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US-Regierung bereitet Konfrontation mit Iran vor

Dient das US-amerikanische Raketenabwehr-Projekt in Mitteleuropa hauptsächlich dazu, Russland zu einer Beteiligung am Konfrontationskurs gegen Iran zu zwingen? Wie die russische Zeitung Kommersant am Montag berichtete, hat Barack Obama seinem Kollegen Dmitri Medwedew vor drei Wochen einen geheimen Brief übergeben lassen, der darauf hindeutet. Der US-Präsident signalisiere darin Bereitschaft, die Stationierung des Systems in der Tschechischen Republik und Polen „neu zu überdenken“, falls Russland erfolgreich dazu beiträgt, Iran zum Verzicht auf die Uran-Anreicherung zu veranlassen.

Die Quellen des Kommersant-Berichts, der in der US-Presse große Aufmerksamkeit fand, sind anonym. Verbindliche Zusagen soll der angebliche Brief nicht enthalten. Russland habe bislang nicht geantwortet. Obama und Medwedew sollen erstmals am 2. April in London zusammenkommen.

Abgesehen von der Behauptung, es gebe ein Geheimschreiben Obamas, enthält der Bericht grundsätzlich nichts Neues. Der alte und neue Verteidigungsminister der USA, Robert Gates, erzählte am 20. Februar auf einem NATO-Treffen in Krakau: „Ich habe den Russen vor einem Jahr erklärt, dass es keine Notwendigkeit für Raketenanlagen (in Polen) gäbe, wenn es kein iranisches Raketenprogramm gäbe. Eine Herangehensweise wäre also, dass man prüft, ob wir eine bessere russische Kooperation bei der Behandlung einiger der im Iran vor sich gehenden Aktivitäten erreichen können.“ - Und William Burns, Staatssekretär im US-Außenministerium, sagte vor wenigen Wochen in einem Interview mit der russischen Nachrichtenagentur Interfax: „Wenn wir durch starke Diplomatie gemeinsam mit Russland und unseren anderen Partnern die (iranische) Bedrohung verringern oder ausschalten könnten, so würde das selbstverständlich die Art beeinflussen, wie wir die Raketenabwehr betrachten.“

Medwedew sagte zu den Berichten über das angebliche amerikanische „Angebot“ am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Madrid lediglich: „Wir sind in Verbindung, aber es wurden keine Tauschgeschäfte diskutiert, das versichere ich Ihnen.“

Obama bestätigte, ebenfalls am Dienstag, die Existenz eines Briefes, behauptete aber, dessen Inhalt sei in den Berichten „nicht genau wiedergegeben“ worden. „Was ich in diesem Brief gesagt habe, ist das, was ich auch öffentlich gesagt habe. Nämlich, dass die Raketenabwehr, über deren Aufstellung wir gesprochen haben, nicht gegen Russland, sondern gegen Iran gerichtet ist.“ „Und was ich gesagt habe, war, dass selbstverständlich in dem Grad, in dem wir Irans Streben nach Atomwaffen verringern, sich der Druck oder die Notwendigkeit für ein Raketenabwehr-System verringert.“

Am Wochenende hatten kontroverse US-amerikanische Aussagen über den Stand des iranischen Atomprogramms für Verwirrung gesorgt. Zuerst hatte Generalstabschef Mike Mullen in einem Interview mit CNN auf die Frage, ob Iran schon genug Material für eine Atombombe habe, geantwortet: „Wir nehmen das an, ganz offen gesagt.“ Wenig später hatte Verteidigungsminister Gates jedoch im Gespräch mit dem Fernsehsender NBC widersprochen: „Sie sind nicht nahe dran an einem Materialvorrat (an waffenfähig angereichertem Uran). Sie sind zu diesem Zeitpunkt nicht nahe dran an einer Atomwaffe. Also haben wir noch etwas Zeit.“

Verschiedene Mainstream-Medien, darunter die New York Times, waren auf Mullens Glaubensbekenntnis mit der falschen Behauptung eingestiegen, die Internationale Atomenergiebehörde IAEA habe in ihrem jüngsten Bericht vom 19. Februar „erstmals festgestellt“, dass Iran „genug nukleares Material für eine Bombe habe“. Genau das selbe hatte das Blatt auch schon am 20. Februar behauptet.

Offenbar spielt die New York Times, jetzt mit ihren Autoren Tom Shanker und David E. Sanger, die gleiche desinformierende Rolle wie mit ihrer damaligen Starjournalistin Judith Miller im Vorfeld des Irak-Krieges. In Wirklichkeit sind im IAEA-Bericht keine Spekulationen über eine iranische Atombombe zu finden. Es wird lediglich sachlich registriert, dass Iran inzwischen (Stand Ende Januar) über 1010 Kilo schwach angereichertes Uran (3,49 Prozent) verfügt, wie es für die Produktion von AKW-Brennstäben benötigt wird. Dieses müsste auf über 90 Prozent angereichert werden, um waffenfähiges Uran zu erhalten. Die Schätzungen, wie viel schwach angereichertes Uran benötigt wird, um die für eine kleine Atombombe erforderlichen 20-25 Kilo hochangereichertes Uran zu produzieren, gehen weit auseinander: sie reichen von 1000 bis 1700 Kilo. Wobei die niedrigste Schätzung als politisch motiviert gelten muss.

Die Uran-Anreicherung in der Anlage von Natanz wird von der IAEA lückenlos kontrolliert. Wenn Iran dazu übergehen wollte, Uran bis zur Waffenfähigkeit anzureichern, würde das von den Inspektoren der UN-Behörde sehr rasch bemerkt.

Iran hat immer wieder erklärt, dass in seiner Verteidigungsphilosophie kein Platz für Atomwaffen ist und dass es nicht an deren Entwicklung arbeitet. Dass Iran derzeit überhaupt technisch in der Lage wäre, Uran auf über 90 Prozent anzureichern, wird von der IAEA bezweifelt. Alle halbwegs seriösen Schätzungen, wie lange Iran bis zum Bau einer einsatzfähigen Atombombe brauchen würde, liegen zwischen zwei und fünf Jahren. Immer unterstellt, Iran wäre daran überhaupt interessiert und würde morgen damit beginnen.

Knut Mellenthin

Junge Welt, 4. März 2009