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Wildwest in Nahost
Das Pentagon verweigert Informationen über den Zwischenfall im Persischen Golf, bei dem das „Sicherheitsteam“ eines Versorgungsschiffs der US-Kriegsmarine am Montag einen indischen Fischer tötete und drei weitere verletzte. Die Amerikaner hatten das etwa neun Meter lange Boot mit einem schweren Maschinengewehr beschossen, weil es sich angeblich in schneller Fahrt genähert und die Besatzung mehrere „Warnungen“ missachtet habe. Die eingesetzte Munition mit der US-amerikanischen Bezeichnung 0.50 – das entspricht dem NATO-Kaliber 12,7 mm – zeichnet sich durch besonders hohe Durchschlags- und Zerstörungskraft auch auf größere Entfernung aus. Das beteiligte amerikanische Schiff Rappahannock dient zum Auftanken auf See, hat eine zivile Besatzung von etwa 80 Mann und soll eigentlich nur „in Kriegszeiten“ eine Bewaffnung zur Selbstverteidigung mitführen, für deren Einsatz dann Marinesoldaten zuständig sind.
Inzwischen haben mehrere Überlebende des Angriffs gegenüber indischen Konsularbeamten und internationalen Pressevertretern übereinstimmend versichert, dass es keine für sie erkennbaren Warnungen gegeben habe. Sie seien nicht zum ersten Mal auf See gewesen und seien mit den üblichen visuellen und akustischen Signalen vertraut, erklärte der 28-jährige Muthu Muniraj im Krankenhaus von Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) der Nachrichtenagentur Reuters.
Die Inder berichten zudem, dass die Rappahannock nach den Schüssen auf ihr Boot weitergefahren sei, obwohl sie durch Zeichen um medizinische Hilfe gebeten hätten. Ein solches Verhalten ist nicht nur unmenschlich, sondern widerspricht sogar den allgemein anerkannten Verpflichtungen im Seekrieg. Abgesehen davon gibt es kein Recht, in Friedenszeiten auf Boote zu schießen, nur weil sie angeblich „zu nahe gekommen“ seien. Tatsächlich beruft sich die in der Golfregion stationierte Fünfte Flotte der US-Marine lediglich auf interne „Sicherheitsprozeduren“, über deren Inhalt sie sich jedoch ausschweigt.
Schweigen auch beim US-Kriegsministerium. Pentagon-Sprecher George Little lehnte es in seiner Pressekonferenz am Dienstag kategorisch ab, irgendeine Frage zu dem Zwischenfall zu beantworten, und verwies auf die gerade erst begonnenen Untersuchungen. Außerdem behauptete er, auf der Website des Kommandos Mitte der US-Streitkräfte (CENTCOM) gebe es eine „Timeline“, in der der Verlauf der Ereignisse im Persischen Golf beschrieben werde. Zu finden war diese jedoch auch am Mittwoch nicht. Das dort stattdessen plazierte Kommunique des CENTCOM ist von erschlagender Ungenauigkeit: Es enthält noch nicht einmal ungefähre Angaben über den Zeitraum und den Ort der Schiffsbegegnung. Aus dem extrem kurzen Text wird auch nicht deutlich, wie weit das beschossene Boot von der Rappahannock entfernt war und welche Signale eingesetzt worden waren, bevor der Schießbefehl erteilt wurde. Das einzige erwähnte Detail ist das Kaliber der verwendeten Munition.
Die indische Tageszeitung The Hindu sprach am Mittwoch vom „ersten Opfer in Obamas neuem Krieg“. In einem Kommentar hieß es, der Vorfall sei „ein Alarmruf“ für die indische Regierung, zu den Kriegsvorbereitungen gegen Iran und zur Militarisierung der Golfregion durch die USA nicht länger zu schweigen. Das Blatt wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass dort rund sechs Millionen Inder leben, die von den Folgen eines Krieges betroffen wären.
Knut Mellenthin
Junge Welt, 19. Juli 2012