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Nach dem Krieg: Georgien durch die Hintertür zur NATO
Am 18. Dezember hat ein Ausschuss des georgischen Parlaments, der sich acht Wochen lang mit dem Augustkrieg gegen Südossetien und Russland beschäftigt hatte, seinen Abschlussbericht vorgelegt. Die Verlesung im Fernsehen durch den Ausschussvorsitzenden Paata Davitaia - ein Mitglied der parlamentarischen Opposition, die eng mit der Regierung zusammenarbeitet - dauerte drei Stunden. Zuvor waren schon die Anhörungen der wichtigsten Regierungspolitiker durch den Ausschuss live im staatlichen Fernsehen übertragen worden.
Als letzter hatte Präsident Michail Saakaschwili am 28. November fünf Stunden lang in einem Wechsel aus abgekarteten Fragen und Monologen seine bekannten Thesen zum Hergang der Ereignisse wiederholt: Mit seinem Angriffsbefehl auf die südossetische Hauptstadt Tschinwali am 7. August kurz vor Mitternacht habe er einer beabsichtigten russischen Aggression gegen Georgien zuvorkommen müssen. Er habe praktisch gar keine andere Wahl gehabt. - Die unabhängige Nachrichtenagentur Civil Georgia hatte schon am 27. November mit feiner Ironie geschrieben: „Alle Aussagen vor dem Ausschuss lagen weitgehend auf der Linie jener Punkte, die Saakaschwili in seiner Rede vom 25. August dargelegt hatte.“
Einzige Ausnahme war der Auftritt des ehemaligen georgischen Botschafters in Moskau, Erosi Kitsmarischwili, der am 25. November mit tumultartigen Szenen endete. Der Diplomat warf dem Führungskreis um Saakaschwili vor, Chancen für eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland zerstört und monatelang einen Angriffskrieg gegen eine der beiden abtrünnigen Republiken, Abchasien oder Georgien, geplant zu haben. Kitsmarischwili wurde daraufhin von Politikern der alleinregierenden Nationalpartei als Sprachrohr der russischen Propaganda und sogar als russischer Spion und Agent angegriffen. Inzwischen wird gegen ihn staatsanwaltlich ermittelt wegen des Vorwurfs, er habe es versäumt, die georgische Regierung rechtzeitig vor der bevorstehenden russischen Aggression zu warnen.
Der Ausschussbericht bestätigte erwartungsgemäß, dass die Schuld am Krieg nicht Georgien, sondern ausschließlich Russland trifft, und das sogar schon seit vielen Jahren. Kritik richtete das Gremium gegen das Verteidigungsministerium und das Außenministerium, die es versäumt hätten, das Land militärisch und diplomatisch ausreichend auf diesen Krieg vorzubereiten. Die Chefs beider Ministerien waren als Sündenböcke schon am 5. Dezember abgelöst worden.
Die georgische Führung sieht sich durch die massive Unterstützung der Europäischen Union und der USA in ihrer Einschätzung bestätigt, dass es nicht nur überflüssig, sondern geradezu eine Riesendummheit wäre, auch nur eine Teilschuld am Krieg zuzugeben. Zwar hat die EU inzwischen eine Kommission eingesetzt, die sich mit den Ursachen des Augustkrieges beschäftigen soll. Sie steht unter Leitung der als relativ integer geltenden Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini, die von 2002 bis 2006 Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs in Georgien war.
Tagliavini soll ihren Abschlussbericht allerdings erst im November 2009 vorlegen. Damit kann das Ergebnis die Haltung der EU gegenüber Russland einerseits, Georgien andererseits, kaum noch beeinflussen. Sondern genau umgekehrt herum: Der Befund der Kommission wird den Vorgaben der großen Politik Rechnung tragen müssen. Nachdem die EU-Staaten vom ersten Moment an einseitig die „russische Aggression“ verurteilten, während sie Georgien Solidarität und Hilfe zusicherten, ist kein Untersuchungsergebnis zu erwarten, das dieser Grundsatzentscheidung frontal und schwerwiegend widerspricht. Die Kommission wird sich auch kaum der Tatsache stellen, dass die zahlreichen Provokationen, die Saakaschwili unmittelbar nach Übernahme des Präsidentenamtes im Januar 2004 begann, nicht nur von den USA, sondern auch von der EU jahrelang in verantwortungsloser Weise toleriert, wenn nicht sogar in einzelnen Fällen unterstützt wurden.
Unterdessen macht man sich in Georgien Hoffnungen auf eine „strategische Partnerschaft“ mit den USA und sogar auf US-amerikanische „Sicherheitsgarantien“. Wie Batu Kutelia, der demnächst als georgischer Botschafter nach Washington geht, am 17. Dezember sagte, wird an dieser „neuen Stufe“ der bilateralen Beziehungen konkret gearbeitet. Die georgische Tageszeitung 24 Saati (24 Stunden) hatte zuvor am 15. Dezember berichtet, dass schon der Entwurf eines entsprechenden Abkommens vorliegt.
Spekulationen rankten sich vor allem um den Besuch des stellvertretenden Unterstaatssekretärs im US-Außenministerium, Mathew Bryza, am 16. Dezember. Der einflussreiche Abgeordnete der Nationalpartei Giwi Targamadse, der den Parlamentsausschuss für Verteidigung und Sicherheit leitet, sagte bei dieser Gelegenheit: „Was für uns das attraktivste und wichtigste ist: Es (das in Arbeit befindliche Abkommen) schließt auch die militärische Zusammenarbeit ein. Es schließt Themen ein, die mit zusätzlicher Ausrüstung und mit der Entwicklung unserer Streitkräfte zu tun haben, sowie mit – ich will es mit den Worten des Entwurfs sagen – allen Maßnahmen zur gemeinsamen Abwehr von Bedrohungen.“
Bryza bestritt kurz darauf während einer Pressekonferenz die Aussagen Targamadses nicht, bestätigte die „militärische Zusammenarbeit“ und stellte lediglich klar, dass es noch kein Abkommen gebe, was allerdings auch nicht behauptet worden war. Meldungen zufolge soll sich der Vertrag, dessen Unterzeichnung für Anfang Januar 2009 erwartet wird, an der Charta über Strategische Zusammenarbeit orientieren, die am 19. Dezember 2008 zwischen den USA und der Ukraine abgeschlossen wurde. Darin heißt es unter anderem: „Zusammenarbeit zwischen Demokratien bei Verteidigung und Sicherheit ist wesentlich, um wirksam auf Bedrohungen von Frieden und Sicherheit zu antworten. (...) Die Vertiefung der Integration der Ukraine in die euro-atlantischen Institutionen ist eine gegenseitige Priorität. Wir planen die Durchführung eines Programms erweiterter Sicherheitskooperation mit dem Ziel, die (militärischen) Fähigkeiten der Ukraine zu steigern und die Kandidatur der Ukraine für die NATO-Migliedschaft zu stärken.“
Die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti schrieb in diesem Zusammenhang am 19. Dezember, dass die Bush-Regierung in den letzten Tagen ihrer Amtszeit offenbar noch versuche, Weichenstellungen für das „Hineinschleppen“ Georgiens sowie auch der Ukraine in die NATO vorzunehmen und damit den Spielraum des nächsten US-Präsidenten Barack Obama einzuengen.
Am 18. Dezember berichtete die New York Times über den geheimen Bericht einer Gruppe von US-Militärs, die im Auftrag des Pentagon im Oktober und November in Tbilissi waren, um die „Performance“ der georgischen Streitkräfte während des Augustkrieges zu untersuchen. Das sehr negative Ergebnis war von der Enttäuschung geprägt, dass Georgiens Truppen nach einem Jahrzehnt amerikanischer Ausbildung und Ausrüstung immer noch „unreif und schlecht vorbereitet“ auf wirkliche Kriegführung seien. Das Resultat habe keineswegs den Angaben der georgischen Regierung über die Einsatzbereitschaft ihrer Streitkräfte entsprochen.
Der New York Times zufolge will das Pentagon aufgrund dieses Berichts gemeinsam mit anderen NATO-Militärs „Empfehlungen“ an das georgische Verteidigungsministerium entwickeln. Neben einer Ersetzung der Ausrüstungsverluste durch den Krieg und einer Modernisierung auf Schlüsselgebieten – Luftabwehr, Panzerbekämpfung – wird es dabei auch um vom Pentagon direkt betreute „Reformen“ der Führung, der Kommunikationswege und des Managements der Streitkräfte gehen.
Auf diese Weise unterlaufen die USA, erforderlichenfalls auch im Alleingang, die halbherzigen Einwände einzelner NATO-Partner gegen das Voranschreiten der Integration Georgiens in das westliche Bündnis.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 22. Dezember 2008