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Streit um Irans ziviles Atomprogramm:

Kein Licht am Ende des Tunnels

Am 18. Januar werden voraussichtlich Vertreter Iran und des EU-Trios - Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens - zu einem zweiten Vorgespräch zusammenkommen. Ein erstes Treffen fand im Dezember statt. Thema sind die Bedingungen und der Zeitplan für eine neue Verhandlungsrunde. Das EU-Trio hatte die seit Herbst 2003 laufenden Verhandlungen im August vorigen Jahres abgebrochen, nachdem Iran die vorübergehend freiwillig eingestellten Arbeiten in der Uran-Konvertierungsanlage Isfahan wieder aufgenommen hatte. Die Europäer erklärten damals, sie würden an den Verhandlungstisch erst wieder zurückkehren, wenn Teheran sich an die im November 2003 angekündigte und im November 2004 bekräftigte freiwillige Unterbrechung aller "mit der Uran-Anreicherung verbundenen" Arbeiten hält. Diese Vorbedingung wird das EU-Trio nun möglicherweise fallen lassen.

Mag es also wirklich zu einer neuen Verhandlungsrunde kommen, so sind jedoch die Widersprüche, die im vergangenen Sommer zur Krise führten, nicht im geringsten ausgeräumt, sondern bleiben ihrem Wesen nach unüberwindbar. Denn das EU-Trio hält, gemeinsam mit den USA, als Endziel an der Forderung nach einem vollständigen und bedingungslosen Verzicht Irans auf die Uran-Anreicherung fest. Auf der anderen Seite kann und wird Iran sich dieser Forderung nicht unterwerfen.

Kein Kompromiss erkennbar

Schwach angereichertes Uran wird zur Produktion von Brennstoff für Atomkraftwerke benötigt. Würde Iran darauf verzichten, wäre es für sein ziviles Atomprogramm völlig von Lieferungen aus dem Ausland abhängig. Für ein Land, das seit dem Sturz des Schah-Regimes 1979 unter US-amerikanischen Sanktionen leidet, ist das eine nicht akzeptable Horrorvorstellung. Iran hat in der Vergangenheit immer wieder erleben müssen, dass auch europäische und sogar russische und chinesische Unternehmen sich dem Druck der US-Regierung unterwarfen. Fast abschlussreife Abkommen scheiterten, bereits unterzeichnete Verträge platzten. Gerade das zivile Atomprogramm Irans hat dadurch besonders gelitten und entwickelt sich, verglichen mit anderen Ländern, die offen auf dem Weltmarkt einkaufen können, im Schneckentempo.

Aus diesem Grund ist für Teheran auch der von USA und EU-Trio neuerdings favorisierte russische "Kompromissvorschlag" in seiner bisherigen Form nicht annehmbar. Von "Kompromiss" sprechen westliche Politiker und Medien, weil Iran die Konvertierungsanlage in Isfahan weiter betreiben könnte. Dort wird Roh-Uran in Gas umgewandelt. Dieses Gas kann dann in eine Kette von Zentrifugen eingespeist und angereichert werden. Der "Kompromissvorschlag" würde Iran verpflichten, das in Isfahan produzierte Gas nach Russland zu transportieren, wo dann die Anreicherung vorgenommen werden soll. Iran wäre also für sein ziviles Atomprogramm von Brennstofflieferungen aus Russland abhängig, das seinerseits gegenüber US-amerikanischem Druck empfindlich ist. Aus iranischer Sicht ist nicht zu erkennen, wo in diesem Vorschlag so etwas wie ein Kompromiss liegen soll.

Es kommt hinzu, dass sich in den letzten Jahren in Iran ein Misstrauen gegen die Zuverlässigkeit Russlands aufgebaut hat. Darüber wird seitens der iranischen Führung nicht offen gesprochen, weil Teheran seine wenigen "Freunde" - richtiger wäre wohl, von Nicht-Feinden zu sprechen - nicht verprellen will. Einige den Hardlinern zugerechnete iranische Medien sind zu diesem Thema etwas weniger zurückhaltend. Russland baut seit Ende der 90er Jahre an dem bisher einzigen iranischen Atomkraftwerk in Buschehr. Aus rätselhaften Gründen verschiebt das federführende russische Unternehmen die angekündigte Fertigstellung aber immer wieder. Die US-Regierung hatte anfangs ganz offen von Russland gefordert, aus dem Projekt wieder auszusteigen. Inzwischen, so fürchten im Iran nicht nur die Hardliner, könnten sich Moskau und Washington insgeheim dahingehend verständigt haben, das Projekt so lange wie möglich zu verzögern.

Weltweit einmalige Diskriminierung

Neben dem Aspekt der energiewirtschaftlichen Unabhängigkeit hat Iran aber auch schwerwiegende politische Gründe, sich der europäisch-amerikanischen Forderung nach Verzicht auf die Uran-Anreicherung und alle "damit verbundenen Arbeiten" - was ein äußerst dehnbarer Begriff ist - auf gar keinen Fall zu unterwerfen. Es gibt für diese Forderung absolut keine rechtliche Grundlage. Der Atomwaffensperrvertrag (NPT), den Iran 1970 unterzeichnet hat, erlaubt zweifelsfrei und unumstritten in vollem Umfang die zivile Nutzung der Atomenergie, einschließlich der Uran-Anreicherung. Einzige Voraussetzung: Die Produktion muss unter Kontrolle der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) stattfinden. Dazu ist Iran bereit, sogar weit über die Regeln des NPT hinaus.

Die Forderung, der Iran solle für alle Zeiten seinen Verzicht auf die Uran-Anreicherung erklären, stellt eine weltweit einmalige Diskriminierung dar. Von keinem anderen Land wurde bisher so etwas verlangt. Begründet wird die Forderung damit, dass sich Iran das Vertrauen der "internationalen Gemeinschaft" verscherzt habe, indem das Land jahrelang Teile seines zivilen Atomprogramms "verheimlicht" habe. Damit gebe es, so argumentieren USA und EU-Trio, dem Verdacht Nahrung, in Wirklichkeit an der Entwicklung von Atomwaffen zu arbeiten.

Für diese Anschuldigung gibt es aber, nachdem die Inspektoren der IAEA im Februar 2003 eine sehr intensive Untersuchung gestartet und sämtliche Anlagen des iranischen Atomprogramms - und darüber hinaus etliche weitere angeblich verdächtige Objekte - eingehend besichtigt haben, nicht den geringsten Anhaltspunkt. Die vierteljährlichen Berichte des IAEA-Generalsekretär Mohammed el-Baradei stellen jedes Mal fest: Es wurden keine Hinweise auf die Existenz eines iranischen Atomwaffenprogramms entdeckt. Die iranische Führung hat darüber hinaus viele Male versichert, dass ihrer Auffassung nach Atomwaffen der islamischen Ethik widersprechen. Der Träger der obersten religiösen Autorität Irans, Ajatollah Khameini, hat dazu eine "Fatwah", ein verbindliches Urteil, ausgesprochen.

Vor diesem Hintergrund kann sich Iran der amerikanisch-europäischen Verzichts-Forderung nicht unterwerfen, ohne implizit auch die zugrunde liegende Anschuldigung geheimer Atomwaffen-Pläne zu bestätigen. Mit einem solchen Verzicht würde Teheran also selbst anerkennen, ein "Schurkenstaat" zu sein, der nur durch weltweit einzigartige und beispiellose diskriminierende Maßnahmen, die außerhalb des internationalen Rechts liegen, zu bändigen ist. Iran würde sich dadurch nicht nur in den Status eines unter unbefristeter Bewährungsaufsicht stehenden Pariah-Staates fügen, sondern einer Kette weiterer Erpressungen seitens der USA und des EU-Trios Tür und Tor öffnen. Die nächste logische Forderung wäre, beispielsweise, die Verschrottung der iranischen Mittelstreckenraketen, die Israel erreichen könnten. Aber zumindest der Wunschzettel der USA ist sehr viel länger. Dazu gehört auch die Aufgabe der iranischen Unterstützung für schiitische Organisationen in der gesamten Region.

Sich dieser Logik immer weiterer Erpressungen nicht zu fügen, ist nicht lediglich eine abstrakte Frage der "nationalen Würde" oder ähnlicher mehr oder weniger fragwürdiger ideologischer Begriffe. Sondern es steht tatsächlich die Existenz Irans als souveräner Staat auf dem Spiel. Was das angeht, wird keine denkbare Regierung in Teheran und kein Teil des iranischen politischen Spektrums zu selbstzerstörerischen Zugeständnissen bereit sein. Je mehr der Westen den Druck steigert, je mehr man Iran international zu isolieren und in die Ecke zu drängen versucht, umso weniger Spielraum gibt es in Teheran für eine ohnehin schwer vorstellbare Kompromisslösung.

"Militärische Option" vom Tisch nehmen

Gerhard Schröder ging, als er noch Bundeskanzler war, ein einziges Mal einen Schritt in die richtige Richtung, indem er an die Adresse Washingtons gerichtet aufrief: "Nehmt die militärische Option vom Tisch!". Nun ja, es war gerade wieder einmal Wahlkampf, und Schröder selbst griff seine eigene Idee nicht wieder auf. Aber der Grundgedanke, dass man über politische Lösungsmöglichkeiten gar nicht ernsthaft sprechen kann, solange die Drohung von Militärschlägen oder auch nur die Erpressung mit Wirtschaftssanktionen aufrecht erhalten bleibt, wäre eines gründlicheren Nachdenkens wert gewesen.

Als Teheran im Oktober 2003 erstmals einer freiwilligen Unterbrechung aller mit der Uran-Anreicherung verbundenen Arbeiten zustimmte, sollte es darum gehen, die im Februar 2003 begonnenen Untersuchungen der IAEA über das iranische Atomprogramm durch "vertrauensbildende Maßnahmen" zu fördern. Tatsächlich hatte Iran in der Vergangenheit einige Importe, Bauvorhaben und Experimente gegenüber der IAEA nicht deklariert. Das ist mit der Zwangslage, in der sich das Land durch die US-amerikanischen Sanktionen befindet, durchaus glaubwürdig zu begründen. Eindeutig rechtswidrig hat sich jedoch die US-Regierung verhalten. Denn der Atomwaffensperrvertrag garantiert allen Unterzeichnerstaaten, dass sie bei der Entwicklung einer zivilen Nutzung der Atomkraft durch Technologie und Know-how unterstützt werden sollen.

Iran hatte sich von der zeitweisen Unterbrechung eines Teils seines Atomprogramms erhofft, dass dies als Zeichen guten Willens respektiert würde und dass die Untersuchungen der IAEA in absehbarer Zeit abgeschlossen würden. Stattdessen wurden unter dem Druck der USA und der EU-Vormächte immer neue Forderungen nachgelegt. Gleichzeitig wurde der in den IAEA-Resolutionen nicht präzis gefasste Begriff der "mit der Uran-Anreicherung verbundenen Aktivitäten" sehr viel weiter ausgedehnt, als es den iranischen Vorstellungen entsprach. Nämlich auf Tests, Forschungsarbeiten, Wartung und Reparaturen.

Das führte schon im Lauf des Jahres 2004 mehrmals zu harten Konfrontationen. Trotzdem bekräftigte Teheran im November 2004 im Pariser Abkommen mit dem EU-Trio das Moratorium für die Dauer der Verhandlungen. Aus Äußerungen iranischer Politiker geht hervor, dass sie damals mit einem realen europäischen Kompromissvorschlag in wenigen Monaten - die Rede war von einem Vierteljahr - rechneten. Dem Pariser Abkommen zufolge sollte über "objektive Garantien" für den rein zivilen Charakter des iranischen Atomprogramms verhandelt werden. Darunter versteht man auf iranischer Seite sehr weitgehende Kontrollen und Inspektionen durch die IAEA. Was diese angeht, ist Iran bereit, weit über das durch den Atomwaffensperrvertrag geregelte Ausmaß hinaus zu gehen.

Das EU-Trio war aber offenbar von Anfang an überhaupt nicht bereit, die Frage der "objektiven Garantien" zu diskutieren. Denn das hätte sie zwangsläufig in einen Konflikt mit den sehr viel weiter gehenden Zielen der US-Regierung gebracht. Für die EU-Vormächte ging es allenfalls um das Austesten, zu welchem Preis Iran vielleicht bereit wäre, den absoluten Verzicht auf die Uran-Anreicherung zu akzeptieren. Das konnte - abgesehen davon, dass das Anfang August vorigen Jahres präsentierte europäische Angebot sehr mager und unkonkret war - aus den oben angesprochenen Gründen nur in die Sackgasse führen.

Von amerikanischer und europäischer Seite ist zunehmend zu hören, dass man angesichts der langwierigen, ergebnislosen Verhandlungen die Geduld verliere und dass "das Fenster der Gelegenheit für Iran" nicht endlos offen stehe. Diese Polemik verkehrt den wirklichen Sachverhalt in sein Gegenteil. Grund zur Ungeduld hat nur der Iran, denn die Zeit arbeitet für die andere Seite. Das Land hat bei der Entwicklung seines ohnehin durch die US-Sanktionen schwer beeinträchtigten und verzögerten zivilen Atomprogramms inzwischen aufgrund seines freiwilligen Moratoriums schon mehr als zwei Jahre verloren, ohne dafür auch nur die geringste Gegenleistung zu erhalten.

Vor diesem Hintergrund hat sich in Teheran offenbar die Überzeugung durchgesetzt, dass durch freiwillige Zugeständnisse nichts zu gewinnen ist - und dass man auf der anderen Seite keine wesentliche Verschlechterung der Situation riskiert, wenn man die unterbrochenen Arbeiten Zug um Zug wieder aufnimmt. Sofern sich das EU-Trio nicht doch noch ernsthaft auf das formulierte Ziel des Pariser Abkommen einlässt, über "objektive Garantien", also wirkungsvolle Kontrollmaßnahmen, zu diskutieren, scheint eine Einigung ausgeschlossen.

Knut Mellenthin

Neues Deutschland, 7.1.2006