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Wirkungen der Sanktionen
Im US-Senat liegt ein neues Sanktionsgesetz gegen Iran auf Eis, das vom Abgeordnetenhaus schon am 31. Juli mit 400 gegen 20 Stimmen problemlos durchgewunken wurde. Dem „Nuclear Prevention Act“ stimmten auch die meisten der 131 Parlamentarier aus beiden Parteien zu, die gerade erst einen offenen Brief an Präsident Barack Obama unterschrieben hatten. Darin war gefordert worden, nach dem Präsidentenwechsel in Teheran der Diplomatie Zeit zu lassen und zu diesem Zeitpunkt keine zusätzlichen Sanktionen gegen Iran zu beschließen. Die Billigung des Gesetzes durch das Abgeordnetenhaus erfolgte nur vier Tage vor der Einführung von Hassan Rouhani in sein neues Amt.
Falls der Iran bei den heute beginnenden Gesprächen in Genf nicht weitreichende Zugeständnisse an die USA und ihre Verbündeten anbietet, muss damit gerechnet werden, dass der Senat die Diskussion über den „Nuclear Prevention Act“ beschleunigt vorantreibt, mit dem Ziel, im November einen mit dem Abgeordnetenhaus vereinheitlichten Text verabschieden zu können.
Ein Kernstück des geplanten Gesetzes besteht darin, den iranischen Erdölexport, die Haupteinnahmequelle des Landes, im Verlauf eines Jahres um mindestens eine Millionen Barrel pro Tag (mdpd) zu senken. Das würde in einen Bereich zwischen 0,2 und 0,5 bmpd führen. Zum Vergleich: Ende 2011, vor dem Import-Boykott der EU, der am 1. Juli 2012 in Kraft trat, exportierte Iran durchschnittlich 2,5 mbpd.
Die bestehende Sanktionsgesetzgebung der USA droht allen Ländern, die iranisches Erdöl importieren, mit schweren wirtschaftlichen und finanziellen Nachteilen auf dem US-amerikanischen Markt. Sie lässt aber Ausnahmegenehmigungen durch die Regierung für alle Länder zu, die in den vergangenen Monaten ihre Einfuhr „relevant“ verringert haben. Diese Genehmigungen müssen alle sechs Monate neu beantragt und erteilt werden. Bisher hat Washington sie noch keinem Land verweigert. Hauptimporteure von iranischem Erdöl sind, nach dem völligen Importstopp aller EU-Länder, China, Indien, Südkorea, die Türkei und Japan. Der „Nuclear Prevention Act“ würde alle Importländer in Kollektivhaftung nehmen für das angestrebte Ziel der Verringerung um insgesamt eine Million Barrel pro Tag. Falls dieses Ziel verfehlt würde, könnte keines dieser Länder mehr eine Ausnahmegenehmigung bekommen – außer, es hätte im abgelaufenen Jahr eine „dramatische“ Verringerung seines Ölimports aus dem Iran vorgenommen.
Iran hat zwar die viertgrößten Ölreserven der Welt, hat aber derzeit nur eine durchschnittliche Produktion von 2,5 mbpd. Das ist nicht einmal halb so viel wie im letzten Jahr vorm Sturz des Schah-Regimes, 1978, als 5,2 mbpd gefördert wurden. Der neue Ölminister Bidschan Namdar Zanganeh hat im August angekündigt, dass die Produktion in nur sieben Monaten wieder auf das Niveau von 2005, vor den einschneidenden Sanktionen, gesteigert werden soll. Das waren immerhin 4,2 mbpd.
Aufgrund der gegenwärtigen Sanktionen fiel der iranische Öl-Export im April auf einen Tiefstand von 0,7 mbpd, also weniger als ein Drittel des Standes Ende 2011, und liegt derzeit ungefähr bei 1,3 mbpd. Das ist weniger als zur Zeit des Kriegs gegen Irak in den 1980er Jahren. Zanganeh will auch den Kampf um die Steigerung des Exports, insbesondere die Rückeroberung verlorener Märkte, forcieren. Neben der vagen, kaum realistischen Hoffnung auf eine baldige Lockerung der Sanktionen droht der Minister den Konkurrenten, die aus Irans Notlage große Vorteile gezogen haben, mit einem Preiskrieg.
Mit 69 Milliarden Dollar – nach US-amerikanischen Schätzungen – waren Irans Einnahmen aus dem internationalen Ölgeschäft 2012 immer noch beträchtlich, wenn auch um 26 Milliarden niedriger als ein Jahr zuvor. Iran hat eine ausgeglichene Handelsbilanz und ungefähr 80 Milliarden Reserven in ausländischer Währung. Behauptungen wie die des israelischen Geheimdienstminister Juval Steinitz, die iranische Wirtschaft sei nur noch 18 Monate vom „Zusammenbruch“ entfernt, sind wahrscheinlich weit von der Realität entfernt. Was Iran jedoch wirklich fehlt, sind die erforderlichen Milliardeninvestitionen, auch aus dem Ausland, die notwendig wären, um seine Öl- und Gasproduktion instand zu halten, zu modernisieren und auszubauen.
Noch schwerer als die erzwungene Einschränkung seiner Ölexporte trifft den Iran der immer vollständigere Ausschluss vom internationalen Finanzmarkt. Ein Sanktionsgesetz der USA verpflichtet alle Länder, die iranisches Erdöl importieren, die Kaufpreise auf eine Art Sperrkonten einzuzahlen. Iran kann dieses Geld nur noch zum Warenkauf verwenden, wobei die Liste der Güter, die Iran kaufen darf, durch weitere Sanktionen reduziert sind. US-amerikanische Experten schätzen, dass Iran dadurch nur noch Zugriff auf etwa die Hälfte seiner Einnahmen aus dem Ölgeschäft hat.
Um die vielfältigen US-amerikanischen Sanktionen gegen Iran aufzuheben, wäre in den meisten Fällen die Zustimmung des Kongresses erforderlich. Beim jetzigen Stand der Dinge werden die meisten Abgeordneten und Senatoren jedoch ein Ende der Sanktionen blockieren, so lange sich Iran nicht sämtlichen Forderungen, die weit über den Atomstreit hinausgehen, unterwirft. Eher könnte das Sanktionsregime, das fast ausschließlich ein Wirtschaftskrieg gegen die Konkurrenten der USA ist, daran zerbrechen, dass sich Länder wie China, Indien oder auch Russland nicht ewig dem amerikanischen Diktat unterwerfen werden.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 15. Oktober 2013