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Georgien: Massenprotest gegen Präsident Saakaschwili
Die georgische Hauptstadt Tbilissi erlebte am Freitag voriger Woche die größte regierungsfeindliche Demonstration seit dem Sturz von Präsident Eduard Schewardnadse im November 2003. Darin sind sich alle einig, auch wenn die Angabe der Veranstalter, an der vierstündigen Kundgebung vor dem Parlament hätten sich 20.000 Menschen beteiligt, nicht von allen Beobachtern geteilt wird.
Zur Kundgebung hatten, mit Ausnahme der Neuen Rechten, alle Oppositionsparteien aufgerufen. Auch das hat es seit 2003 nicht mehr gegeben. Dabei war der unmittelbare Anlass, die Verhaftung des früheren Verteidigungsministers Irakli Okhruaschwili am Donnerstag, nicht unproblematisch. Die Neuen Rechten begründeten ihr Fernbleiben damit, dass sie nicht "unter dem Bannes eines ehemaligen Verbündeten" von Präsident Michail Saakaschwili demonstrieren wollten. "Was würde sich ändern für das Land, wenn Saakaschwilis Mafia durch Okhruaschwilis Mafia ersetzt würde?", fragte Parteichef Davit Gamkrelidse.
Ähnlich wird darüber wohl auch der größte Teil der georgischen Opposition denken. Umso beachtlicher ist, dass sie ihre Bedenken zurückstellten und sich innerhalb kürzester Zeit zu dieser Aktionseinheit zusammenfanden, die nun auch in organisierter Form fortgesetzt werden soll. Ein Komitee wurde gebildet, dem die wichtigsten Oppositionsparteien angehören, mit dem Ziel, den Protest gegen die Herrschaft Saakaschwilis ins ganze Land zu tragen. Zentrale Forderungen sind baldige Neuwahlen und die Abschaffung des Präsidentenamts - zumindest in seiner derzeitigen, mit übergroßer Macht ausgestatteten Form.
Die Verhaftung Okhruaschwilis wird mit Wirtschaftsverbrechen, darunter Bestechung und Nötigung, begründet. Vorherrschende Meinung in der Opposition ist aber, dass das Vorgehen gegen den im November 2006 aus der Regierung ausgeschiedenen Exminister politisch motiviert ist. Der 33Jährige hatte Mitte September eine eigene Partei, die Bewegung für ein Vereinigtes Georgien, gegründet. In den Tagen vor seiner Verhaftung hatte er schwere Vorwürfe gegen Saakaschwili und dessen Führungskreis erhoben. Diese reichten von Korruption und Verwandtenbegünstigung bis zu angeblichen Mordplänen gegen politische Gegner. So habe der Präsident ihn unter anderem beauftragen wollen, den Großunternehmer Badri Patarkatsischwili durch einen Anschlag zu beseitigen. Auch die immer noch nicht restlos geklärten Todesumstände des früheren Regierungschefs Surab Schwania sprach Okhruaschwili an. Schwania, ein enger Verbündeter von Saakaschwili bei der "Rosenrevolution" des Jahres 2003, war am 3. Februar 2005 ums Leben gekommen. Ursache war angeblich eine Kohlenmonoxid-Vergiftung durch eine schlecht installierte Heizung.
Der größte Teil der Opposition richtet seine Hoffnung auf die US-Regierung, die Georgien als demokratisches Musterländle des Kaukasus darzustellen versucht. In der vorigen Woche war eine hochrangige Oppositionsdelegation zu Besuch beim Nixon Center, das amerikanische Osthandelsinteressen vertritt. Neben der früheren Außenministerin Salome Surabischwili, Gründerin und Vorsitzende der Partei Georgiens Weg, gehörten der Gruppe auch die Führer der Republikaner und der Freiheitspartei an. Die drei Politiker appellierten an die Bush-Regierung, öffentlich die "jüngsten Verletzungen demokratischer Standards" zu verurteilen und sich für die "Freilassung aller politischen Gefangenen" sowie die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien in Georgien einzusetzen.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 1. Oktober 2007