Funktionen für die Darstellung

Darstellung:
  • Standard.
  • Aktuelle Einstellung: Druckansicht.

Seitenpfad

Abchasiens Weg in die Unabhängigkeit

Vor zwanzig Jahren, am 23. Juli 1992, beschloss das Parlament Abchasiens die Wiederinkraftsetzung der Verfassung von 1925, als das Gebiet den Status einer „souveränen“ Sowjetrepublik hatte. Praktisch bedeutete das die Loslösung von Georgien und die Beanspruchung nationaler Unabhängigkeit. Georgien, damals ohne demokratisch legitimierte Regierung, reagierte am 14. August 1992 mit einer militärischen Invasion, die nicht nur von regulären Streitkräften, sondern auch von nationalistischen und kriminellen Banden getragen wurde. Nach der schnellen Eroberung der abchasischen Hauptstadt Suchumi durch die Georgier entwickelte sich ein beiderseits mit großer Rücksichtslosigkeit und zahlreichen Menschenverlusten geführter Krieg.

Das Blutvergießen endete mit der Befreiung Suchumis am 27. September 1993, mit der faktischen Eigenstaatlichkeit Abchasiens – und mit der fast vollständigen Vertreibung der georgischen Bevölkerung aus der Republik. Mit ideeller und materieller Unterstützung der Europäischen Union und der USA lebt in großen Teilen der georgischen Gesellschaft der Wunsch nach Revanche und nach Wiedererlangung der „verlorenen“ Gebiete fort. Zu diesen gehört neben Abchasien auch Südossetien, das schon 1990/91 seine Unabhängigkeit in einem von Georgien begonnenen Krieg behauptet hatte.

Historisch und rechtlich gesehen kann man Abchasien schwerlich als Bestandteil Georgiens betrachten. In beiden Gebieten bestanden jahrhundertelang nur streitende Fürstentümer mit häufig wechselnden Dynastien und Grenzen, bei denen es sich nicht um Nationalstaaten handelte. Sie alle gerieten im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts unter die Herrschaft des Russischen Reichs. Wie viele andere Völker des Kaukasus widersetzten sich die Abchasen diesem Prozess in zahlreichen Aufständen. Aufgrund der Kämpfe und der zaristischen Repression verließen Zehntausende Abchasen, von denen viele in der Vergangenheit die muslimische Religion angenommen hatten, ihre Heimat, um sich im Osmanischen Reich und anderen benachbarten Territorien anzusiedeln.

An ihrer Stelle wurden hauptsächlich Georgier und später zunehmend auch Russen, Armenier sowie Griechen in Abchasien ansässig. Eine Volkszählung im Jahre 1886 verzeichnete immerhin noch einen abchasischen Bevölkerungsanteil von 85,7 Prozent. Elf Jahre später lag er, vielleicht auch auf Grund anderer Zählverfahren, nur noch bei 55,3 Prozent. Im selben Zeitraum war der georgische Anteil von 6,1 auf 24,4 Prozent gestiegen. 1926 wurden 27,3 Prozent der Bevölkerung als Abchasen registriert, 1959 jedoch nur noch 15,1 Prozent. Gleichzeitig lebten in dem Gebiet 39,1 Prozent Georgier, 21,4 Prozent Russen und 15,9 Prozent Armenier.

Im Anschluss an die Oktoberrevolution 1917 hatte sich im folgenden Jahr kurzzeitig ein von den Menschewiki geführter, vom internationalen Imperialismus unterstützter georgischer Staat etabliert, der auch Anspruch auf Abchasien erhob und mit repressiven Methoden durchzusetzen versuchte. Nach dem Sieg der Sowjetmacht bildete sich am 31. März 1921 die Sozialistische Sowjetrepublik Abchasien, die am 30. Dezember 1922 als souveräner Staat der eben gegründeten Sowjetunion beitrat. Mit Georgien war die Republik zu dieser Zeit nur durch eine Föderation auf gleichberechtigter Basis verbunden, die am 16. Dezember 1921 vereinbart worden war.

Die Lage veränderte sich grundlegend, als Abchasien im Februar 1931 auf Anweisung von Josef Stalin – selbst ein Georgier – zum Bestandteil Georgiens gemacht wurde, wenn auch mit dem zu jener Zeit real nicht sehr bedeutenden Status einer autonomen Republik. Damit begann aus abchasischer Sicht die „dunkelste Periode“ in der jüngeren Geschichte ihrer Nation. Unter Stalins Innenminister Lawrentij Berija, einem aus der Umgebung von Suchumi stammenden Georgier, erfolgte eine systematische „Georgisierung“ Abchasiens. Das schloss die Übernahme der georgischen Schrift, die Vorherrschaft der georgischen Sprache und deren Monopol im Schulunterricht, die zwangsweise Umwandlung abchasischer Namen, verstärkte Ansiedlung von Georgiern, Besetzung der meisten Führungspositionen durch Georgier und schließlich auch die Zwangsumsiedlung mehrerer Volksgruppen ein.

Im Zuge der Liberalisierung unter Michail Gorbatschow, der im März 1985 Generalsekretär der KPdSU und im März 1990 auch Präsident der Sowjetunion wurde, traten die traditionellen, aber weitgehend unter Kontrolle gehaltenen nationalen Widersprüche immer offener zutage. Von zentraler Bedeutung für den Weg Abchasiens zur Unabhängigkeit war ein in Gewalttätigkeiten ausartender Konflikt im Juli 1989, der sich aus dem Versuch Georgiens entwickelt hatte, in Suchumi eine Filiale der Universität von Tiflis zu errichten.

Die Widersprüche verschärften sich, nachdem Georgien im März 1990 seine staatliche Selbstständigkeit proklamierte und alle mit Abchasien und der Sowjetunion seit 1921 geschlossenen Abkommen für null und nichtig erklärte. Im März 1991 verbot die georgische Regierung auf ihrem Territorium die Durchführung eines unionsweiten Referendums über den Fortbestand der UdSSR. Gleichzeitig konnte dieses aber in Abchasien stattfinden und ergab ein über 90prozentiges Votum für die Union. Insgesamt stimmten 76,4 Prozent der Sowjetbürger für den Erhalt der UdSSR. Diesem Ergebnis zum Trotz beschlossen der russische Präsident Boris Jelzin und seine Kollegen aus Weißrussland und der Ukraine am 8. Dezember 1991 die Auflösung der Sowjetunion. Wladimir Putin nannte das vierzehn Jahre später „die größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts“. Die genauen Umstände des Vorgangs liegen immer noch im Dunklen. Eindeutig ist nur, dass die Aktion der drei Autokraten ungesetzlich und verfassungswidrig war.

Kurz darauf, am 22. Dezember 1991, begannen in Georgien bewaffnete Machtkämpfe, die am 6. Januar 1992 mit dem Sturz von Präsident Swiad Gamsachurdia endeten. Am 7. März 1992 machten die Putschisten den letzten Außenminister der Sowjetunion, Eduard Schewardnadse, zum Nachfolger. Er selbst bekannte später: „Ich wusste, dass ich nicht legitimiert war, das Amt des Staatschefs zu übernehmen.“ Erst im November 1995 ließ sich Schewardnadse durch eine Wahl bestätigen.

Das bedeutete für den Fortgang der Ereignisse in Abchasien: Erstens, Georgien befand sich zu dieser Zeit praktisch noch in einem fortdauernden Bürgerkrieg. Die georgische Politik wurde maßgeblich von Warlords geprägt. Zweitens, der Krieg um die kleine Kaukasusrepublik wurde entscheidend von Widersprüchen innerhalb der post-sowjetischen Führung Russlands beeinflusst. Während Jelzin im Verdacht stand, er habe Schewardnadse zu der Invasion im August 1992 ermutigt, unterstützten militärische Kreise mehr oder weniger offen den abchasischen Widerstand. Das hing auch damit zusammen, dass viele Angehörige des alten Sicherheitsapparats dem früheren Außenminister eine erhebliche Mitschuld an der Preisgabe der DDR, an der Räumung Osteuropas und schließlich auch an der Liquidierung der Sowjetunion gaben.

Neben russischer Waffenhilfe trugen Tausende von Freiwilligen aus anderen Teilen des Kaukasus, darunter auch aus Tschetschenien, zum Sieg der abchasischen Kämpfer über die anfangs weit überlegenen Georgier bei. Von einst rund 240.000 Georgiern (1989) lebten nach dem Krieg nur noch etwa 46.000 im Land.

Knut Mellenthin

21. Juli 2012