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"Wiedervereinigung" Georgiens mit allen Mitteln
Als sich die Nationalbewegung von Michail Saakaschwili im November 2003 an die Macht putschte, standen mehr als ein Fünftel des international anerkannten Territoriums von Georgien nicht unter Kontrolle der Regierung in Tbilissi. Neben Abchasien und Südossetien, die schon Anfang der 90er Jahre ihre Unabhängigkeit erklärt und gegen militärische Rückeroberungsversuche verteidigt hatten, verweigerte auch Adscharien unter Führung seines autoritären Präsidenten Aslan Abaschidse den Gehorsam. Da der größte Hafen des Landes, Batumi am Schwarzen Meer, auf adscharischem Gebiet liegt, stellte Abaschidses Rebellion neben den politischen Aspekten auch ein großes wirtschaftliches Problem dar.
Im Januar 2004 wurde Saakaschwili mit atemberaubenden 97 Prozent zum Präsidenten gewählt. "Georgiens territoriale Integrität ist das Ziel meines Lebens", verkündete er bei den aufwendigen zweitägigen Feierlichkeiten zu seiner Amtseinführung am Grab von König David (1089-1125), dem als ersten die Einigung der georgischen Teilstaaten gelungen sein soll. "Wir werden unser Äußerstes tun, damit die nächsten Einführungsfeiern auch in Suchumi - der Hauptstadt Abchasiens - stattfinden können", rief Saakaschwili aus. Während er einerseits immer wieder beteuert, sein Ziel mit friedlichen Mitteln erreichen zu wollen, droht er zugleich mit militärischer Gewalt. Bei einer Militärparade zum Nationalfeiertag am 25. Mai 2004 zum Beispiel sagte Saakaschwili in seiner Ansprache: "Wenn man irgendeinen georgischen Soldaten fragt, warum er in den Streitkräften dient, dann wird jeder von ihnen antworten: ‚Um Georgiens territoriale Integrität wiederherzustellen’."
Als schwächstes Kettenglied setzte Saakaschwili zunächst Adscharien unter Druck. Die Bevölkerung dieses Gebiet besteht überwiegend aus ethnischen Georgiern, und Präsident Abaschidse hatte nie die grundsätzliche Zugehörigkeit zu Georgien in Frage gestellt. In der Hauptsache ging der Streit um die Verteilung der Einnahmen des Hafens Batumi und der dort befindlichen Erdöl-Verarbeitungsanlagen. Saakaschwilis Taktik kombinierte militärischen Druck, Bestechung führender adscharischer Beamter und Militärs, sowie in der entscheidenden Phase inszenierte Demonstrationen in Batumi. Anfang Mai 2004 flüchteten Abaschidse und einige andere Spitzenpolitiker mit dem Flugzeug nach Moskau.
Die so leicht gewordene Rückgewinnung Adschariens veranlasste Saakaschwili zu militärischen Abenteuern gegen Südossetien als nächstem Ziel. Das Gebiet ist rund anderthalb Mal so groß wie das Saarland, hat aber nur etwa 100.000 Einwohner. Ein Fünftel von ihnen sind ethnische Georgier. Sie bilden die Mehrheit in einer Reihe von Dörfern rund um die Hauptstadt Tschinwali. Für die Sicherheit in dieser sogenannten Konfliktzone, 15 Kilometer im Umkreis von Tschinwali, ist seit 1994 eine internationale Friedenstruppe zuständig, die aus je 500 südossetischen, georgischen und russischen So"Wiedervereinigung" Georgiens mit allen Mitteln
Als sich die Nationalbewegung von Michail Saakaschwili im November 2003 an die Macht putschte, standen mehr als ein Fünftel des international anerkannten Territoriums von Georgien nicht unter Kontrolle der Regierung in Tbilissi. Neben Abchasien und Südossetien, die schon Anfang der 90er Jahre ihre Unabhängigkeit erklärt und gegen militärische Rückeroberungsversuche verteidigt hatten, verweigerte auch Adscharien unter Führung seines autoritären Präsidenten Aslan Abaschidse den Gehorsam. Da der größte Hafen des Landes, Batumi am Schwarzen Meer, auf adscharischem Gebiet liegt, stellte Abaschidses Rebellion neben den politischen Aspekten auch ein großes wirtschaftliches Problem dar.ldaten bestehen soll. Tatsächlich schöpft Georgien aber nicht sein Kontingent aus. Stattdessen schickt es Polizisten und Soldaten in die "Konfliktzone", die nicht den Anweisungen des russischen Kommandanten der Friedenstruppe, sondern denen der Führung in Tbilissi folgen.
Im Sommer 2004 provozierte Georgien ständige bewaffnete Zwischenfälle in der "Konfliktzone", bei denen es auf beiden Seiten zahlreiche Tote gab. Auf dem Höhepunkt besetzten georgische Eliteeinheiten am Morgen des 19. August 2004 im Handstreich mehrere "strategische" Hügel in der Umgebung von Tschinwali. Allen Anzeichen nach handelte es sich um eine Kriegseröffnung. Um so überraschender war, dass sich die Georgier wenige Stunden später wieder zurückzogen und die Hügel an die Friedenstruppe übergaben. Das wurde allgemein als Ergebnis einer US-amerikanischen Blitzintervention in Tbilissi gedeutet.
Ohne ganz von militärischen Provokationen zu lassen, stellt Saakaschwili seither politische Methoden in den Vordergrund. Am 12. November 2006 ließ er in den georgischen Dörfern der Konfliktzone seinen Vertrauensmann Dmitri Sanakojew zum "Präsidenten" wählen. Es folgte die Bildung einer "provisorischen Regierung" und schließlich im Mai dieses Jahres die Proklamation der "Provisorischen Verwaltungseinheit Südossetien" in einem Dorf der Konfliktzone. Seither bemüht die georgische Regierung sich um die internationale Aufwertung von Sanakojew.
Eine ähnliche Taktik verfolgt Georgien gegenüber Abchasien. Nach den für beide Seiten verlustreichen Kämpfen 1992-93 war mit dem Oberen Kodori-Tal ein kleiner Teil des abchasischen Territoriums unter georgischer Kontrolle geblieben. Im Waffenstillstandsabkommen von 1994 wurde die Entmilitarisierung dieses Gebirgsgebiets vereinbart, in dem rund 2000 ethnische Georgier in 21 Dörfern leben. Im Juli 2006 besetzte georgisches Militär widerrechtlich das Obere Kodori-Tal. Ein Dorf wurde zum Sitz der sogenannten abchasischen Exilregierung bestimmt, die bis dahin in Tblissi residiert hatte.
Saakaschwili hat es also geschafft, in beiden abtrünnigen Republiken einen "Fuß in die Tür" zu setzen. Das ist von nicht zu unterschätzender symbolischer Bedeutung auf der internationalen Bühne. Es bringt ihn aber der Rückgewinnung Abchasiens und Südossetiens keinen Schritt näher. Solange Georgien seine Territorialprobleme nicht auf irgendeine Weise löst, werden ihm vermutlich die Tore der Europäischen Union und der NATO verschlossen bleiben. Der Westen ist gewarnt, seit Saakaschwili am 14. Februar 2006 prahlte, die NATO-Mitgliedschaft werde bedeuten, "dass Georgiens Grenzen NATO-Grenzen sein werden. Diese Grenzen werden dann nicht nur von unseren Panzern und Flugzeugen verteidigt werden, sondern von Tausenden von westlichen Flugzeugen." - So schnell möchte niemand von einem schwer kontrollierbaren nationalistischen Hitzkopf zu einem Krieg mit Russland gezwungen werden.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 13. August 2007