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Genfer Gespräche über Kaukasus-Konflikt werden schwierig

In Genf beginnen am heutigen Mittwoch Gespräche über die Situation nach dem georgisch-russischen Vier-Tage-Krieg im August. Beteiligt sind neben Russland, den USA und Georgien auch die EU, die OSZE und die UNO. Ebenfalls dabei sind die bisher nur von Russland anerkannten Republiken Südossetien und Abchasien, doch wird über den exakten Status ihrer Teilnahme wohl noch gestritten werden. Russland möchte, dass sie gleichberechtigt an allen Gesprächen beteiligt werden. Die Vorstellungen der USA und der EU gehen dahin, sie nur an den Arbeitsgruppen, aber nicht an den politisch entscheidenden Vollversammlungen teilnehmen zu lassen. Georgien will die beiden abtrünnigen Republiken im ersten Stadium der Gespräche überhaupt nicht dabei haben, und später auch nur, wenn die von Tbilissi abhängigen „Gegenregierungen“ Südossetiens und Achasiens ebenfalls zugelassen werden.

Auf der Agenda der Gespräche, die sich vermutlich über mehrere Monate hinziehen werden, stehen folgende Punkte: „Stabilität und Sicherheit in der Region“; „Rückkehr der Flüchtlinge“ „andere Themen sollen zwischen den Seiten vereinbart werden“. Dabei wird es insbesondere um den Status der beiden Anfang der 1990er Jahre von Georgien abgefallenen Republiken gehen.

Die heutige Auftaktsitzung wird sich vermutlich im Wesentlichen nur mit Verfahrens- und Formatsfragen beschäftigen. Hauptstreitpunkt dürfte dabei die Form der Teilnahme von Südossetien und Abchasien sein. Dass USA und EU die russische Forderung nach voller Gleichberechtigung akzeptieren, womit sie die Anerkennung der Republiken präjudizieren würden, scheint ausgeschlossen. Andererseits wird Russland kaum hinnehmen, dass die Vertreter der beiden Republiken allzu eindeutig als Teilnehmer zweiter Klasse am Katzentisch plaziert werden.

EU-Politiker haben bereits angekündigt, dass in Genf der Streit um die unterschiedlichen Auslegungen der international garantierten Waffenstillstandsvereinbarungen ausgetragen wird. Dabei geht es um die russische Truppenpräsenz in Südossetien und Abchasien ebenso wie um die Forderung der Europäer, EU-Beobachter nicht nur in die Sicherheitszonen auf georgischem Territorium, sondern auch in die beiden Republiken schicken zu dürfen. Die russische Regierung hat bereits klargemacht, dass dies nur mit Zustimmung der Südosseten und Abchasen möglich wäre – und die haben bisher abgelehnt. Allerdings sind in Abchasien Beobachter der UNO tätig, deren Mandat am 10. Oktober um vier Monate verlängert wurde.

Russland hat am 8. Oktober – zwei Tage früher als vereinbart – den Abzug seiner Truppen aus den Sicherheitszonen abgeschlossen. Dort sind jetzt 230 Beobachter aus 22 EU-Staaten im Einsatz. Chef der European Union Monitoring Mission (EUMM) ist der deutsche Diplomat Hansjörg Haber.

Georgien fordert aber, dass Russland seine Truppen darüber hinaus auf die Stellungen vor Kriegsbeginn zurückziehen soll. Die Regierung in Tbilissi hat dabei die Rückendeckung der USA und der EU. Tatsächlich kann dieses Verlangen sich auf die von Frankreich vermittelte, am 12. August abgeschlossene Waffenstillstandsvereinbarung stützen. Russland argumentiert aber, dass sich die Situation inzwischen grundlegend geändert habe, nachdem Südossetien und Abchasien selbstständige Völkerrechtssubjekte sind.

Bis zum Krieg wurde ungefähr ein Drittel Südossetiens von georgischer Polizei, Armee und illegalen Milizen kontrolliert. Das betraf den Bezirk Akhalgori im Osten der Republik, eine Reihe von Dörfern rund um die Hauptstadt Tschinwali sowie das Grenzgebiet im Westen Südossetiens. In Abchasien hielten georgische Truppen das strategisch wichtige obere Kodori-Tal besetzt. Insbesondere die georgischen Stellungen um Tschinwali waren immer wieder Ausgangspunkt von militärischen Provokationen. Von hier wurde die südossetische Hauptstadt auch in der Nacht des 7. August beschossen, womit der georgische Überfall „zur Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung“ begann.

Es scheint ausgeschlossen, dass Südossetien und Russland eine Rückkehr zu der konfliktträchtigen Lage vor dem Krieg zulassen werden. In diesem Zusammenhang wird sich auch die Rückkehr georgischer Flüchtlinge nach Südossetien kompliziert und langwierig gestalten. Georgien hat jene Teile Südossetiens und Abchasiens, die es de facto kontrolliert hatte, durch den von Saakaschwili angeordneten Angriffskrieg definitiv verloren.

Dieses Problem droht auch die Beziehungen zwischen EU und Russland zu belasten. Die europäischen Staaten hatten am 1. September den Beschluss gefasst, die Gespräche mit Russland über „Partnerschaft und Zusammenarbeit“ zu unterbrechen, „solange sich die (russischen) Truppen nicht auf die vor dem 7. August gehaltenen Positionen zurückgezogen haben“. Russland wird dieser Forderung nicht nachkommen, und die europäischen Regierungen müssen versuchen, aus ihrer selbstverursachten Blockade möglichst elegant wieder heraus zu kommen. Insbesondere Italien und Deutschland drängen darauf, die Gespräche mit Russland recht bald wieder aufzunehmen. Dagegen opponieren vor allem die drei baltischen Staaten, Polen, Österreich, Schweden und Tschechien. Bei einem Treffen der EU-Außenminister am 13. Oktober wurde die Entscheidung vertagt.

Immer näher ran an die NATO

Der NATO-Georgien-Ausschuss (NGC) ist am 10. Oktober erstmals auf Ministerebene zusammengetreten, um über die Unterstützung der georgischen Wiederaufrüstung nach dem Krieg zu beraten.

Die Bildung des NGC hatten die NATO-Verteidigungsminister im September vereinbart. Der Ausschuss soll regelmäßig tagen und damit auch die immer enger werdende Verbindung zwischen Georgien und der westlichen Allianz zur Schau stellen.

Vor allem in den USA fordern einflussreiche Stimmen, nicht nur die volle Kriegsfähigkeit Georgiens wiederherzustellen, sondern zentrale Sektoren wie die Luftabwehr und die Panzerbekämpfung völlig neu mit moderner westlicher Technologie auszustatten. Ein großer Teil der Waffen der georgischen Streitkräfte stammt noch aus der Produktion der Sowjetunion. Russland hat, um eine neuerliche georgische Aggression zu verhüten, ein internationales Waffenembargo vorgeschlagen. Die Idee ist aber mit Sicherheit chancenlos.

Unterdessen macht sich die US-Regierung öffentlich dafür stark, Georgien schon auf der nächsten NATO-Tagung im Dezember einen Membership Action Plan (MAP) anzubieten und damit auf dem Weg zur Aufnahme in die NATO eine Stufe nach oben zu befördern. Ein solcher Schritt war auf der letzten NATO-Tagung im April nicht konsensfähig. „Ich werde unsere Verbündeten drängen, den MAP für Georgien und Georgiens Anstrengungen zur Erreichung erforderlicher Reformen“ – gemeint ist die Modernisierung seiner Streitkräfte und deren Anpassung an die NATO-Standards – „zu unterstützen“, sagte US-Verteidigungsminister Robert Gates am 9. Oktober. Zuvor hatte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am 2. Oktober bei einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew in St. Petersburg erklärt, die Zeit sei „noch nicht reif“, Georgien und der Ukraine MAPs anzubieten.

Die NATO-Ambitionen beider Länder sind eng miteinander verbunden. Ein MAP für Georgien würde fast automatisch auch einen gleichen Schritt für die Ukraine zur Folge haben. Eine große Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung lehnt jedoch eine NATO-Mitgliedschaft ab.

Opposition in Nöten

Der von ihm angezettelte Krieg hat den politisch angeschlagenen georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili zunächst einmal gestärkt und die Opposition in eine rat- und hilflose Devise drängt. Mit dem klassischen Appell, dass jetzt „die nationale Einheit“ im Vordergrund stehen müsse, hat der Präsident bisher eine Diskussion über seine Schuld am Krieg und dessen Folgen verhindern können. Geholfen hat ihm dabei die immer wieder bekundete „volle Solidarität“ der USA und der EU, die vom ersten Tag an den Aggressor zum Opfer gemacht haben. Saakaschwili kommt darüber hinaus aber auch zugute, dass es kaum eine Oppositionspartei gibt, die seinen aggressiven, rauflustigen Nationalismus nicht teilt. Das war auch schon lange vor dem Krieg so.

Anfang November vorigen Jahres schien Saakaschwili kurz vor dem politischen Ende zu stehen, als es der vereint agierenden Opposition gelang, 100.000 Menschen zu einer Protestkundgebung in Tbilissi zu mobilisieren. Der Präsident reagierte mit einem massiven Polizeieinsatz, Verhängung des Ausnahmezustands und Ansetzung von Neuwahlen. Die ohnehin aus zahlreichen Parteien bestehende Opposition konnte sich nicht auf eine gemeinsame Gegenstrategie einigen und begann sich aufzuspalten. Zugleich verlor sie immer mehr an Einfluss.

Die vorgezogene Präsidentenwahl am 5. Januar gewann Saakaschwili dennoch nur knapp mit 54,5 Prozent. Im Januar 2004 hatte er, zumindest dem amtlichen Endergebnis zufolge, 96 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können. Entscheidend für das politische Überleben des Präsidenten war, dass seine Nationalpartei bei der Parlamentswahl am 21. Mai mit rund 80 Prozent erneut eine mühelose Zweidrittel-Mehrheit der Mandate, 119 von 150 Sitzen, erreichte.

Die meisten Oppositionsparteien sprachen von Wahlfälschung, konnten sich aber erneut nicht auf eine einheitliche Reaktion verständigen. Ein Teil des damals noch aus neun Parteien bestehenden Oppositionsbündnisses rief zum Boykott des Parlaments auf und verpflichtete seine 17 gewählten Abgeordneten, ihre Mandate nicht anzunehmen. An dieser Frage ist das Bündnis inzwischen weitgehend zerbrochen, auf vielleicht noch drei oder vier Parteien abgeschmolzen. Auch die erst kurz vor der Wahl gegründeten Christdemokraten, die nicht ganz ohne Grund als „Satelliten“ Saakaschwilis gelten, beteiligen sich mit ihren sechs Abgeordneten am Parlamentsbetrieb und glänzen dort durch „Konstruktivität“ und Anpassung. Die Stimmung zwischen parlamentarischer und außerparlamentarischer Opposition ist offen feindselig. Die Reste des Oppositionsbündnisses sind sich nicht einig, ob man noch einmal auf Massendemonstrationen setzen soll – wie die Partei der Neuen Rechten vorschlägt -, oder lieber auf einen „zivilisierten Dialog“ mit den Machthabern, wie ihn die Konservativen befürworten.

Unterdessen gewinnen Dissidenten aus dem Regierungslager an Bedeutung. Die im Januar zurückgetretene Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse konfrontiert Saakaschwili mit harten Fragen zum Krieg, auch wenn die direkte Schuldfrage noch tabu bleibt. Surab Nogaideli, der bis zum November vorigen Jahres Ministerpräsident war, macht sich jetzt gleichfalls zum Wortführer der Kritik und warnt vor einer schweren Wirtschaftskrise, die Georgien als Folge des Krieges und der globalen Situation drohe. Burdschanadse, die auch von der Opposition mehrheitlich respektiert wird, hätte gute Chancen, falls USA und EU sich entschließen sollten, sich von dem Hasardeur Saakaschwili zu trennen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 15. Oktober 2008