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Wiener Stimmungsbarometer

In neuen Verhandlungen mit dem Iran will die Atomenergiebehörde der UNO Inspektionen im Militärkomplex Parchin durchsetzen.

In Wien haben am Montag zweitägige Gespräche zwischen der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) und Vertretern Irans begonnen. Zuvor hatten beide Seiten sich am 29. bis 31. Januar sowie am 20. und 21. Februar in Teheran getroffen. Die jetzigen Verhandlungen am Sitz der IAEA gelten als Stimmungsbarometer für die Begegnung zwischen dem Iran und den „5 + 1“, die am 23. Mai in der irakischen Hauptstadt Bagdad stattfinden soll. Die Sechsergruppe besteht aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats - China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA - sowie Deutschland.

Zentraler Inhalt der Wiener Gespräche, die „hinter verschlossenen Türen“ geführt werden, seien die Details einer Vereinbarung über das künftige Vorgehen bei der „Lösung aller offener Fragen“, erklärte der Stellvertretende Generaldirektor der IAEA, Herman Nackaerts, am Montagmorgen auf einer Pressekonferenz. „Priorität“ seiner Behörde, einer Unterorganisation der Vereinten Nationen, sei „die Klärung einer möglichen militärischen Dimension“ des iranischen Atomprogramms.

Der Belgier war auch schon Leiter der IAEA-Delegation bei den Teheraner Verhandlungen im Januar und Februar. Beim zweiten Treffen waren die Vertreter der Behörde auf Anweisung von Generaldirektor Jukija Amano vorzeitig abgereist, nachdem die Iraner ihre Forderung abgelehnt hatten, den 20 Kilometer südöstlich der Hauptstadt gelegenen Militärkomplex Parchin inspizieren zu können. Nach unbewiesenen Behauptungen anonymer israelischer und US-amerikanischer Quellen soll dort vor einigen Jahren eine Explosionskammer zum Testen von Atomwaffen-Zündern betrieben worden sein.

Rechtlich gesehen fallen militärische Anlagen wie Parchin nach dem Atomwaffensperrvertrag und den später abgeschlossenen Durchführungsvereinbarungen eindeutig nicht in die Kompetenz der IAEA. Der ständige iranische Vertreter bei der Wiener Behörde, Ali Asghar Soltanieh, erläuterte später in mehreren Interviews, dass Inspektoren der IAEA die Anlage schon zwei Mal, im Januar und November 2005, ergebnislos besichtigt hatten. Iran sei dennoch bereit, einen erneuten Besuch zuzulassen, sofern zuvor über dessen Ziele eine präzise, detaillierte schriftliche Vereinbarung getroffen werden könnte.

Die Iraner wollen vermeiden, dass eine Genehmigung für nochmalige Inspektionen in dem Militärkomplex zum allgemeingültigen Präzedenzfall wird. Der UN-Sicherheitsrat hat Teheran in mehreren strafbewehrten Resolutionen aufgefordert, der IAEA unbegrenzte Rechte auf seinem gesamten Territorium einzuräumen. Danach könnte die Behörde jeden beliebigen Ort im Land untersuchen, jeden ihr interessant erscheinenden Iraner ins Kreuzverhör nehmen und sich alle gewünschten Dokumente zeigen lassen. Bei der durchlässigen Struktur der IAEA wäre das eine Einladung zum Ausspionieren des Landes, wie es vor dem Überfall auf den Irak 2003 jahrelang praktiziert worden war.

Pünktlich vor Beginn der neuen Gespräche in Wien hatte AP am Sonntag eine schematische Computergrafik veröffentlicht, bei der es sich angeblich um die Explosionskammer in Parchin handeln soll. Die Nachrichtenagentur behauptet, die Zeichnung von einem Vertreter eines nicht genannten Landes, „das Irans Atomprogramm verfolgt“, erhalten zu haben. Fotos von solchen Kammern kann man allerdings dutzendweise im Internet finden. Sie werden zu unterschiedlichen Zwecken genutzt, unter anderem auch zur Produktion von künstlichen Industriediamanten. Auf Basis eines solchen Fotos eine Grafik zu erstellen, ist ein Kinderspiel.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 15. Mai 2012