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Der Zweck heiligt die Mittel - Die Volksmudschaheddin und ihre Freunde

Die enge Zusammenarbeit zwischen zahlreichen europäischen Parlamentariern und den iranischen Volksmudschaheddin (MEK) ist in dieser Woche ins Gerede gekommen. Im Europa-Parlament gibt es schon seit einiger Zeit eine MEK-Unterstützergruppe, die sich "Friends of a Free Iran" nennt. Ihr gehören Abgeordnete fast aller politischen Richtungen an. Darunter André Brie und Helmuth Markov von der Linkspartei.PDS.

Auffällig ist diese Partnerschaft zum einen, weil die MEK in der EU, ebenso wie in den USA, als "terroristische Organisation" gilt. Nach herrschenden Kriterien ist diese Zuordnung keineswegs ungerecht, sondern völlig logisch. Denn die MEK hat nicht nur in den 80er und 90er Jahren Bombenanschläge, bewaffnete Überfälle und gezielte Mordaktionen im Iran durchgeführt, sondern hält auch heute noch an dieser Kampfform fest. Trotzdem steht die Befreiung der MEK vom Makel der "Terrororganisation" im Zentrum der Forderungen ihrer parlamentarischen Freunde. Auf den ersten Blick hat das keine große Bedeutung, weil die MEK, seltsam und widersprüchlich genug, trotz des negativen Stempels ohnehin überall in Europa völlige Legalität genießt. Mit der Befreiung von dem Makel verbindet sich für die MEK jedoch die Hoffnung, endlich auch an finanzielle Unterstützung und offizielle Regierungskontakte heran zu kommen.

Auffällig ist die enge Zusammenarbeit linker Parlamentarier mit der MEK auch, weil diese Organisation zugleich von den US-amerikanischen Neokonservativen und dem rechten Flügel der pro-Israel-Lobby verhätschelt wird. Aus deren Sicht ist das nur natürlich, denn die MEK übertrifft mit der Radikalität ihrer anti-iranischen Propaganda selbst die US-Regierung bei weitem.

Auf Fragen nach den Motiven für ihre seltsame Symbiose mit der MEK haben Brie und Markov zunächst mit der Behauptung reagiert, es gehe ihnen lediglich um einen "kritischen Dialog" mit einer wichtigen Kraft der iranischen Opposition. Tatsächlich ist bei ihnen aber keine kritische Distanz und geistige Unabhängigkeit gegenüber den Volksmudschaheddin mehr zu erkennen. Das ist, wenn man sich mit der MEK näher beschäftigt, rational nicht zu erklären. Das gemeinsame Interesse, den internationalen Streit um das iranische Atomprogramm noch weiter zu verschärfen, scheint alle anderen Überlegungen in den Hintergrund zu drängen. Der Zweck muss wieder einmal die Mittel heiligen. Auf beiden Seiten dieser unheiligen Allianz.

Selbstverbrennung für die Führerin

Die Freunde der MEK behaupten, die Organisation habe sich gegenüber früheren Zeiten grundlegend gewandelt, geradezu geläutert. André Brie hat im Hauptlager der MEK im Irak, Ashraf, sogar eine idyllische Menschengemeinschaft vorgefunden oder, richtiger gesagt, wahrgenommen. "Es herrscht dort ein freimütiges, ehrliches, menschliches Klima, das eine interessante Erfahrung für mich war", gab der Europa-Abgeordnete sichtlich begeistert zu Protokoll, nachdem er sich im Juli 2005 fünf Tage in Ashraf aufgehalten hatte.

Wie menschenverachtend es jedoch tatsächlich bei den Volksmudschaheddin zugeht, zeigen die Vorgänge vom Juni 2003. Die französische Polizei hatte damals eine Großrazzia gegen das Hauptquartier von MEK-Chefin Maryam Rajavi in Auvers bei Paris durchgeführt. Rajavi und mehrere andere MEK-Funktionäre wurden in Untersuchungshaft genommen. Innerhalb von zwei Wochen wurden sie wieder freigelassen. Heute residiert Maryam Rajavi wieder wie eine Königin in Auvers, hält Hof und empfängt Abgeordnete aus allen Ländern Europas zur Audienz.

Für einige Mitglieder der Volksmudschaheddin hatte die kurze Episode jedoch schwerwiegende Folgen. Die MEK ordnete nämlich Selbstverbrennungen als Protest gegen die Festnahme ihrer Führerin an. Förmlich befehlen musste die MEK das offenbar niemandem. Die Zahl der Kandidatinnen und Kandidaten, die in unterwürfigen Schreiben darum baten, sich als Zeichen ihrer Verehrung für Maryam Rajavi selbst in Brand setzen zu dürfen, war erschreckend groß. Nach einer offiziellen Mitteilung waren es Hunderte. In einem der "Bewerbungsschreiben" hieß es beispielsweise: "Ich erkläre, dass ich alles, was ich besitze, von meinen spirituellen Führern Massud und Maryam Rahjavi habe. Wenn meine Organisation die Selbstverbrennung anordnet, dann ist es mein Wille, mich bei vollem Bewusstsein und voller Kenntnis selbst zu verbrennen. Wo und wann immer meine Führer dies entscheiden."

Innerhalb weniger Tage gab es damals mindestens zehn Selbstverbrennungen, unter anderem in Paris, London, Rom und Bern. Zwei Frauen starben; die anderen überlebten mit schweren Verbrennungen und ungeheuren Schmerzen. Maryam Rahjavi verkündete nach ihrer Freilassung: "Wir haben unsere Ziele erreicht und sind sehr stolz darauf. Besonders darauf, dass sich so viele für uns geopfert und sich selbst verbrannt haben." In ihrer Rede auf einer MEK-Massenkundgebung in Le Bourget bei Paris am 1. Juli dieses Jahres erinnerte Rajavi an die damaligen Vorgänge und rief aus: "Heil den Helden, die herbei eilten, um sich dieser großen Verschwörung zu widersetzen! Heil der Geduld und dem Glauben der Männer und Frauen, die immer noch die Narben dieser Vorfälle an ihren Körpern und in ihren Herzen tragen!"

Bei den Selbstverbrennungen vor drei Jahren ging es keineswegs um eine extreme Grenzsituation, wo sich die Frage nach dem Einsatz des eigenen Lebens vielleicht auf besondere Weise stellt. Sondern es ging um banale Vorgänge in einer bürgerlichen Demokratie: um ein paar Tage, die die MEK-Führerin in einer Zelle, statt in ihrer Residenz verbringen musste. Das absurde Missverhältnis zwischen dem geringfügigen Anlass und dem einzigartigen Opfer, zu dem Hunderte von MEK-Anhängern ohne eigenes Nachdenken sofort bereit waren, kennzeichnet die Strukturen der MEK. Von einer Sekte, deren Mitglieder auf Befehl ihres Führers jederzeit Massenselbstmord begehen würden, scheinen die Volksmudschaheddin auch heute nicht weit entfernt.

Die Reise nach Ashraf

Von 1986 bis zum US-amerikanischen Einmarsch im Frühjahr 2003, rund 17 Jahre lang, hatte die MEK ihren Schwerpunkt im Irak. Mit Waffen, die die irakische Armee zur Verfügung stellte, wurde eine "Nationale Befreiungsarmee" mit mehreren tausend Kämpfern aufgebaut, die sich am Angriffskrieg des Saddam-Hussein-Regimes gegen Iran beteiligte. Dass diese Partnerschaft ihren Preis hatte, ist klar, auch wenn die MEK-Spitze darüber öffentlich immer noch eisern schweigt. Ohne enge Kooperation mit der Baath-Partei, mit dem irakischen Geheimdienst und anderen Sicherheitskräften war die Gastfreundschaft Saddam Husseins ganz sicher nicht zu haben. Und sicher auch nicht ohne Schmeicheleien für den Diktator.

Schon in den frühen 90er Jahren gab es Berichte ehemaliger MEK-Mitglieder, die von einem Schreckensregiment gegenüber Dissidenten und Ausstiegswilligen in der Organisation berichteten. In Ashraf, dem zentralen MEK-Militärlager im Irak, gebe es eine Anlage, in der Mitglieder aus politischen Gründen gefangen gehalten und zum Teil sogar gefoltert würden, lauteten die Vorwürfe. Mehrere Gefangene seien dabei ums Lebens gekommen. Andere Mitglieder seien den irakischen Behörden übergeben worden und nach Abu Ghraib, schon damals eine berüchtigte Folteranstalt, gebracht worden.

Nach der Besetzung des Iraks durch die US-Armee bemühte sich die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) den Vorwürfen nachzugehen, indem sie Aussagen von Betroffenen und Zeugen sammelte und auswertete. HRW ist die Organisation, die auch die Geheimflüge und geheimen Haftanstalten der CIA an die Öffentlichkeit gebracht hat. Am 18. Mai 2005 legte HRW einen 28seitigen Report über "Menschenrechtsverletzungen in den MEK-Lagern" vor. Die Ergebnisse bezogen sich ausschließlich auf die Zeit des Saddam-Hussein-Regimes.

Einen Tag nach der Veröffentlichung des Berichts, am 19. Mai 2005, reagierte die interfraktionelle Paramentariergruppe "Friends of a Free Iran" mit einer scharfen Verurteilung der HRW. Die Vorwürfe seien "ein Werkzeug in der Hand des iranischen Regimes" und "ohne jede Legitimität". HRW wurde aufgefordert, ihren Report zurückzuziehen. Nachdem somit das Urteil des MEK-Freundeskreises schon feststand und öffentlich verkündet war, reisten im Juli 2005 mehrere Abgeordnete als "fact finding mission" in den Irak und besuchten fünf Tage lang das MEK-Lager in Ashraf, das jetzt unter Kontrolle der US-Armee und der CIA steht. Ein Mitglied der "Untersuchungsgruppe" war André Brie.

Am 21. September 2005 legten die "Friends of a Free Iran" als Ergebnis dieser Reise einen 130 Seiten langen Bericht vor, der sämtliche Vorwürfe als falsch, völlig unbegründet, bösartig und vom iranischen "Mullah-Regime" manipuliert zurückwies. Beweis: Aussagen von Ex-Ehefrauen, Brüdern, Schwestern und Eltern der von HRW angehörten Betroffenen und Zeugen. Alle von der "Untersuchungsgruppe" Befragten waren sich einig, dass sämtliche Vorwürfe frei erfunden und dass ihre abtrünnigen Verwandten selbstverständlich Agenten des iranischen Geheimdienstes seien.

Das sagt genau genommen zwar viel über die Strukturen der MEK, aber sehr wenig über den Wahrheitsgehalt des HRW-Reports aus. Die Bewohner von Camp Ashraf stellen eine Auslese dar, nachdem die US-Behörden es allen MEK-Angehörigen, die sich von ihrer Organisation trennen wollten, freigestellt haben, das Lager zu verlassen. Hunderte haben seit Sommer 2003 von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht; mehr als 3.000 Menschen leben aufgrund eigener Entscheidung immer noch dort. Dass jeder von ihnen ohne Zögern bereit ist, die Unwahrheit zu sagen, um die eigene Organisation zu schützen, ist selbstverständlich. Das wäre vermutlich selbst unter normalen Bedingungen zu erwarten. Und hier haben wir es mit politisch missbrauchten, deformierten Menschen zu tun, von denen viele aus geringfügigstem Anlass sogar ihr Leben wegwerfen würden, um ihrer Führerin eine Freude zu machen.

Dass die Reise nach Ashraf unter diesen Voraussetzungen keinerlei Wert für die Wahrheitsfindung haben konnte, müsste den "Friends of a Free Iran" eigentlich von vornherein klar gewesen sein. Anscheinend war der Wille, die MEK um jeden Preis reinzuwaschen, stärker als die eigene Vernunft. Das verrät eine seltsame Haltlosigkeit gegenüber einer Organisation, die über die 17 Jahre ihrer Kooperation mit dem Saddam-Hussein-Regime bis heute nicht selbstkritisch Rechenschaft abgelegt hat, sondern diesen Zeitraum einfach verdrängt und totschweigt.

"Weder Appeasement noch Krieg"

Nach Informationen der JW hat die MEK-Spitze ihren Mitgliedern den "nicht-militärischen Kampfauftrag" erteilt, überall in Europa Parlamentsabgeordnete als Unterstützer und Propagandisten anzuwerben. Diese Taktik ist so erfolgreich, dass auf einer MEK-Großkundgebung in Le Bourget bei Paris am vergangenen Sonnabend eine Grußadresse von 234 europäischen Abgeordneten aller politischen Lager verlesen wurde. Der Text hört sich an, als wäre er von der MEK selbst verfasst oder zumindest streng redigiert worden, was wohl auch nicht ganz auszuschließen ist.

Erschreckend ist der Distanzverlust vieler MEK-Freunde gegenüber dem Objekt ihrer Solidarität. Beteuerungen der völligen Übereinstimmung mit Maryam Rajavi und Bekenntnisse zur führenden Rolle der MEK in der demokratischen Opposition gehören zu den Standards. Abstruse anti-iranische Erfindungen der Volksmudschaheddin, die nicht einmal bei der US-Regierung ein Echo finden, werden von manchen parlamentarischen MEK-Freunden willig nachgebetet. Und einige stehen bereits so stark unter Einfluss, dass sie eine Rede mit dem Ausruf beginnen: "Zu allererst möchte ich meine allerliebsten Freunde in Ashraf grüßen, die Helden und Avantgardekämpfer der Freiheit und Demokratie!" So Lars Rise, ein ehemaliger Abgeordneter der norwegischen Christlichen Volkspartei, auf der MEK-Kundgebung in Le Bourget am 1. Juli.

Das zentrale Bindeglied zwischen der MEK und ihren parlamentarischen Freunden ist die Haltung zum internationalen Streit um das zivile Atomprogramm Irans. Die Formel der MEK lautet "Weder Appeasement noch Krieg". Die Lösung liege vielmehr in der "dritten Option", nämlich einem "Regimewechsel" im Iran unter Führung der MEK.

"Appeasement" (Beschwichtigungspolitik) ist ein historischer Begriff, der sich auf das Taktieren Englands und Frankreichs gegenüber Hitler in den 30er Jahren bezieht. Gemeint ist vor allem die Preisgabe von wesentlichen Teilen der Tschechoslowakei auf der Münchner Konferenz Ende September 1938. In den 70er Jahren wurde der Vorwurf des "Appeasement" von den US-amerikanischen Neokonservativen gegen die Entspannungspolitik mit der Sowjetunion erhoben. Die MEK versteht heute unter "Appeasement" jeden Versuch einer diplomatischen Verständigung im Atomstreit.

Stattdessen fordert die MEK den sofortigen Abbruch aller Verhandlungen, die Verurteilung Irans durch den UNO-Sicherheitsrat und die Verhängung umfassender harter Sanktionen. Außerdem müsse Iran aus der UNO ausgeschlossen werden und die Vereinten Nationen sollten stattdessen die MEK anerkennen. Maryam Rajavi zögert nicht, diese Forderungen als "Willen des iranischen Volkes" zu bezeichnen. Schließlich ist sie nach eigenem Verständnis "die gewählte Präsidentin" Irans.

Für die MEK steht zweifelsfrei fest, dass sie erstens die Avantgarde der iranischen Nation ist, dass zweitens das iranische "Regime" sich in den allerletzten Zuckungen befindet und dass drittens nur noch ein wenig Unterstützung durch USA und EU erforderlich ist, um in Teheran die Macht zu übernehmen. Solche Illusionen waren und sind für Polit-Sekten zu allen Zeiten typisch. Außerhalb der MEK und ihres Freundeskreises gehen aber alle Analytiker davon aus, dass die Verhältnisse im Iran stabil sind und dass die Volksmudschaheddin in der iranischen Bevölkerung sehr wenig Sympathie genießen, seit sie sich in den Dienst von Saddam Hussein stellten.

Was aber folgt daraus, wenn es nicht in allernächster Zeit mit der "dritten Option" klappt? Die MEK tut alles, um die Lage als hochdramatisch dazustellen. Die Zeit, um Iran noch an der Entwicklung von Atomwaffen zu hindern, laufe schnell ab, warnt und alarmiert die MEK ständig. Der Sprecher der Volksmudschaheddin in den USA, Ali Reza Jafarzadeh, behauptete schon im Jahr 2004, aus sicherer Quelle zu wissen, dass Iran Mitte 2005 seine erste Atombombe verfügbar haben werde. In einer Rede, die sie am 7. November 2005 auf einer Kundgebung in Brüssel hielt, verstieg sich Maryam Rajavi zu der Behauptung, "dass die Mullahs auf Grund der tiefen Krise und fundamentalen Schwäche ihres Regimes in einem präventiven Schritt der Weltgemeinschaft den Krieg erklärt haben".

Die Formel "Weder Appeasement noch Krieg" dient vor diesem Hintergrund nur der Täuschung. Das wird dadurch unterstrichen, dass die MEK abgesehen von ständigen Herunterbeten dieser Parole absolut keine Aktivitäten gegen die Kriegsdrohungen der USA und Israels unternimmt. Mit ihrem Kampf gegen alle Versuche einer diplomatischen Verständigung und ihrer scharfmacherischen Propaganda leistet die MEK im Gegenteil einen Beitrag zur Kriegshetze gegen Iran. Dass sie dafür von den US-amerikanischen Neokonservativen verhätschelt wird, ist kein Wunder. Aber wo liegen die Motive von André Brie und Helmuth Markov? Und warum hüllt sich der Rest der Linkspartei.PDS in beklommenes Schweigen, statt klar zu machen, wo die Grenzen liegen?

Knut Mellenthin

Junge Welt, 7.7.2006