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Kuh vom Eis

Eine komplizierte Einigung mit Georgien öffnet Russland den Weg in die Welthandelsorganisation. Abchasien und Südossetien fühlen sich übergangen.

Nach einer Einigung mit Georgien steht einem Beitritts Russlands zur Welthandelsorganisation (WTO) nichts mehr im Wege. Beide Staaten unterzeichneten am Mittwoch nach langwierigen Verhandlungen, die zuletzt unter Vermittlung der Schweiz geführt worden waren, ein entsprechendes Abkommen.

Russland ist die letzte große Volkswirtschaft, die noch nicht der derzeit 153 Mitglieder umfassenden Weltorganisation angehört. Moskau hatte den Beitritt schon 1993 beantragt. Nach den Regeln der WTO müssen der Aufnahme aber alle Mitgliedstaaten zustimmen. Das einzige Land, das zuletzt noch Widerstand leistete, war Georgien, das mit Russland wegen der abtrünnigen Republiken Abchasien und Südossetien im Dauerstreit liegt. Nach dem Überfall georgischer Streitkräfte im August 2008 hatte Russland den Südosseten militärischen Beistand geleistet und einige Wochen später beide Republiken anerkannt. Diesem Schritt haben sich seither jedoch nur Venezuela, Nikaragua und drei kleine Inselstaaten im Pazifik angeschlossen.

Nach der Einigung mit Georgien wird damit gerechnet, dass der WTO-Ministerrat, der vom 15. bis 17. Dezember in Genf tagt, positiv über die Aufnahme Russlands entscheidet. Die russische Regierung verspricht sich davon insbesondere eine stärkere Attraktivität für ausländische Investoren. Mehrere Branchen der russischen Wirtschaft sehen die Entwicklung jedoch skeptisch, weil sie befürchten, künftiger unter einen ruinösen Konkurrenzdruck zu geraten.

Kern der Verständigung zwischen Russland und Georgien ist ein Handelsvertrag. Hauptstreitpunkt war dabei das Zollregime an den Grenzübergängen. Die Sache ist zwar relativ unproblematisch am einzigen wirklich gemeinsamen Kontrollpunkt bei Zemo Larsi-Kazbegi, aber umso komplizierter an den beiden anderen Verbindungswegen, von denen je einer durch Südossetien und Abchasien führt. Nicht nur die Regierung in Tbilissi, sondern fast alle Staaten der internationalen Gemeinschaft erkennen die hier de facto bestehenden Grenzen nicht an, sondern gehen vom Fortbestehen der Souveränität Georgiens über die zwei Republiken aus.

Der am Dienstag unterzeichnete Vertrag sieht vor, dass Zollkontrollen an den „Endpunkten“ der beiden „Handelskorridore“ - gemeint sind die Verbindungsstraßen zwischen Russland und Georgien, die durch die abtrünnigen Staaten führen – stattfinden. Das heißt: auf russischem und auf georgischem Gebiet, aber weder in Abchasien noch in Südossetien. Die Überwachung, die auch den russischen Handel mit den zwei Republiken erfasst, soll durch eine private Firma ausgeführt werden, als deren Auftraggeber formal die Schweiz fungiert. Alle Daten werden aber auch den georgischen Stellen zur Verfügung gestellt.

Sowohl der Inhalt dieses Vertrages als auch die Tatsache, dass sie von Moskau nicht in die Verhandlungen einbezogen wurden, hat in den beiden Republiken Verärgerung ausgelöst, die sich in einer auffallend deutlich formulierten Stellungnahme des abchasischen Außenministeriums niederschlug. Andererseits äußerten sich auch georgische Oppositionskräfte unzufrieden über den erreichten Kompromiss. Zwar bezeichnete Präsident Michail Saakaschwili das Abkommen als „diplomatischen Sieg“. Tatsächlich hätte Georgien aber gern noch höher gepokert und beugte sich lediglich dem Druck der USA und der maßgeblichen EU-Staaten, die endlich den WTO-Beitritt Russlands besiegeln wollten.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 11. November 2011