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Wie vor dem Irak-Krieg: Lügen, Lügen, Lügen

Wer erinnert sich noch an Judith Miller? Einst eine Star-Journalistin der New York Times. Dann, im Oktober 2005, von der Chefredaktion der renommiertesten Tageszeitung der USA als Sündenbock geopfert. Miller hatte, völlig im Einklang mit der Linie des Hauses, in den Jahren 2001 und 2002 ihren Namen unter unseriöse Artikel gesetzt, die mit falschen Anschuldigungen Kriegsstimmung gegen Irak schürten. Stichwort "Massenvernichtungswaffen". Die Desinformationen, für die Miller sich auf anonyme oder äußerst fragwürdige Quellen berief, stammten zumeist aus neokonservativen Gerüchtefabriken im Pentagon.

Judith Miller hatte damals einen Ko-Autor, Michael R. Gordon. Seinen Namen liest man jetzt wieder immer öfter unter Artikeln der New York Times. So zuletzt am Montag auf der Titelseite. Erneut geht es um die Schaffung von Kriegshysterie, diesmal gegen den Iran. Thema des Aufmachers am 2. Juli war eine Pressekonferenz von Brigadegeneral Kevin J. Bergner, amerikanischer Militärsprecher im Irak. Bevor er den Job in Bagdad übernahm, war Bergner stellvertretender Abteilungsleiter im Pentagon und anschließend Sonderberater von Präsident George W. Bush.

Auf der Pressekonferenz behauptete Bergner, die al-Kuds-Brigaden, der militärische Arm der iranischen Revolutionsgarde, würden irakische Aufständische mit Waffen und Geld - 3 Millionen Dollar im Monat - versorgen. Außerdem würden irakische Schiiten-Milizen im Iran ausgebildet. So weit altbekannte Anschuldigungen. Neu war Bergners Behauptung, dass es bei diesen Aktivitäten eine enge Zusammenarbeit mit der libanesischen Hisbollah gebe. Er berief sich dabei auf drei angeblich im März festgenommene Mitglieder dieser Organisation. Treuherzig wehrte Bergner den Verdacht ab, den Aussagen sei vielleicht durch Folter etwas nachgeholfen worden: Man habe nur die üblichen Verhörmethoden angewendet.

Laut Bergner waren die drei Hisbollah-Leute für die Organisierung eines Überfalls verantwortlich, bei dem im Januar im Irak fünf US-Soldaten getötet wurden. Sie hätten darüber hinaus angegeben, dass die al-Kuds-Führung an der Planung dieser Aktion beteiligt gewesen sei. Auf die Nachfrage von Journalisten, ob auch die oberste Autorität Irans, Ajatollah Ali Khamenei, in solche Aktivitäten eingeweiht sei, sagte Bergner: "Es ist schwer vorstellbar, dass dies nicht der Fall ist."

Die Behauptung, Irans politische Führung sei unmittelbar an der Tötung amerikanischer Soldaten beteiligt, wird seit einigen Monaten zu einem zweiten Kriegsgrund aufgebaut. Die US-Regierung zieht damit die Konsequenz aus der Tatsache, dass die angeblichen, aber gänzlich unbewiesenen Atomwaffenpläne Irans von der Mehrheit der US-Bevölkerung nicht als glaubwürdiges Motiv für ein neues militärisches Abenteuer akzeptiert werden. Dagegen wirkt die Propagandaparole "Die Iraner töten unsere Jungs" stark emotionalisierend. Auf diese Weise ließen sich "begrenzte" Militärschläge gegen iranisches Gebiet begründen, die den Einstieg zu einer schrittweisen Eskalation bilden könnten.

Zunehmend operiert die amerikanische Kriegspropaganda auch mit der Behauptung, Iran unterstütze die Taliban in Afghanistan. Die Beweislage für diese Vorwürfe ist noch schwächer als im Falle Iraks. Außerdem dementiert die Regierung in Kabul, die enge Beziehungen zum Iran unterhält, alle Gerüchte dieser Art.

Am Montag präsentierte Reuters angebliche Äußerungen von Javier Solana, dem Außenpolitik-Chef der EU. Nach Angaben der Nachrichtenagentur hatte Solana in einem Rundumschlag sämtliche Auseinandersetzungen im Libanon und in Palästina dem direkten Einwirken Teherans zugeschrieben. Da Solana als Verhandlungsführer der EU im Atomstreit sehr um ein sachliches, konstruktives Gesprächsklima bemüht ist, wirkte die Meldung sofort unglaubwürdig. Am Dienstag ließ Solana sie als vollständig unwahr dementieren.

Offen bleibt jedoch die hochinteressante Frage, wer Reuters die gezielte Desinformation zugespielt hatte.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 6. Juli 2007