng miteinander verbunden sein.
Eine Aufforderung zum Krieg
Die Teilungsresolution enthielt eine genaue Beschreibung der Grenzen beider Staaten und des Gebiets von Jerusalem. Daraus ergab sich erstens, daß der jüdische Staat rund 54 % des Gebiets von Palästina einnehmen sollte, obwohl zu diesem Zeitpunkt nur etwa ein Drittel der Einwohner Palästinas Juden waren und flächenmäßig kaum 15 % des Landes von Juden bewohnt wurden. Dem UN-Plan zufolge hätten im jüdischen Staat zunächst etwa gleichviel Araber wie Juden leben sollen (jeweils knapp eine halbe Million), im arabischen Staat hingegen nur etwa 10.000 Juden (und 725.000 Araber). - Diese offensichtlich ungerechte Aufteilung wurde damit begründet, daß der jüdische Staat eine "Reserve" brauche, um mehr Überlebende des Holocaust aus Osteuropa aufnehmen zu können.
Zweitens zeigt ein Blick auf die Karte, daß die UNO-Teilungsresolution von 1947 den jüdischen und den arabischen Staat jeweils aus drei separaten Gebieten bestehen ließ, die so ineinander verkeilt waren, daß die Verbindungswege immer nur über das Gebiet des anderen Staates führten. Das hätte ein Maximum an gutem Willen auf beiden Seiten vorausgesetzt, um zu funktionieren. In der sehr angespannten realen Situation stellte dieser Plan einen Wahnwitz und indirekt eine Aufforderung zur schnellen Klärung der Verhältnisse durch Krieg dar. (Gerade auch mit der Unmöglichkeit des friedlichen Zusammenlebens beider Völker in einem Staat begründete beispielsweise die Sowjetunion damals ihr Votum für die Teilungsresolution.)
Eine territoriale Aufteilung Palästinas unter die beiden Völker, Araber und Juden, war nach Lage der Dinge auf jeden Fall eine mit friedlichen Mitteln nicht zu lösende Aufgabe. Zwar gab es großflächige arabische Siedlungsgebiete, aber die Juden lebten mehr oder weniger über das ganze Land verteilt. Eine konsequente Grenzziehung entlang der Wohngebiete hätte ein beispielloses Chaos von Enklaven und Mini-Territorien zur Folge gehabt. Schon die Engländer waren daher bei ihrem Teilungsplan 1937 auf die wirklich naheliegende Idee gekommen, die arabische Bevölkerung aus dem projektierten jüdischen Staat zu "transferieren", also auszusiedeln. Alles auf streng freiwilliger Grundlage, versteht sich.
Wie wir sahen, sollten laut UNO-Teilungsresolution eine halbe Million Araber unter die Herrschaft des jüdischen Staates kommen. Ein kleiner Teil davon lebte natürlich als Minderheit in überwiegend jüdischen Gegenden und hätte sich vielleicht arrangiert. Die große Mehrheit jedoch befand sich in ausschließlich oder überwiegend arabischen Orten und Gebieten. Daß die meisten von ihnen nicht freiwillig BürgerInnen Israels werden wollten, stand schon fest. Wie sollte also gegen ihren Willen der Teilungsplan durchgesetzt werden?
Es ist schon seltsam: Die UN-Resolution von 1947 beschrieb sorgfältig jede Biegung des Grenzverlaufs. Sie beschäftigte sich bis ins lächerlichste Detail mit der Wirtschaftsunion zwischen den beiden zu gründenden Staaten, mit den einzurichtenden Gremien dieser Union und ihren Kompetenzen usw., wovon niemals das Allergeringste realisiert wurde. Die UN-Resolution schwieg aber zu der zentralen Frage, wie die Teilung Palästinas, das heißt insbesondere die Errichtung der jüdischen Herrschaft über arabische Siedlungsgebiete und Orte, praktisch durchgesetzt werden sollte. Zumindest den Politikern der Großmächte war wohl klar, wie die Umsetzung des Teilungsbeschlusses aussehen würde, aber damit hatte man dann ja nichts mehr zu tun.
Ohne Begin kein Israel
Die Teilungsresolution der UNO wurde, aus unterschiedlichen Gründen, von den Palästinensern und den arabischen Staaten abgelehnt. Verworfen wurde sie aber auch vom revisionistischen (d.h. radikalnationalistischen) Flügel der Zionisten, der über die bewaffneten Organisationen Irgun und Lehi verfügte. (Irgun war 1931 gegründet worden; die noch radikalere Lehi spaltete sich 1940 von Irgun ab.)
Die Revisionisten hatten stets Palästina "auf beiden Seiten des Jordan" für den jüdischen Staat reklamiert und das bedeutete: einschließlich des gesamten Jordaniens, das damals noch Transjordanien hieß. Nach Ansicht der Revisionisten war die UN-Teilungsresolution illegal und unannehmbar. Sie würden sich ihr, so erklärten sie ganz deutlich, mit allen Mitteln widersetzen. Im Juni 1948 proklamierte Irgun gar die Nichtanerkennung des im Mai gegründeten Staates Israel. Erst im Herbst 1948, nachdem der "Unabhängigkeitskrieg" gegen die Araber im Wesentlichen abgeschlossen war, gelang die Integration von Irgun und Lehi in die israelische Armee.
Die Revisionisten waren keine unbedeutende Randströmung des Zionismus. Zwar waren sie politisch Minorität, aber auf der Ebene der bewaffneten Aktion, des Terrors gegen Araber und Engländer, der gezielten Provokation und des militärischen Handstreichs vermochten sie sehr effektiv zu agieren. Das gilt insbesondere für die komplizierte Phase des unerklärten Kleinkriegs, die mit der Teilungsresolution im November 1947 begann und mit dem Eingreifen regulärer arabischer Armeen am 15. Mai 1948 endete. Die Beziehungen der Revisionisten zur zionistischen Führung um Ben Gurion standen in dieser Phase im permanenten Widerspruch zwischen Konflikt und Kooperation. Einerseits stellten Irgun und Lehi aus Sicht Ben Gurions einen Risikofaktor und eine Gefährdung des jüdischen Ansehens dar. Andererseits war es gelegentlich günstig, daß außer Verantwortung der offiziellen Führung Dinge geschehen konnten, die zwar nützlich, aber eben leider nicht sehr schön waren - wie beispielsweise das Massaker an 250 BewohnerInnen des Dorfes Deir Jasin am 9. April 1948.
Später haben es die damaligen Führer von Irgun und Lehi im Staat Israel zu höchsten Ehren gebracht. Ihre Namen: Menachem Begin und Jitzchak Schamir. Ein weiterer Hinweis darauf, daß dieser Aspekt zionistischer Politik und der revisionistische Anteil an der Staatwerdung des Zionismus nicht als marginal betrachtet werden sollte. Eher hatte wohl Begin recht, der schon im Juni 1948 erklärte, ohne die illegale Tätigkeit des Irgun hätte Israel gar nicht gegründet werden können.
Die Teilungsresolution der UNO war zweifellos nicht nur aus Sicht der Revisionisten, sondern auch der sozialdemokratischen Führung um Ben Gurion eine Zumutung und ein Ding, das überhaupt nicht zu praktizieren war. Ein winziger Staat, der aus drei miteinander nicht direkt verbundenen Mini-Territorien bestehen sollte, war inmitten einer nicht gerade freundlich auf das zionistische Projekt reagierenden Umgebung kaum lebensfähig. Jedenfalls nicht nach den Regeln militärischer Doktrinen. Man denke nur an das seit 1967 ständig zu lesende israelische Argument, die Rückkehr zu den Grenzen vor dem Juni-Krieg - die schon ein viel grösseres und geschlosseneres Gebiet umfaßten als nach dem Teilungsplan vorgesehen - wäre militärisch unverantwortlich, würde Israel einem "zweiten Holocaust" aussetzen.
Es kam hinzu, daß ein arabischer Bevölkerungsanteil von 50% die ganze Idee des Zionismus ad absurdum geführt hätte. Dieser Staat wäre binational gewesen oder hätte es jedenfalls sein müssen, falls man nicht sämtliche Regeln der Demokratie außer Kraft setzen wollte.
Das Interesse, die Linien des Teilungsplans militärisch zu revidieren (und zugleich die Bevölkerungsverhältnisse zu "korrigieren"), bestand demnach auch bei der Führungsgruppe um Ben Gurion. (In diesem Zusammenhang ist wichtig, daß auf Drängen Ben Gurions am 12. Mai 1948 beschlossen wurde, sich bei der Proklamation des Staates Israel nicht auf die in der UN-Teilungsresolution genannten Grenzen zu beziehen.)
Krieg als Mittel der Politik
Der erste arabisch-israelische Krieg begann tatsächlich nicht am 15. Mai 1948 mit dem Eingreifen regulärer arabischer Armeen, sondern unmittelbar nach der Teilungsresolution vom November 1947. Auf der einen Seite kämpften palästinensische Guerilla-Verbände, teilweise mit Unterstützung aus arabischen Staaten. Sie konnten zwar kaum Territorium besetzen, gefährdeten oder blockierten aber die Verkehrswege und schnitten jüdische Siedlungen ab. Auf der anderen Seite heizten seit Januar 1948 Irgun und Lehi den Konflikt durch Bombenanschläge auf arabische Bevölkerungszentren an. Es gab daraufhin arabische "Vergeltungsaktionen", die im Gegenzug wiederum Aktionen der offiziellen zionistischen Truppen (Hagana) rechtfertigen mußten, obwohl man sich von den Anschlägen der Revisionisten selbstverständlich öffentlich distanzierte.
Anfang April 1948 war die Lage so, daß die Zionisten zur militärischen Offensive übergehen konnten, wobei mitunter, wie bei der Eroberung der arabischen Stadt Haifa, Hagana und Irgun direkt zusammenarbeiteten. Durch diese Offensive wurden in wenigen Wochen weitgehend die im Teilungsplan vorgesehenen Linien erreicht. Eine Massenflucht der arabischen Bevölkerung setzte ein, besonders nachdem sich die Nachricht vom Massaker in Deir Jasin (9. April 1948) verbreitete. Das setzte die arabischen Regimes, die zwar lautstark Kriegsparolen verbreiteten, aber vor Taten eher zurückschreckten, weil sie sich ihrer militärischen Schwäche bewußt waren, unter Zugzwang. (Ein Phänomen, das in der Geschichte der arabisch-israelischen Konflikte immer wieder eine entscheidende Rolle spielen sollte.)
Der Termin des Eingreifens regulärer Truppen arabischer Staaten ergab sich daraus, daß am 14. Mai 1948 das britische Mandat über Palästina endete (und am gleichen Tag der Staat Israel proklamiert wurde). Die arabischen Regimes, die durchweg gute Beziehungen zu Großbritannien unterhielten, hatten vor Ende des Mandats nicht intervenieren wollen.
Der erste arabisch-israelische Krieg begründete, vor dem Hintergrund des Holocaust, den Mythos vom tapferen kleinen Volk, das sich gegen eine riesige Übermacht von vernichtungswilligen Feinden behauptet. Indem man einfach die Bevölkerung der Staaten zusammenzählte, die Israel den Krieg erklärt hatten, kam man, wie beispielsweise Ben Gurion, zu der Version, 27 Millionen Araber hätten 700.000 Juden überfallen. Das Kräfteverhältnis wird mal mit 1:25, mal mit 1:40 angegeben. Tatsächlich schickten die arabischen Staaten - in erster Linie Transjordanien und Ägypten, der Rest spielte kaum eine Rolle - insgesamt nicht viel mehr als 50.000 Mann an die Fronten. Das entsprach ungefähr der zahlenmäßigen Stärke der israelischen Truppen. Über wesentlich mehr kriegsfähige Soldaten verfügten die arabischen Staaten damals gar nicht.
Schon zum Zeitpunkt des ersten Waffenstillstands (7. Juni 1948) konnte die israelische Armee melden, daß, mit Ausnahme des Negev südlich von Beerscheba, das gesamte von der UNO für den jüdischen Staat vorgesehene Gebiet fest unter Kontrolle war. Die Fortführung des Krieges bis in den März 1949 hinein diente nur noch der Erweiterung des Territoriums.
Das Ergebnis des Krieges war erstens, daß Israel sich weit über die Linien des UN-Teilungsbeschlusses hinaus ausdehnte. Zweitens, daß zwischen 500.000 und 700.000 arabische Palästinenser geflüchtet oder vertrieben waren, so daß im Gebiet Israels nur noch etwa 100.000 als tolerierbare Minorität lebten. Israel weigerte sich, diese Kriegserfolge zu revidieren, d.h. auf die Linien der UN-Resolution zurückzugehen und die Rückkehr der Flüchtlinge zu erlauben. Das trug dazu bei, daß mit den arabischen Staaten, die 1948/49 mit Israel lediglich Waffenstillstands-Abkommen geschlossen hatten, keine Friedensverträge und keine Anerkennung Israels zustande kamen.
Nicht zustande kam auch der von der UNO beschlossene arabisch-palästinensische Staat. Das transjordanische Regime annektierte das Land westlich des Jordan, soweit es nicht von Israel erobert worden war. Nur zu diesem erklärten Zweck hatte sich Amman überhaupt an dem Krieg beteiligt. Die von den konkurrierenden arabischen Regimes nur halbherzig unterstützte radikalnationalistische palästinensische Exilregierung protestierte von Gasa aus erfolglos. Ägypten unterstellte den Gasa-Streifen seiner Verwaltung, betrachtete ihn aber offiziell nicht als Teil seines Territoriums.
Vom Aufstieg Nassers ...
In den 50er Jahren entwickelte sich der israelisch-ägyptische Konflikt zum Zentrum der Konfrontation zwischen Israel und den arabischen Staaten. Die halbkoloniale Monarchie wurde 1952 gestürzt, und der weiterhin diktatorisch regierte Staat ging unter dem Nationalisten Nasser schrittweise auf Distanz zu den westlichen Großmächten. Das war anscheinend aus israelischer Sicht so vorteilhaft, daß man die Entwicklung noch künstlich zu forcieren versuchte: Im Juli 1954 explodierten in Ägypten mehrere Bomben, die sich gegen britische und amerikanische Ziele richteten. Organisator war, wie sich schnell herausstellte, der militärische Geheimdienst Israels. Zweck der Sache war, das Mißtrauen zwischen den Westmächten und dem neuen Kairoer Regime zu verschärfen. (Der Vorgang ist unter dem Namen "Lavon-Affäre" bekannt; Lavon war israelischer Verteidigungsminister).
Zur weiteren Zuspitzung trug bei, daß Nasser es ablehnte, dem 1955 gegründeten pro-imperialistischen Bagdad-Pakt beizutreten. (Mitglieder waren Großbritannien, die Türkei, Irak, Iran und Pakistan.) - Nasser bemühte sich andererseits zu dieser Zeit noch um amerikanische Waffenlieferungen, lehnte aber die von Washington geforderte Erklärung ab, die Waffen nicht offensiv einzusetzen. So wurde durch ein Abkommen im September 1955 die Sowjetunion erstmals zum Waffenlieferanten eines arabischen Staates, und es begann die Epoche sowjetisch-amerikanischer Konfrontation in Nahost, die erst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre mit dem Kollaps der sowjetischen Außenpolitik endete.
Am 26. Juli 1956 gab Nasser die Nationalisierung des Suez-Kanals bekannt, der bis dahin der Kontrolle durch eine britisch geführte Gesellschaft unterstand. Das brachte Ägypten in einen schweren Konflikt mit den Großmächten England und Frankreich und Israel ergriff die Gunst der Stunde. Die drei Regierungen verabredeten folgendes Vorgehen, das dann auch exakt praktiziert wurde: Israel sollte Ägypten angreifen und möglichst bis zum Suez-Kanal vorstoßen. Dann würden England und Frankreich in der Pose besorgter Vermittler beide Seiten ultimativ auffordern, sich vom Suez-Kanal zurückzuziehen. Schließlich würden, da Kairo das Ultimatum gewiß zurückweisen würde, britische und französische Truppen die Kanalzone besetzen. - Massive französische Waffenlieferungen an Israel in der Zeit von Ende Juli bis Ende September 1956 bereiteten die Aggression vor.
... zum Suez-Krieg
Am 15. Oktober 1956 beantragte Jordanien eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats, um Maßnahmen gegen wiederholte Vorstösse Israels auf jordanisches Gebiet (zuletzt Ende September und am 11. Oktober) zu beraten. Ben Gurion erklärte dazu, Israel fühle sich wegen der häufigen Angriffe bewaffneter Gruppen aus den arabischen Staaten berechtigt, "eine Politik der Selbstverteidigung durchzuführen". (Solche Aktionen der israelischen Armee hatten in der Vergangenheit auch schon mehrfach gegen Ägypten stattgefunden)
Ebenfalls am 15. Oktober trafen sich in Amman Jordaniens König Hussein und der irakische Kronprinz, um entsprechend dem zwischen den beiden verwandten Königshäusern bestehenden Beistandspakt über irakische Hilfeleistungen zu sprechen. Angeblich sollten irakische Flugzeuge und Truppen in Jordanien stationiert werden. Ben Gurion erklärte noch am gleichen Tag, daß sich Israel in diesem Fall frei fühlen würde, so zu handeln, wie es dies für richtig halte. Aufgrund dessen, was man inzwischen über die britisch-französischen-israelischen Geheimabsprachen weiß, ist das damalige israelische Drohverhalten gegen Jordanien als Ablenkungsmanöver einzuschätzen. Denn Jordanien hatte von Großbritannien eine militärische Beistands-Garantie, die bei einem israelischen Angriff in Kraft getreten wäre.
Am 28. Oktober gab die israelische Regierung eine Teilmobilisierung ihrer Streitkräfte bekannt. Begründet wurde das mit sich häufenden Angriffen (von Guerilla-Trupps) aus Jordanien, Libanon und Ägypten, mit der Konzentration irakischer Truppen an der jordanischen Grenze und mit dem Abschluß eines Militärpakts zwischen Ägypten, Syrien und Jordanien am 23. Oktober.
Am Abend des 29. Oktober gab Israel bekannt, seine Truppen hätten Fedajin-Einheiten in Ägypten angegriffen. Es handele sich um eine Reaktion auf "militärische Angriffe ägyptischer Streitkräfte gegen israelische Verbindungswege zu Land und zur See". Man konnte daher im ersten Moment annehmen, daß Israel wieder eine seiner zahlreichen, aber begrenzten "Vergeltungsaktionen" gestartet hatte. Schnell zeigte sich jedoch, daß eine massive Offensive an der gesamten Sinai-Front begonnen hatte.
Am 30. Oktober nachmittags wurde ein auf zwölf Stunden befristetes britisch-französisches Ultimatum ausgesprochen, das beide Seiten aufforderte, den Kampf einzustellen und ihre Truppen auf zehn Kilometer vom Suez-Kanal zurückzuziehen - den selbst die Spitzen der israelischen Truppen zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erreicht hatten. Von Ägypten wurde außerdem die Zustimmung zur "zeitweisen" Stationierung britischer und französischer Streitkräfte in der Kanalzone verlangt. Nach Ablaufen dieser Frist würden Streitkräfte der beiden Großmächte intervenieren. Israel stimmte sofort zu, während Nasser Ägyptens Entschlossenheit betonte, "sein legitimes Recht zur Selbstverteidigung zwecks Aufrechterhaltung seiner Unabhängigkeit, seiner territorialen Integrität und seiner Ehre auszuüben". Die israelische Armee setzte danach ihren Vormarsch fort.
Am 31. Oktober begann die Bombardierung ägyptischer Städte, Flughäfen, Industrieanlagen usw. durch britische und französische Flugzeuge. Am frühen Morgen des 5. November landeten Fallschirmjäger der beiden Staaten in der Kanalzone. Andere Einheiten wurden mit Landungsbooten herangeschafft.
Am 6. November wurden alle Kämpfe eingestellt, nachdem Ägypten einem Waffenstillstand mit Israel zugestimmt hatte. Die Verluste des Kriegs wurden von israelischer Seite mit 3000 ägyptischen und 150 israelischen Toten angegeben. Die Zahl der durch die britisch-französischen Angriffe getöteten Ägypter wurde zusätzlich auf etwa 1000 geschätzt.
Israel erhält Garantien der USA
Die schnelle Beendigung des Krieges, die letztlich keinem der Aggressionsstaaten bleibenden Gewinn brachte, ist darauf zurückzuführen, daß sich nicht nur die Sowjetunion, sondern auch die USA gegen den Angriff und für die Integrität Ägyptens aussprachen.
Die letzten israelischen Truppen, die noch den Gasa-Streifen und das Gebiet zwischen Eilat und Sharm-el-Sheikh (am Golf von Akkaba) besetzt hielten, wurden allerdings erst Anfang März 1957 abgezogen. Vorausgegangen waren schwere amerikanisch-israelische Verhandlungen, in denen US-Präsident Eisenhower auch vor finanziellem Druck auf Israel nicht zurückgeschreckt war. Er ist der einzige Präsident der USA, der das jemals versucht hat, was ihm bis heute in Israel den Ruf eingebracht hat, der judenfeindlichste Präsident gewesen zu sein, der jemals die USA regierte. Eisenhowers Drohung mit Sanktionen scheiterte allerdings am Widerstand des Senats und der Presse, wie Abba Eban (Israels Vertreter bei der UNO) aus den USA melden konnte.
Die israelische Regierung, immer noch geführt durch Ben Gurion, hätte es anfangs wohl bevorzugt, sich überhaupt nicht wieder von der Sinai-Halbinsel zurückzuziehen. Diese Position wurde aber sehr schnell fallengelassen. Viel mehr Widerstand setzte man der Forderung nach Freigabe Gasas und des Streifens am Golf von Akkaba entgegen. Ersteres aus "Sicherheitsgründen", weil das Gasa-Gebiet mit seinen palästinensischen Flüchtlingsmassen als Ausgangspunkt von Guerilla-Aktionen gegen Israel gedient hatte. Das zweite, um die freie Schiffahrt durch den Akkaba-Golf und die von Ägypten als Hoheitsgewässer beanspruchte Straße von Tiran zum südisraelischen Hafen Eilat am Roten Meer zu garantieren.
Israel stimmte dem vollständigen Abzug erst zu, nachdem es von der US-Regierung eine schriftliche Garantie für die Unterstützung folgender "Essentials" erhalten hatte:
- Freier Zugang israelischer Schiffe nach Eilat.
- Öffentliche Zusicherung der USA, daß Israel im Fall einer Sperrung der Straße von Tiran durch Ägypten das "Recht zur Selbstverteidigung" haben würde.
- Der freie Zugang nach Eilat sollte auch für israelische Kriegsschiffe gelten.
- Kriegsschiffe unter UN-Flagge sollten auf dem Seeweg patrouillieren.
- Die US-Regierung verpflichtete sich, darauf hinzuwirken, daß soviele Staaten wie möglich den Zugang nach Eilat als internationales Gewässer anerkennen und Israel ein "Selbstverteidigungsrecht" im Sinne des Punktes 2 zubilligen sollten. Das spielte zehn Jahre später beim Juni-Krieg 1967 tatsächlich eine zentrale Rolle, als Nasser die Sperrung des Golfs von Akkaba proklamierte.
Am 28. Oktober 1957, ein Jahr nach dem Krieg, faßte Ben Gurion die positiven Ergebnisse des Sinai-Feldzugs so zusammen: "Anstieg der Verbindungen der Diaspora (die Juden außerhalb Israels) mit Israel; Ehre und Bewunderung für die IDF (die israelische Armee) in der ganzen Welt; Abschreckung der Nachbarländer von Angriffen auf Israel für etliche Jahre; Untergrabung der Hegemonie Nassers; relative (und zeitweise) Ruhe an den Grenzen; Freiheit der Schiffahrt in Eilat und im Roten Meer; eine Ölpipeline von Eilat zum Mittelmeer und eine Chance für eine Alternative zum Suez-Kanal."
Kleine Zwischenbilanz
1. Unabhängig von Berechtigung oder Nichtberechtigung der jüdischen Einwanderung nach Palästina, die seit der Balfour Declaration auf zunehmenden Widerstand der arabischen BewohnerInnen des Landes stieß, muß festgestellt werden: Die Schaffung eines jüdischen Staates in Palästina entlang der realen Verteilung der beiden Völker im Land war unter den Bedingungen des 20. Jahrhunderts technisch eine Unmöglichkeit, da sie nur einen "Flickenteppich" produziert hätte. Die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina hatte daher die gewaltsame Unterwerfung oder/und Vertreibung eines Teils der arabischen Bevölkerung notwendigerweise zur Voraussetzung.
2. Daß dieser Vorgang das ohnehin problematische israelisch-arabische Verhältnis zusätzlich so schwer belasten würde, daß daraus leicht ein Dauerkonflikt werden konnte, lag auf der Hand. Zionisten, soweit sie die Existenz einer arabischen Bevölkerung im Land überhaupt zur Kenntnis nahmen, hatten frühzeitig vorausgesehen, daß das zionistische Projekt nur über einen heftigen nationalen Verteilungskampf zu realisieren war. Teilweise mit der Schlußfolgerung, einem binationalen Konzept den Vorzug zu geben, teilweise aber auch mit dem Ergebnis radikalisierter Militanz. ("Sie oder wir"). Es ist nicht uninteressant, daß gerade viele ultranationalistische Revisionisten der Tatsache, daß die Araber nicht ohne Kampf und Widerstand aus ihrer Heimat weichen oder sich unterwerfen lassen würden, großes Verständnis und manchmal sogar eine Art Sympathie entgegenbrachten - aber durch diese Erkenntnis in der Sache selbst nur noch unversöhnlicher wurden.
3. Die Perspektive eines auch bewußt offengehaltenen Dauerkonflikts mit den arabischen Nachbarstaaten und den Palästinensern hatte aus vorherrschend zionistischer Sicht durchaus positive Aspekte. Der jüdische Staat, wie er im Mai 1948 gegründet wurde, entsprach in keiner Weise den traditionellen territorialen Vorstellungen des Zionismus. Er entsprach in den damaligen Grenzen selbstverständlich auch absolut nicht den Erfordernissen, die sich aus dem zionistischen Anspruch ergaben, Heimatland für alle Juden der ganzen Welt zu werden. Daraus folgte, daß Israel als Staat im Werden begriffen werden mußte, also als Staat, der seine "historischen", per religiöser Überlieferung "rechtmäßigen" und quasi auch "natürlichen" (verteidigungsfähigen, ökonomisch erforderlichen etc.pp.) Grenzen noch nicht erreicht hat. Ein Staat also, der immer auf dem Sprung war (und ist), zur richtigen Zeit und im geeigneten Moment eine "Korrektur" der Grenzen herbeizuführen. Die Fixierung Israels als Staat in permanenter Notwehr - die in der mehr verbalen als realen Aggressivität der Nachbarstaaten ihre scheinbare Bestätigung findet - ist so gesehen die Voraussetzung für eine Politik der schrittweisen Expansion.
4. Alle israelisch-arabischen Kriege zeigen, daß Israel militärisch eine nicht einzuholende qualitative Überlegenheit besitzt, die nicht nur auf seinen Waffensystemen, sondern auch auf dem Ausbildungsstand seiner Soldaten und Offiziere basiert. Wer in der Lage ist, die Armee seines Nachbarstaats in einer Woche kriegsentscheidend zu schlagen und dabei nur ein Zehntel oder Zwanzigstel der Verluste des Gegners zu erleiden, hat ein Übergewicht, das nicht zu erschüttern ist, solange der Nachschub an Wirtschafts- und Militärhilfe aus den USA nicht unterbrochen wird. Israels Existenz war zu keinem Zeitpunkt seit der Staatsgründung bedroht. Die traditionelle Neigung arabischer Regimes und Potentaten, ihr innen-und außenpolitisches Prestige durch Kriegsparolen gegen Israel erhöhen zu wollen, stand immer in umgekehrtem Verhältnis zu ihren militärischen Möglichkeiten.
Knut Mellenthin
analyse & kritik, 3. Juni 1991