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US-Regierung droht mit Kriegs-Eskalation gegen Syrien und Iran

Kurz hintereinander haben in den letzten März-Tagen führende US-Politiker die Möglichkeit einer Konfliktausdehnung noch während des Irak-Kriegs oder kurz danach angedeutet. Verteidigungsminister Rumsfeld warf Syrien vor, Militärgerät - konkret sprach er lediglich von Nachtsichtgläsern - über die Grenze in den Irak zu schmuggeln. Für diese "feindlichen Akte" werde Syrien "zur Rechenschaft gezogen werden". Den Iran warnte Rumsfeld vor der Unterstützung schiitischer Milizen und drohte, deren Mitglieder als feindliche Kombattanten zu behandeln. Das scheint die Rache der USA dafür zu sein, dass die Schiiten im Südirak den amerikanisch-britischen Aggressoren nicht mit Blumenkränzen und süßem Gebäck entgegengekommen sind, wie manche Exil-Iraker versprochen hatten.

Außenminister Powell wählte sich als Kulisse eine Veranstaltung des AIPAC (American Israel Public Affairs Committee), der offiziellen pro-Israel-Lobby, um die Drohungen noch zu verschärfen. In Gegenwart des israelischen Außenministers sagte Powell: "Jetzt muss sich die ganze internationale Gemeinschaft erheben und darauf bestehen, dass Iran seine Unterstützung der Terroristen beendet.(...) Teheran muss aufhören, nach Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen für diese zu streben." - Für Damaskus hielt Powell die Drohung bereit, es stehe ebenfalls vor einer kritischen Entscheidung: "Syrien kann seine direkte Unterstützung für Terrorgruppen und für das untergehende Regime von Saddam Hussein fortsetzen, oder es kann einen anderen, hoffnungsvolleren Weg einschlagen." - Die Folgen seiner Entscheidung habe Syrien selbst zu verantworten.

Tatsächlich ist der Forderungskatalog, mit dem die US-Regierung Syrien konfrontieren wird, noch umfangreicher. Er ist enthalten im Gesetzentwurf zum Syria Accountability Act, der im vorigen Jahr nur ganz knapp die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses verfehlte und demnächst wahrscheinlich angenommen werden wird. Gefordert wird dort:

  • 1. Syrien muss "sofort und bedingungslos" seine Unterstützung für den Terrorismus einstellen, seinen "Verzicht auf alle Formen des Terrorismus" öffentlich erklären und die Büros von Hamas, Hizbollah, PFLP und PFLP-Generalkommando schließen.
  • 2. Syrien muss sofort seine Bereitschaft erklären, seine Truppen und Sicherheitskräfte aus dem Libanon abzuziehen und für diesen Rückzug einen verbindlichen Zeitplan vorlegen. Syrien hat nach unterschiedlichen Angaben 20.-30.000 Mann im Libanon stationiert, und zwar aufgrund eines Abkommens mit der libanesischen Regierung, das 1989 in Taif geschlossen wurde. Die USA streben in Beirut die Bildung einer Marionettenregierung unter dem rechtschristlichen Exil-Politiker Michel Aoun an.
  • 3. Syrien muss die Entwicklung und Aufstellung von Kurz- und Mittelstreckenraketen einstellen. - Kein Irrtum: Syrien soll nicht einmal Kurzstreckenraketen besitzen dürfen, die sogar dem Irak nach dem ersten Krieg 1991 noch erlaubt worden waren - mit der Begründung, dass diese Raketen von Syrien aus Israel treffen könnten.
  • 4. Syrien muss die Entwicklung und Produktion biologischer und chemischer Waffen einstellen. Dass es tatsächlich solche Waffen besitzt oder anstrebt, ist nie bewiesen worden.


Der Syria Accountability Act fordert die US-Regierung auf, Syrien bei Nichterfüllung dieser Forderungen als "feindliches Regime" zu behandeln, was einem Ermächtigungsgesetz zur jederzeitigen Kriegserklärung gleichkommt. Es geht also nicht wirklich um den vorgeschobenen Schmuggel von ein paar Nachtsichtgläsern. Dass diese ins Spiel gebracht werden, deutet allerdings auf die amerikanische Option hin, Syrien noch während des Irak-Krieges anzugreifen.

Das erscheint nur auf den ersten Blick, angesichts der erheblichen Probleme, vor denen die amerikanisch-britischen Streitkräfte zur Zeit im Irak stehen, widersinnig. Denn die Welle des hysterischen, keiner Kritik mehr zugänglichen Kriegspatriotismus in den USA macht es jetzt vergleichsweise leicht, eine militärische Eskalation zu "verkaufen". Gezielte Provokationen, etwa amerikanische Angriffe auf syrisches Grenzgebiet, "um den Waffenschmuggel zu unterbinden", könnten als Einstieg dienen.

Auch der Iran ist akut gefährdet. Spätestens nach vorläufigem Abschluss des Irak-Krieges werden die USA die "Entwaffnung" Irans auf die Tagesordnung setzen. Der Hauptvorwurf ist, dass Iran Mittelstreckenraketen besitzt und weiterentwickelt und dass es nur noch wenige Jahre vom Besitz von Atomwaffen entfernt sei, die mit diesen Trägersystemen Israel erreichen könnten. Die irakisch-schiitischen Milizen und Organisationen, die im Iran Stützpunkte unterhalten, könnten den USA als Vorwand für Angriffe noch während der Kämpfe im Irak dienen. Bis Kriegsbeginn galten die Schiiten offiziell als Verbündete der USA. Aufgrund einer von Präsident Bush unterzeichneten Anordnung sollten sie sogar Gelder aus dem für die irakische Opposition bestimmten Etat von fast 100 Millionen Dollar erhalten. So schnell kann man vom "Hilfswilligen" zum Feind der USA herabgestuft werden.

Auch Libyen will sich die US-Regierung nach Abschluss des Irak-Krieges vornehmen. Denn der Regierung von Oberst Ghadafi wird ebenfalls unterstellt, Raketen zu besitzen und an der Entwicklung von Atomwaffen zu arbeiten. Die Vorwürfe haben aber eine noch weiter reichende Dimension: Angeblich arbeiten Iran, Syrien und Libyen in der Raketentechnik ebenso wie bei der Entwicklung von ABC-Waffen, eng mit Nordkorea zusammen. Die Konfliktausweitung im Nahen Osten und Nordafrika kann also gleichzeitig zum Aufbau der Droh-Kulisse gegen Nordkorea benutzt werden.

Der Irak-Krieg ist der amerikanischen Bevölkerung unter einer dreifachen Fiktion verkauft worden: 1. Er werde von der großen Mehrheit der Iraker sehnsüchtig als Auftakt ihrer Befreiung erwartet. 2. Er werde demzufolge ganz, ganz kurz sein. Saddam Husseins Regime werde "wie ein Kartenhaus" (so formulierte es der inzwischen zurückgetretene Pentagon-Berater Richard Perle) beim ersten Stoß zusammenbrechen. 3. Mit dem Sturz Saddam Husseins und der Errichtung einer demokratischen, wirtschaftlich blühenden Gesellschaft im Irak würden sich die USA die Dankbarkeit aller Moslems erwerben und einen dominoartigen Nachahmungseffekt in der gesamten Region auslösen.

Das jetzt eingetretene wirkliche Szenario - in allen drei Punkten das totale Gegenteil dieser Behauptungen - hätte viele Amerikaner wahrscheinlich abgeschreckt und den Krieg schwerer verkäuflich werden lassen. Die Kriegsdrohungen gegen Syrien und Iran liefern den letzten Beweis, dass die US-Regierung ihrer eigenen Domino-Theorie nicht traut, sondern als sich selbst erfüllende Prophezeiung auf "Regimewechsel" durch Militärgewalt und auf die Errichtung eines langjährigen Besatzungssystems in allen künftig zu "befreienden" Staaten setzt.

Noch während der Kriegführung in Afghanistan im Jahr 2001 war die US-Regierung darauf bedacht, das angegriffene Land maximal zu isolieren und Staaten wie Iran und Syrien vorübergehend in die internationale "Koalition gegen den Terror" einzubinden. Die amerikanische Strategie schien darin zu bestehen, militärische Erfolge zu konsolidieren, sich nicht überflüssigerweise vorzeitig Feinde zu machen, sondern sich in aller Ruhe einen moslemischen Staat nach dem anderen vorzunehmen.

Die massiven Drohungen gegen Syrien und Iran deuten auf einen Taktikwechsel hin. Die US-Regierung macht nicht nur Anstalten, es militärisch mit mehreren Gegnern gleichzeitig aufzunehmen, sondern riskiert als Folge ihres Amoklaufs auch, dass die für die USA jahrzehntelang höchst vorteilhafte Spaltung der arabischen Welt wenigstens ansatzweise überwunden wird. Und mehr noch: Auch Europa, Russland, China und Japan könnten begreifen, dass es in der Welt heute nur eine einzige Macht gibt, die sie militärisch bedroht, und daraus Schlussfolgerungen herleiten. Vorzuziehen wäre dem sich daraus ergebenden Szenario allemal, wenn die USA aus eigener Kraft zu einer radikalen Kurskorrektur in der Lage wären.

Knut Mellenthin

Neues Deutschland, 2.4.2003