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Wahl im Niemandsland

Die Bevölkerung der international nicht anerkannten Republik Nagorno-Karabach hat am Donnerstag den bisherigen Amtsinhaber als Präsidenten bestätigt. Auf den 51jährigen Bako Saakjan, der vor seiner ersten Wahl 2007 den Sicherheitsdienst des kleinen de-facto-Staates geleitet hatte, entfielen 66,7 Prozent der 72.833 abgegebenen Stimmen. Sein Hauptkonkurrent Witali Balasanjan brachte es, obwohl er von keiner Partei unterstützt wurde, auf beachtliche 32,5 Prozent. Als militärischer Befehlshaber und hoch dekorierter „Held“ im armenisch-aserbaidschanischen Krieg von 1991-1994 ist er immer noch eine populäre Figur. Auch seine Kritik an Korruption, Begünstigung und mangelnder Transparenz in Wirtschaft und Finanzwesen, für die er hauptsächlich den Präsidenten „und seine Clique“ verantwortlich machte, kam offenbar bei einem Teil der Bevölkerung gut an. Der dritte Bewerber, Arkadi Soghomonjan, Rektor der Universität in der Republikhauptstadt Stepanakert, konnte nur 594 Stimmen (0,8 Prozent) auf sich ziehen. Die Wahlbeteiligung lag bei 73,6 Prozent.

Das fast ausschließlich von Armeniern bewohnte Nagorno-Karabach ist einer von vier de-facto-Staaten, die aus den ethnischen Auseinandersetzungen im Zuge der Auflösung der Sowjetunion übrig geblieben sind. Die anderen sind Abchasien und Südossetien, die früher zu Georgien gehörten, sowie die Dnjestr-Republik, auch Transnistrien genannt, die von Moldowa beansprucht wird. Nagorno-Karabach ist mit 11.458 qkm die größte dieser vier Republiken. Das ist mehr als das Vierfache der Fläche des Saarlands. Während dieses jedoch rund eine Million Einwohner hat, leben in der Bergrepublik nur etwa 134.000 Menschen. Ökonomisch, finanziell und strukturell ist der international isolierte Kleinstaat vollständig von Armenien abhängig, mit dem er durch eine Wirtschafts- und Währungsunion verbunden ist. Nur aus außenpolitischen Rücksichten schreckt Armenien bisher vor einer Anerkennung Nagorno-Karabachs zurück. Es behält sich diesen Schritt aber für den Fall vor, dass die Verhandlungen mit dem benachbarten Aserbaidschan, auf dessen Territorium die Republik liegt, definitiv scheitern sollten.

Um den Verlauf der Grenze hatten das christliche Armenien und das muslimische Aserbaidschan schon zwischen 1917 und 1921 gekämpft, als beide nach der Oktoberrevolution und der Auflösung des Zarenreichs für kurze Zeit die staatliche Unabhängigkeit erreichten. Nach dem Sieg der Sowjetmacht wurde Nagorno-Karabach der Sowjetrepublik Aserbaidschan zugesprochen, obwohl die Bevölkerung zu über 90 Prozent armenisch war. Im Juli 1923 bekam das Gebiet, das damals nur eine Fläche von 4.400 qkm hatte und als Enklave rundum von Aserbaidschan eingeschlossen war, den Status eines Autonomen Bezirks.

In den letzten Jahren der Sowjetunion, als traditionelle ethnische Widersprüche immer offener zu Tage traten, gewann auch der armenisch-aserbaidschanische Konflikt wieder an Bedeutung. Nachdem Aserbaidschan am 26. November 1991 die Autonomie von Nagorno-Karabach aufgehoben und den Orten des Gebiets ihre alten türkischen Namen zurückgegeben hatte, kam es zum Krieg, den die Armenier für sich entscheiden konnten. Durch weiträumige Eroberung aserbaidschanischer Gebiete wurde aus der früheren Enklave ein mehr als doppelt so großer Staat, der seither eine Landgrenze mit Armenien hat. Indessen rüstet Aserbaidschan, dessen Volkswirtschaft dank der Erdöl-Exporte um ein Mehrfaches stärker ist als die armenische, schon seit Jahren für eine militärische Revanche.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 24. Juli 2012