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Zuverlässig auf Seiten der USA

Im jüngsten Iran-Bericht der IAEA werden alte Verdächtigungen zu neuen Tatsachen befördert

Seit vorigem Dienstag ist ein Bericht des Generaldirektors der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Jukija Amano, über „Mögliche militärische Dimensionen des iranischen Atomprogramms“ im Internet zu lesen. Noch bevor der Report überhaupt abgeschlossen und den 151 Mitgliedstaaten der IAEA zugeleitet war, hatten die Mainstream-Medien schon mehrere Tage lang Gerüchte über den mutmaßlichen Inhalt verbreitet. Vieles davon erwies sich inzwischen als unwahr. Darunter sämtliche Spekulationen, dass der Iran „bereits über das notwendige Knowhow für die Produktion einer Atombombe verfügt“ oder gar „in wenigen Monaten Nuklearwaffen besitzen könnte“: Derartige Vermutungen kommen in Amanos Bericht nicht vor.

Nach der massiven Einstimmung auf „ganz neue Erkenntnisse“, die angeblich von der IAEA präsentiert werden sollten, musste auch die Tatsache überraschen, dass überwiegend Behauptungen und Annahmen vorgetragen werden, die schon seit mehreren Jahren bekannt sind und die in vielen Gesprächen zwischen Vertretern der Atombehörde und des Iran umfassend erörtert wurden. Hauptstück der Anklage ist immer noch das legendäre Laptop, das angeblich im Jahre 2004 aus dem Iran geschmuggelt wurde und beim US-Geheimdienst CIA landete. Iran hat dazu mehrmals Stellung genommen, unter anderem am 14. Mai 2008 mit einem 117 Seiten starken Papier. Dieser Brief wird in Amanos jüngstem Bericht lediglich kurz erwähnt. Es fehlt aber eine Auseinandersetzung mit den von der iranischen Seite vorgebrachten Einwänden, Fakten und Argumenten.

Wem das Laptop gehört haben soll und wie es aus dem Iran herausgeschafft wurde – darüber gibt es nach wie vor keine offiziellen Angaben. Nicht einmal der genaue Zeitpunkt, zu dem das Laptop in die Hände der CIA gelangt sein soll, ist bekannt. Sicher ist nur, dass die Amerikaner der IAEA und einigen ausgewählten Regierungen erst im Juli 2005 davon Mitteilung machten. Die internationale Öffentlichkeit erfuhr von dem Laptop erstmals am 13. November 2005 durch einen langen, offensichtlich gut mit Insider-Informationen gefütterten Artikel der New York Times.

Der Zeitpunkt, zu dem die US-Regierung ihre neuen Anschuldigungen ins Spiel brachte, war gut gewählt: Am 17. Juni 2005 war Mahmud Ahmadinedschad als Sieger aus der iranischen Präsidentenwahl hervorgegangen. Noch vor seinem Amtsantritt gab die iranische Regierung Anfang August 2005 ihre Absicht bekannt, einige freiwillig unterbrochene Vorarbeiten zur Uran-Anreicherung wieder aufzunehmen. Grund war die Unzufriedenheit mit dem Angebot, das das sogenannte EU-Trio Deutschland, Frankreich und Großbritannien unterbreitet hatte. Am 8. August 2005 setzte Iran seine Ankündigung praktisch um. Das EU-Trio, das auch im Namen der USA agierte, erklärte daraufhin den Abbruch der Verhandlungen. Am 24. September 2005 wurde auf einer Sondersitzung des IAEA-Vorstands eine Resolution verabschiedet, wonach Irans angebliche Verstöße gegen den Atomwaffensperrvertrag "in die Zuständigkeit des UNO-Sicherheitsrats" fielen. Auf einer weiteren Sitzung wurde am 4. Februar 2006 beschlossen, Iran beim UNO-Sicherheitsrat der Verletzung des Atomwaffensperrvertrags anzuklagen. Dieses Gremium verabschiedete schließlich am 23. Dezember 2006 die erste Sanktionsresolution, der inzwischen noch drei weitere gefolgt sind.

Der damalige Generaldirektor der IAEA, Mohamed ElBaradei, ging dennoch sehr vorsichtig mit den angeblich auf dem Laptop gespeicherten „Dokumenten“um. Dazu trug wesentlich bei, dass die US-Regierung der Atombehörde nur sehr selektive Mitteilungen über das vorhandene Material machte. Washington untersagte darüber hinaus die Weitergabe der zur Verfügung gestellten Dokumente an die iranischen Vertreter. Diese weigerten sich ihrerseits, zu Vorwürfen Stellung zu nehmen, deren genauen Inhalt sie nicht kannten, und sich zu Papieren zu äußern, deren Echtheit sie nicht überprüfen könnten. Dennoch kam es schließlich im April und Mai sowie erneut im August 2008 zu einer Reihe von Arbeitsgesprächen zwischen Vertretern der IAEA und Irans. Davon spiegelt sich jedoch in Amanos jüngstem Bericht nichts wider.

Im Gegensatz zu ElBaradei, der 2002/2003 bereits US-amerikanischen Vorwürfen gegen Irak widersprochen hatte, ist sein seit 1. Dezember 2009 amtierender Nachfolger Amano ein williges Werkzeug der US-Politik. Unter seiner Regie haben die Berichte über das iranische Atomprogramm erheblich an Schärfe gewonnen, wobei die Grenze zwischen Tatsachen und Verdächtigungen zunehmend verschwommener wurde. In einem von WikiLeaks veröffentlichten Bericht über ein Gespräch, das am 16. Oktober 2009 zwischen dem Japaner und dem Botschafter der USA bei der IAEA stattfand, heißt es: Amano habe den amerikanischen Diplomaten „daran erinnert“, dass er zwar den nichtpaktgebundenen Staaten „Konzessionen“ machen müsse, „aber dass er zuverlässig auf Seiten der USA stehe, von hochrangigen Personalentscheidungen bis zur Behandlung des angeblichen iranischen Nuklearwaffenprogramms“.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 14. November 2011