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Es gibt eine Grenze

Russland hat den Vormarsch der NATO satt

Außenminister Frank-Walter Steinmeier gestern und heute im Kaukasus und anschließend gleich weiter nach Moskau, Kanzlerin Angela Merkel am kommenden Montag in der ukrainischen Hauptstadt Kiew: Deutschland tut so, als könnte es eine Vermittlerrolle an Krisenpunkten der Weltpolitik spielen. In diesem Fall an der hochsensiblen Nahtstelle und potentiellen Front zwischen der anscheinend unbegrenzt expandierenden NATO und Russland.

Denn das ist der reale Hintergrund der deutschen Geschäftigkeit dieser Tage: In Moskau ist man der Meinung, dass es inzwischen mehr als genug ist mit der Ausweitung des amerikanisch-europäischen Militärbündnisses. Da dürften sich Regierung und Duma mit den meisten Russen einig sein. Russland wird deshalb tun, was es mit diplomatischen, politischen und wirtschaftlichen Mitteln tun kann, um den NATO-Beitritt der Ukraine und Georgiens zu blockieren und, wenn irgend möglich, zu verhindern. In der Ukraine setzt man auf die engen Bindungen des Ostteils des Landes an Russland. Moskau bringt auch die Krim ins Spiel, die 1954 von Nikita Chruschtschow an die Ukraine verschenkt wurde – zu einer Zeit freilich, als die praktischen Auswirkungen dieser Großzügigkeit überschaubar waren. Heute ist die russische Bevölkerungsmehrheit der Halbinsel – 59 Prozent Russen, 24 Prozent Ukrainer – ein Faktor der Moskauer Politik. Im Kaukasus unterstützt Russland die Republiken Abchasien und Südossetien, die nach verlustreichen Verteidigungskriegen seit Anfang der 1990er Jahre ihre Unabhängigkeit von Georgien behaupten.

Der georgische Präsident Michail Saakaschwili hat in diesem Jahr beiden Republiken wegen geringfügiger Zwischenfälle mit militärischen Überfällen gedroht. Den Abchasen wegen der Festnahme eines georgischen Fernsehjournalisten, der illegal die Grenze überschritten hatte. Den Südosseten, nachdem sie auf ihrem Territorium vier georgische Soldaten kurzzeitig gefangengenommen hatten. In beiden Fällen wurde die Situation durch das Nachgeben der kleinen Republiken entspannt. Die NATO, die Georgiens Armee mit unverhältnismäßig großen Aufwand hochgerüstet und ausgebildet hat, versucht nicht einmal dem Anschein nach, Saakaschwilis immer wieder hochgefährliche Rhetorik und sein unberechenbares Säbelrasseln zu bremsen. Nur Russlands Streitkräfte bieten den beiden Republiken die Sicherheit, dass sich die blutigen Ereignisse der 1990er Jahre nicht wiederholen werden.

Es kennzeichnet die Lage, dass im Nordkaukasus 8.000 russische Soldaten die Unterstützung der in Abchasien und Südossetien stationierten Friedenstruppen proben, während gleichzeitig in Georgien 2.000 US-amerikanische und einheimische Soldaten das Manöver „Immediate Response“ (Prompte Antwort) abhalten. Vor diesem Hintergrund ist die Reisetätigkeit von Merkel und Steinmeier konzeptionslose Wichtigtuerei.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 18. Juli 2008